Italienischer Pop ist neuerdings wieder in – wenn aber die Crucchi Gang um den Südbadener Francesco Wilking „Mille Rose“ spielt, wird’s ernsthaft ironisch. Dann interpretiert nämlich kein Geringerer als Sven Regener Hildegard Knefs alten Hit „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ auf Italienisch. Der Sänger hat vor fünf Jahren zusammen mit seiner Frau Charlotte Goltermann und Wilking das Bandprojekt ins Leben gerufen. Ist er gar ein Tausendsassa?
Regener hat mit Element of Crime und dem Bücherschreiben mindestens zwei berufliche Wege eingeschlagen. Seine ersten musikalischen Erfahrungen sammelte der gebürtige Bremer jedoch beim Spielmannszug des Kommunistischen Bundes Westdeutschland. Sein akademisches Studium der Musik – zunächst in Hamburg und dann in Berlin – brach er ab. Stattdessen spielte er in Postpunk-Bands wie Zatopek und Neue Liebe.
Blumen zwischen Asphalt und Beton
Die 80er Jahre stellten eine einzigartige Phase in der Geschichte Berlins dar: Die geteilte Frontstadt zwischen Ost und West, die Insellage zog nicht nur alle an, die in der alten Bundesrepublik dem Militärdienst entgehen wollten, sondern unzählige Kreative. Der Underground in der Mauerstadt blühte, wie kleine Blumen zwischen Asphalt und Beton. Bands wie Ideal, Malaria oder Einstürzende Neubauten bildeten die Kakophonie einer Großstadt.
Element of Crime wurde vor 40 Jahren gegründet und nach dem gleichnamigen ersten Kinofilm des dänischen Regisseurs Lars von Trier benannt. Die ersten Alben veröffentlichten die anfangs fünf Musiker – neben Regener ist der Gitarrist Jakob Ilja von Anfang an dabei, der Schlagzeuger Richard Pappik seit 1986 – auf Englisch, so ihr Debüt „Basically Sad“ im Sommer 1986.

Nachdem der Ex-Fehlfarben-Drummer Uwe Bauer ausgestiegen war, folgte ihm der Saxophonist Jürgen Fabrizius. Das zweite Album „Try To Be Mensch“, aufgenommen in London und produziert von John Cale, machte die Band 1987 populär. Sie trat im Oktober desselben Jahres in der Ostberliner Zionskirche auf, ohne Erlaubnis des DDR-Regimes. Das Konzert griffen rechtsradikale Skinheads an, die es bekanntlich offiziell in der DDR nicht gab. Zumindest war es ein Vorgeschmack, was nach dem Mauerfall in den sogenannten fünf neuen Bundesländern – und nicht nur dort – blühen sollte: keine Landschaften, sondern braunes Gedankengut.
Umstieg auf deutsche Texte
Für die Aufnahmen ihres dritten Albums „Freedom, Love & Happiness“ gingen Element of Crime nach New York. Der entscheidende Wandel gelang mit dem Umstieg auf deutsche Texte: 1989 nahm die Band „The Ballad of Jimmy & Johnny“ in Berlin auf. Auf der LP tauchte ihr erster deutschsprachiger Song auf: „Der Mann vom Gericht“. Die nächste Scheibe, „Damals Hinterm Mond“ (1991), war bereits komplett auf Deutsch, was zu jener Zeit, als die Neue Deutsche Welle schon längst vorbei war, als ziemlich uncool galt. Sänger, Trompeter und Gitarrist Sven Regener bewies das Gegenteil, etwa im titelgebenden Song: „Das Leben lief im Schweinsgalopp, die Liebe war ein Fest, der Mensch war gut, damals hinterm Mond.“
Ein rauer Sound und melancholische Stimmung sowie poetisch-lakonische Texte, oftmals wurden die Gesetze der Logik außer Kraft gesetzt. In den Songs kamen Aporien zuhauf und allerhand Widersprüche vor. Und Regener mit seinem unverwechselbaren Timbre verlieh mit den Liedtexten, wie es der Schweizer Fernsehmoderator Max Moor einmal sagte, dem „Heimatgefühl der Verlorenen Berlins“ eine Stimme. „Ich werde nie mehr so rein und so dumm sein wie weißes Papier“, sang Regener auf dem nachfolgenden Album, das zum Durchbruch der Band führt. Wie bei der Vorgängerplatte setzt sie unter anderem auf Streicher, Bläser und Akkordeon. „Weißes Papier“, so auch der Titel des Albums, sei zur „Blaupause für ihren weiteren Weg“ geworden, schrieb laut.de. Die folgenden Platten hießen „An einem Sonntag im April“ (1994) und „Die schönen Rosen“ (1996). „Psycho“ (1999) schrammte knapp an den deutschen Top Ten vorbei.
Während die Musiker jeweils individuelle Projekte verfolgten, schrieben sie gemeinsam die Musik für eine Theater-Inszenierung von Leander Haußmann. 2003 nahm die Band eine Auszeit, und Regener schloss seinen ersten Roman „Herr Lehmann“ ab, den Haußmann später verfilmt. Darin wird genau das Berlin beschrieben, das die Stadt in den 80ern einzigartig gemacht und das Regener alias Lehmann erlebt hatte. In seinem zweiten, dem 2004 veröffentlichten „Neue Vahr Süd“ beschreibt er die Jugend in dem titelgebenden Bremer Stadtteil sowie die Bundeswehrzeit von Herrn Lehmann.
Wir haben keine Lösungen, wir haben Lieder
Weitere Höhepunkte sind „Mittelpunkt der Welt“ (2005) und „Immer da wo du bis bin ich nie“ (2009). Was sind das für großartige Texte, die einem nicht mehr aus dem Gedächtnis wollen, etwa „Delmenhorst“ auf dem ersten der beiden Alten: „Ich bin jetzt immer da, wo du nicht bist, und das ist immer Delmenhorst. Es ist schön, wenn’s nicht mehr weh tut und wo zu sein, wo du nie warst. Hinter Huchting ist ein Graben, der ist weder breit noch tief, und dann kommt gleich ‚Getränke Hoffmann‘. Sag‘ Bescheid, wenn du mich liebst.“ Die zweitgenannte Platte wurde mit dem zweiten Platz der deutschen Charts der größte kommerzielle Erfolg. 2010 gab es dafür eine Goldene Schallplatte, für „Lieblingsfarben und Tiere“ (2015) die erste Echo-Nominierung in der Sparte der besten „Rock/Alternative-Band“.
Zeitreise ins Berlin vergangener Tage
2018 erschien „Schafe, Monster und Mäuse“, das mittlerweile 14. Studioalbum, mit der Element of Crime ein Jahr später auf Tournee gingen. „Schafe, Monster und Mäuse“ (2018) sowie „Morgens um vier“ (2023) kamen heraus. In der Zwischenzeit herrschte Corona: Während der Pandemie sprachen Regener, Jakob Ilja und Richard Pappik in einem Podcast über die bisherigen Alben. Zusammen mit dem Pianisten Ekki Busch entstand zudem das Jazz-Trio Regener Pappik Busch, das 2021 auf „Ask Me Now“ eine zwölf neu interpretierte Standards veröffentlichte, zehn weitere folgten 2022 auf „Things To Come“. Im selben Jahr verstarb Bassist Young im Alter von 73 Jahren, und der Ex-Drummer Uwe Bauer 2023.
Die Bandmitglieder sprachen mit dem Regisseur und Schauspieler Charly Hübner darüber, eine Doku über die Band zu drehen. Dieser überlegte nicht lange und sagte zu. Daraus entstand nicht nur ein Film über die Band auf einer Tourneereise an fünf verschiedene Konzertorten in der deutschen Hauptstadt und durch Berliner Nächte: „Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin“, so der Titel des Streifens, ist nicht nur ein Bandportrait, sondern eine Zeitreise ins Berlin vergangener Tage – in jene Stadt, über die diese Chronisten des Lebensgefühls so viele sentimental-unsentimentale Hymnen geschrieben haben. Jeder Song von Element of Crime ist aus der Schule des Lebens, doch die Musiker um Sven Regener sagen: „Wir haben keine Lösung, wir haben Lieder.“ Am Sonntag, 20. Juli, kommen sie damit auf ihrer Tour „Unscharf mit Katze“ ins Wiltzer Amphitheater.
De Maart

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