
„Hier fühlt sich alles anders an“, sage ich zu meiner Freundin. Wir sitzen auf gelben Stühlen in der Mitte eines Streetfood-Markts. Verschiedene Gerüche liegen in der Luft, Menschen drängeln sich aneinander vorbei, helle Lichter erleuchten die Nacht. In Chiang Rai, Thailands nördlichster Metropole, ist es ein Abend wie jeder andere. Für mich aber ist es neu: Heute Nachmittag saß ich noch in einem Boot auf dem Mekong.
Das sogenannte „Slow Boat“ bringt seine Passagiere innerhalb von zwei Tagen von Luang Prabang in Laos zur thailändischen Grenze. Täglich fährt man etwa neun Stunden, ein Zwischenstopp wird für eine Nacht in einem kleinen Dorf eingelegt. Viel zu tun gibt es nicht an Bord. Am ersten Tag war ich bereit, die Zeit einfach fließen zu lassen. Ich habe Stunden damit verbracht, auf das grünbraune Wasser zu starren, in den wolkenverhangenen Himmel zu schauen, die verschiedenen Grüntöne des Dschungels auszumachen.
An Tag zwei aber hatte ich genug von der Landschaft gesehen. Die Sonne schien erbarmungslos in das Boot hinein und ließ es fast unerträglich heiß werden. Ich versuchte vergeblich, auf den harten Holzbänken zu schlafen. Als ich auf der Karten-App meines Handys sah, dass auf der anderen Seite des Flusses Thailand lag, war ich erleichtert. Endlich war das Ziel in Sicht.
Hochburg des Massentourismus

In Thailand angekommen, bin ich etwas desorientiert von dem neuen Land. Schon im Bus von der thailändischen Grenze nach Chiang Rai bin ich überrascht darüber, wie modern und gut ausgebaut das Straßennetz wirkt. Das ist ein Kontrast zu Laos, wo die Straßen oft klein und voller Schlaglöcher waren. Dort ist es zudem sehr ländlich, zu großen Teilen wenig entwickelt und relativ untouristisch. Thailand hingegen ist schon lange dem Massentourismus verfallen. Als ich durch die Innenstadt Chiang Rais gehe, erinnere ich mich daran, wie mir ein Freund in Kambodscha riet: „Bleib so lange wie möglich in Laos. Thailand ist so touristisch, es ist fast schon dekadent.“
Ich habe mir einen Mango-Smoothie an einem kleinen Essensstand geholt und laufe damit durch die Straßen. Ich bin in Chiang Mai, der größten Stadt Nordthailands, und habe mich so langsam an die verschiedenen Details des Landes gewöhnt: Große Bilder des thailändischen Königs hängen in der Öffentlichkeit aus, viele Autos sehen wie amerikanische Pick-up-Trucks aus und an jeder Ecke gibt es Filialen des amerikanischen Supermarktes 7-Eleven. Chiang Mai kommt mir hektisch und unübersichtlich vor. Dabei ist die Stadt eigentlich bei vielen Reisenden sehr beliebt und gilt als eines der großen touristischen Zentren des Landes. Hier kann man alles Mögliche machen: Tempel besichtigen, Elefanten besuchen, in Wasserfällen schwimmen, durch den Dschungel wandern.
Aber ich bin gerade an einem Punkt angekommen, an dem alles zu viel wird. Ich reise jetzt schon seit mehr als zwei Monaten und wechsele alle zwei, drei, vier Tage den Ort. Ich packe meinen Rucksack immer wieder ein, verabschiede mich von den Menschen, die ich kennengelernt habe, und ziehe weiter. Abends sitze ich in Bars mit Menschen, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnern kann. Es spielt keine Rolle. Morgen wird es neue Menschen geben, mit neuen Namen und neuen Geschichten, die in meinem Kopf langsam zur gleichen werden. Ich denke mir, dass mein Leben gerade eigentlich einfach und unbeschwert sein soll: Ich habe keine Verpflichtungen hier, ich lebe in großer Freiheit. Ich kann tun und lassen, was ich will. Wenn es mir irgendwo nicht gefällt, kann ich einfach weiterreisen. Es weiß sowieso kaum jemand so genau, wo ich gerade dran bin.


Diese Freiheit kann aber auch sehr anstrengend sein. Ich muss alles selbst entscheiden und organisieren. Ich bin immer wieder auf mich selbst zurückgeworfen. Im Moment geht mir die Energie aus und es kommt mir fast unmöglich vor, auch nur kleine Entscheidungen zu treffen. Wo gehe ich als Nächstes hin? In welchem Hostel übernachte ich? Was mache ich eigentlich heute? Die anfängliche Aufregung ist schon lange vorbei: Das, was zu Beginn meiner Reise außergewöhnlich schien, ist jetzt gewöhnlich geworden. Ich habe nicht mehr so viel Begeisterung dafür, Tempel oder Wasserfälle zu besuchen, weil ich schon so viele davon gesehen habe. Gleichzeitig weiß ich, dass meine Zeit hier begrenzt ist und fühle mich schlecht, wenn ich an einem Tag nicht viel mache.
Zeit für den Heimweg
„Vielleicht musst du länger an einem Ort bleiben. Irgendwo für eine Weile ein Zuhause finden“, rät L. mir. Ich sitze mit einigen Freunden, die ich aus Laos kenne, um einen Tisch herum. Aus der Bar neben uns schallt die Musik einer Live-Band zu uns in den Innenhof hinaus. Gerade kommt mir das Reisen wieder entspannt vor, denn ich bin nicht alleine. Viele Bekanntschaften auf Reisen sind flüchtig, Namen und Nummern ausgetauscht ohne Bedeutung. Aber es ist auch möglich, tiefgehende Verbindungen zu knüpfen. Beim Reisen fällt das leichter als im alltäglichen Leben: Niemand hat einen vollen Terminplan oder einen stressigen Arbeitsalltag. Jeder lebt eine ähnliche Freiheit und hat sich bewusst dazu entschieden. Dadurch hat man eine gemeinsame Basis, auch wenn man eigentlich völlig verschiedene Interessen hat. Zudem ist alles irgendwie weniger ernst; Geheimnisse, die unter dem Mond in Thailand geteilt werden, wiegen weniger schwer.

Die Straßen Chiang Mais kommen zur Ruhe bei Sonnenuntergang. Ich mag die wenigen Minuten, in denen es weder Tag noch Nacht ist. In diesen Augenblicken scheint die Welt in der Schwebe zu sein. Die Nacht wird sich bald über die Stadt legen, aber jetzt ist der Himmel noch rosarot. Ich betrete eine leere Tempelanlage in einer Seitenstraße und schaue mir die Tempel von außen an. Ihr Weiß und Gold leuchtet gegen die hereinbrechende Nacht an. Ich betrachte die Ornamente, die Elefantenköpfe aus Stein, die Buddhafiguren, die aussehen, als würden sie schlafen. Ich frage mich, welche Geschichten hinter diesen Bildern stecken. Als ich die Tempelanlage verlasse, ist es dunkel geworden. Die Straßenlaternen sind die einzigen Lichter in dieser Nacht. Vielleicht wird es Zeit, sich auf den Heimweg zu machen.
De Maart
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