Dienstag23. Dezember 2025

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Kosovo vor den WahlenEmigration macht allen Völkern des schrumpfenden Staatenneulings zu schaffen

Kosovo vor den Wahlen / Emigration macht allen Völkern des schrumpfenden Staatenneulings zu schaffen
Gedrückte Stimmung in Kosovos Serben-Hochburg: das König-Lazar-Denkmal in Nord-Mitrovica Fotos: Thomas Roser

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Wahlen im schrumpfenden Balkanstaat: Premier Albin Kurti muss um die absolute Mehrheit bangen
Wahlen im schrumpfenden Balkanstaat: Premier Albin Kurti muss um die absolute Mehrheit bangen

Zum ersten Mal seit Kosovos Unabhängigkeit 2008 hat eine Regierung ihre Amtszeit voll ausgedient. Doch vor der Parlamentswahl am Sonntag lässt der gelobte Aufbruch in bessere Zeiten auf sich warten. Die Emigration macht allen Völkern des schrumpfenden Staatenneulings zu schaffen.

Hell kreisen Laserstrahlen über die Köpfe der Menschenmenge. Aus den Lautsprechern am Adem-Jashari-Platz in Kosovos Handelsmetropole Ferizaj (Urosevac) schmettern patriotische Weisen, die den Märtyrertod für die Freiheit besingen. Im Rhythmus der ungeduldigen Sprechchöre schwenken die Wahlhelfer der linkspopulistischen „Vetevendosje“ (Selbstbestimmung) die roten Banner mit Albaniens schwarzem Doppeladler.

Die „Vater Kurti“-Rufe weichen dem Jubel, als Kosovos Premier mit erhobenen Händen auf das Podium schreitet. „Der Frühling kommt dieses Jahr früher nach Kosovo“, verkündet Albin Kurti vor der Parlamentswahl am Sonntag mit heiserer Stimme seinem Publikum: „Am 9. Februar – wenn wir siegen werden.“

Egal, ob der 49-Jährige seine Regierung für die Waffenkäufe zum Schutz gegen das als „Feind im Norden“ bezeichnete Serbien feiert, den Bau neuer Eisenbahnlinien, Krankenhäuser und Stadien ankündigt oder vollmundig mehr ausländische Investitionen, höhere Exporte und neue Arbeitsplätze gelobt: Immer wieder wird der Regierungschef von frenetischem Applaus unterbrochen.

Zum ersten Mal seit Kosovos Unabhängigkeit 2008 hat eine Regierung eine volle Legislaturperiode ausgedient. Doch der von Kurti verheißene Aufbruch in bessere Zeiten lässt noch immer auf sich warten.

Noch immer würden über sechs Mal so viele Waren nach Kosovo importiert als exportiert, berichtet in Pristina Lavdim Hamidi, Chefredakteur des Webportals „frontonline.net“. Noch stets müsse ein Zehntel der Kosovaren mit der Minimalrente von 120 Euro über die Runde kommen – und hänge das Land am Tropf seiner Diaspora, die mehr als drei Milliarden Euro pro Jahr ins Land bringe. Die Abwanderung halte an: „Doch im Gegensatz zu früher gehen nun nicht mehr Leute ohne Jobs, sondern meist gut ausgebildete Fachkräfte.“

Mittlerweile gehen auch die gut Ausgebildeten

Die Tücken der deutschen Grammatik zieren die weißen Tafeln des Sprachinstituts „R-Zentrum“ in der Provinzstadt Gjakova (Djakovica). Über mangelnden Andrang kann Institutsdirektorin Vlora Ramadani kaum klagen. Jedes Jahr bereiteten sich allein in ihrer Schule 300 bis 400 Landsleute auf ihre Auswanderung vor – meist Krankenpfleger, aber auch Ärzte: „Deutschland benötigt Arbeitskräfte. Und wir scheinen genau ins Schema zu passen.“

Träumt von einem Neustart in Deutschland: die 31-jährige Agrarwissenschaftlerin Era (links) mit ihrer Mutter Violeta in Gjakova
Träumt von einem Neustart in Deutschland: die 31-jährige Agrarwissenschaftlerin Era (links) mit ihrer Mutter Violeta in Gjakova

Laut der jüngsten Volkszählung von 2024 ist die Bevölkerung des Staatenneulings seit 2011 offiziell von 1,8 auf 1,6 Millionen Menschen geschrumpft. Doch tatsächlich dürfte der Emigrationsaderlass noch größer sein, da bei der Volkszählung viele Familien ihre ausgewanderten Angehörigen weiterhin als Teil ihres Haushalts vermeldeten.

Letztes Jahr habe sie eine Gruppe von sieben Ärzten unterrichtet, berichtet Hamidi: „Alle gut ausgebildet, tolle Jungs und tolle Mädchen – und die sind nun weg. Es ist schon traurig. Denn gute Ärzte brauchen wir hier auch.“

Beifallsumtost erklärt Premier Kurti in Ferizaj, dass der deutsche Begriff „Gastarbeiter“ nun durch den der „dualen Ausbildung“ ersetzt werde: „Das bedeutet, dass die Leute hierbleiben und nicht mehr nach Deutschland gehen.“

Nicht alle werden in der Fremde glücklich

Kosovos Politiker würden immer „dasselbe versprechen“, aber es ändere sich kaum etwas, sagt in Gjakova die angehende Kindergärtnerin Quendresa Plava. Ihre geplante Emigration und Abstimmung mit den Füßen begründet sie mit der Hoffnung auf ein „besseres Leben und bessere Perspektiven“. Nach Ende ihres Pädagogikstudiums im März wolle sie ins schwäbische Buchen umsiedeln, wo ihr Mann bereits seit einem Jahr als Altenpfleger arbeite. Eine Ausnahme sei sie keineswegs, sagt Plava: „Von den früheren Mitschülern meiner Abiturklasse sind bisher rund 40 Prozent emigriert – und es werden noch mehr.“

„Geschlossen“ oder „zu vermieten“ prangt auf vielen der verriegelten Wirtshaustüren im Basar von Gjakova. Doch trotz des Kneipensterbens in der schmucken Altstadt sieht Jajo Kerleshi, der Betreiber der gut besuchten Cocktail-Bar „Sweet & Sour“, den Emigrationsaderlass seiner Landsleute eher gelassen. In Deutschland seien die Löhne, aber auch die Lebenshaltungskosten wesentlich höher: „Viele machen nun neue Erfahrungen im Ausland. Aber viele werden auch wieder zurückkehren. Denn hier sind ihre Wurzeln und ihre Familien – und die sind für uns Albaner heilig.“

Viele machen nun neue Erfahrungen im Ausland. Aber viele werden auch wieder zurückkehren. Denn hier sind ihre Wurzeln und ihre Familien – und die sind für uns Albaner heilig.

Jajo Kerleshi, Betreiber einer Cocktail-Bar

Keineswegs alle ihrer ausgewanderten Landsleute seien in der Fremde glücklich, berichtet die frühere Journalistin und heutige Verkaufsleiterin eines Möbelhauses Elizabeta Ademi, deren Bruder in Baden-Baden lebt: „Viele haben falsche Erwartungen, weil sie zuvor nie in einem anderen Land waren. Wenn sie im Sommer ihre Verwandten mit großen Autos aus Deutschland ankommen sehen, glauben sie, dass das Leben in einem anderen Land besser und leichter sei. Aber keineswegs alle finden dort ihren Traumjob.“

In ihrem Taten- und Auswanderungsdrang lässt sich die 31-jährige Era dennoch nicht schrecken. Die letzten Jahre habe sie in Gjakova als Kellnerin und als Altenpflegerin gejobbt, erzählt die studierte Agrarwissenschaftlerin. Doch nun wolle sie ihr Leben in Deutschland noch einmal „bei Null ganz neu beginnen“, sich fortbilden und hoffentlich den richtigen Partner finden. Am liebsten würde sie in Deutschland „etwas mit Biolandwirtschaft“ machen: „Kosovo hat sehr gutes Ackerland und qualifizierte Leute, aber nutzt sein Potenzial kaum.“

Ganze Familien ziehen weg

Aus seiner verwaisten Schankstube schweift der Blick von Kaltrim Hoxha über die Hügel von Cermjan, einem Dorf unweit von Gjakova. Vor einem Jahr hat er gemeinsam mit einem Vetter die Kneipe „Im Dorf“ eröffnet. Doch nun hat der Minensucher in der Dorfschänke mehr Muße, als ihm lieb ist. Einerseits seien die von den USA finanzierten Entminungsprogramme seit dem Machtwechsel in Washington vorläufig auf Eis gelegt. Andererseits seien mittlerweile bereits 80 Prozent der jungen Dorfbewohner abgewandert. Kaltrim klagt über „monotone Routine“: „Zu uns kommen fast nur noch alte Leute.“

Besorgt zeigt sich der Neu-Wirt über den Trend, dass im Gegensatz zu früher nicht nur junge Männer, sondern gleich ganze Familien ihr Glück in der Fremde suchen: „Wenn das so weiter geht, wird irgendwann die Dorfschule schließen.“ Verbittert reagiert er auf das neue Phänomen, dass Auswanderer lieber eine teure Neubauwohnung in Gjakova erwerben als in ihre verlassenen Häuser in Cermjan zu investieren: „Unsere Leute in der Diaspora vergessen ihr Dorf.“

Zwei schwer bewaffnete Polizisten in Kampfmontur plaudern in der Morgensonne auf Albanisch im Zentrum der Serben-Hochburg Nord-Mitrovica. Von „Okkupation“ spricht verbittert der frühere Richter Marko Jaksic, der seinen Dienst wie andere Justiz- und Polizeibeamte der serbischen Minderheit Ende 2022 mit der Unterstützung Belgrads aus Protest gegen die „zerrütteten ethnischen Beziehungen“ in Kosovos Justizapparat quittiert hatte.

Wahlen mit immer weniger Wählern: Wahlplakate für serbische Minderheitenparteien bei Zvecan in Nordkosovo
Wahlen mit immer weniger Wählern: Wahlplakate für serbische Minderheitenparteien bei Zvecan in Nordkosovo

Mit „Willkürverhaftungen“ und der mit Polizeigewalt forcierten Integration des überwiegend serbisch besiedelten Nordkosovo schüre „Manipulator“ Kurti bewusst „den albanischen Nationalismus“, sagt Jaksic. Kurti erweise sich dabei als der „gelehrigste Schüler“ von Serbiens früherem Autokraten Slobodan Milosevic: „Leere Mägen lassen sich am leichtesten mit Nationalismus füllen.“

Zahl der Serben im Kosovo geschrumpft

Während Albaner aus wirtschaftlichen Gründen emigrierten, habe die „Angst um die eigene Sicherheit“ die Zahl der Kosovo-Serben seit 2000 von rund 250.000 auf „80.000 bis 100.000“ schrumpfen lassen – davon 50.000 im Norden, sagt Jaksic. Wie viele Serben genau noch im Kosovo lebten, sei unbekannt, berichtet Miodrag Milicevic von der Bürgerrechtsgruppe „Pro Aktiv“ in Nord-Mitrovica: „Bei der Volksbefragung wurde nicht einmal mehr versucht, sie zu zählen.“

Sicher sei, dass allein seit 2022 „mehrere tausend“ Serben oft samt Familien Nordkosovo verlassen hätten, so Milicevic: „Es sind nicht nur diejenigen gegangen, die Angst hatten, dass auch ihr Name auf den Verhaftungslisten steht, sondern auch Familien, die ihre Kinder einfach in einer normalen und sicheren Umgebung aufwachsen lassen wollen.“

Egal, ob es noch 80.000 oder 95.000 seien – die Serben, die jetzt noch im Kosovo lebten, wollten bleiben, so Milicevic. Doch dass Pristina mit der Schließung der serbischen Postämter und des Verbots des Dinars betagte Kosovo-Serben zu aufwändigen Reisen ins Mutterland zwinge, um ihre kargen Renten zu empfangen, sei „einfach nicht normal“.

In den 90er Jahren hätten die Serben sich zu wenig in die Lage der Albaner versetzt, nun sei es genau umgekehrt, klagt Jaksic. Von einem multiethnischen Miteinander könne in Kosovo keine Rede sein: „Eine Nation kontrolliert und dominiert die andere.“