Montag3. November 2025

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Alain spannt den BogenEinfluss der „Schwarzen Musikkultur“: Junge Deutsche Philharmonie und Jordi Savall

Alain spannt den Bogen / Einfluss der „Schwarzen Musikkultur“: Junge Deutsche Philharmonie und Jordi Savall
Verdiente Beifallsstürme: Jordi Savalls Projekt „A Sea of Music“ thematisiert die Entwicklung der kreolischen und Schwarzen Musik während der Sklavenzeit in Afrika, Amerika und der Karibik Foto: Inês Rebelo de Andrade

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Dass die Musik der Sklaven und der Schwarzen einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der amerikanischen Musik hatte, genauso wie die der Indigenen, ist nicht zu widerlegen. Umso interessanter war es, unsere beiden Konzerte dieser Woche unter diesem Aspekt zu betrachten, obwohl sie inhaltlich nur zufällig etwas miteinander zu tun hatten.

Unser erstes Konzert war ein Tourneekonzert der Jungen Deutschen Philharmonie, die am vergangenen Freitag im CAPE gastierte und ein fast ausschließlich amerikanisches Programm mitgebracht hatte. Das Konzert begann mit Aaron Coplands berühmter „Fanfare for the Common Man“, einer Hommage des Komponisten an die im Zweiten Weltkrieg Gefallenen, aber auch an alle anderen Opfer des Zweiten Weltkriegs. Der Titel entlehnt sich einer Rede des damaligen US-Vizepräsidenten Henry A. Wallace, die darin das Jahrhundert des Normalbürgers ausrief.

Jazz als amerikanische Volksmusik

George Gershwin war ein Komponist, der wohl wie kaum ein anderer die „Schwarze Musikkultur“ in seinen eigenen Werken verwendete und ihr ein Sprachrohr gab. Für ihn war der Jazz die eigentliche amerikanische Volksmusik.

Als zweites Werk erlebte das Ettelbrücker Publikum „Catfish Row“, Gershwins eigene Konzertsuite zu seiner Oper „Porgy and Bess“, in der ausschließlich Schwarze Sänger auftreten. In beiden Werken zeigten die Musiker der Jungen Deutschen Philharmonie, was sie musikalisch zu bieten hatten. Wenn auch in der „Fanfare for the Common Man“ einer der drei Trompeter mehrfach kiekste, so blieb die Aufführung doch durchaus auf hohem Niveau und der Blechklang der jeweils drei Trompeten, Hörner und Posaunen war recht homogen und fügte sich hervorragend mit dem Schlagzeug zusammen. Exzellent dann die dynamische Interpretation von „Catfish Row“, bei der die jungen Musiker so richtig loslegten.

Von Coplands „Fanfare for the Common Man“ bis hin zu Schostakowitschs Jazz-Suite Nr. 1: Die Junge Deutsche Philharmonie begeisterte mit Vielseitigkeit und dynamischen Interpretationen
Von Coplands „Fanfare for the Common Man“ bis hin zu Schostakowitschs Jazz-Suite Nr. 1: Die Junge Deutsche Philharmonie begeisterte mit Vielseitigkeit und dynamischen Interpretationen Foto: Inês Rebelo de Andrade/CAPE

Jetzt warmgespielt, wurde ihre Aufführung von William Bolcoms „Concerto Grosso for Saxophone Quartet and Orchestra“ zu einem großartigen Konzertmoment, zumal das junge spanische Quartett Kebyart das Publikum mit seinem atemberaubenden Spiel von den Stühlen riss. Auch hier waren die Jazz-Einflüsse nicht zu überhören und außer der Kadenz im letzten Satz fügte sich Kebyart als sogenanntes Hyperinstrument in das Orchesterspiel ein. Bolcom selbst huldigt mit seinem Concerto dem Jazz und vermischt auf virtuose Weise barocke Form mit Blues, Swing, Dixieland und fetzigem Big-Band-Sound. Für den Applaus bedankte sich Kebyart mit der augenzwinkernden Polka aus Schostakowitschs Jazz-Suite Nr. 1.

Es ist vor allem der bulgarischen Dirigentin Delyana Lazarova zu verdanken, dass dieser Konzertabend so ungemein dynamisch und spannend herüberkam. Mit einem kaum zu bändigenden Temperament nahm sie die Musiker der Jungen Deutschen Philharmonie mit und führte sie zu großartigen Orchesterleistungen. Dabei zeigte sie ein hervorragendes Gespür für die amerikanische Musik und so darf es auch nicht verwundern, dass das Utah Symphony Orchestra sie ab der Spielzeit 25/26 zum Principal Guest Conductor berufen hat. Nach der Pause ging es weiter mit Leonard Bernsteins „Ouverture to Candide“, die mir allerdings viel zu schnell dirigiert schien. Trotzdem beachtenswert, wie perfekt die Musiker mit diesem schnellen, ja rasanten Tempo umgehen konnten.

Den Abschluss des Konzerts bildete Daniel Schnyders „Concerto for Orchestra“, das als Uraufführung und Auftragswerk der Jungen Deutschen Philharmonie auf dieser Tournee zu erleben ist. Schnyder orientiert sich hier an den berühmten Vorgängern von Bartók, Kodály und Lutoslawski, vermischt aber viele verschiedene Musikstile in seinem Werk. So sind die Jazz-Einflüsse des seit 1992 in New York lebenden Komponisten und Saxofonisten Daniel Schnyder unüberhörbar, aber auch andere Musikstile wie impressionistische Klänge oder lateinamerikanische Rhythmen werden gekonnt zu einem Ganzen zusammengefügt. Großer Applaus am Ende des Konzerts, sodass die Junge Deutsche Philharmonie und Delyana Lazarova noch Aram Chatschaturians spektakulären Lezginka-Tanz aus dem Ballett Gayane als Zugabe draufsetzten und das Publikum zu Beifallsstürmen hinrissen.


Prädikat „Besonders wertvoll“

Während im Konzert der Jungen Deutschen Philharmonie die Einflüsse der „Schwarzen Musikkultur“ in Werken des 20. und 21. Jahrhunderts hörbar gemacht wurden, zeigte uns Jordi Savall in seinem musikhistorischen Projekt „A Sea of Music“ die Entwicklung der kreolischen und Schwarzen Musik während der Sklavenzeit in Afrika, Amerika und der Karibik. Insgesamt vier Jahrhunderte Musik – so lange dauerte der Sklavenhandel – wurden zu einem unvergleichlichen Konzertabend zusammengeschmiedet und durch kurze Texte erklärend illustriert. Savall erzählt diese Geschichte des transatlantischen Sklavenhandels sowohl aus Opfer- als auch aus Tätersicht und schafft wieder einmal ein pädagogisches und historisch hochinteressantes Konzept, das durch seine intelligente Konstellation das Prädikat „Besonders wertvoll“ verdient.

 Foto: Inês Rebelo de Andrade

Für „A Sea of Music“ hat Savall dann auch ein internationales und authentisches Ensemble um sich geschart, wobei er selber musikalisch nur sehr selten in Erscheinung tritt und eher als Spiritus rector auf der Bühne steht. Dieses Ensemble besteht einerseits aus seinen eigenen Hesperion XXI und La Capella Reial de Catalunya sowie aus dem Tembembe Ensamble Continuo, das sich der Erforschung und Neuschöpfung musikalischer Verbindungen zwischen der spanischen Barockmusik und der traditionellen Musik Lateinamerikas und Mexikos widmet. Dazu kamen Musiker und Sänger aus Kanada, Guinea, Guadeloupe, Mali, Brasilien, Venezuela, Cuba und Haiti. So tragisch die Geschichte der Sklaven ist, dennoch erklingen Musik und Gesänge immer wieder optimistisch. Savall hat dieses Programm wieder einmal sehr sorgfältig, konsequent und kurzweilig zusammengestellt, sodass es neben einem sehr hohen Unterhaltungswert zudem Tiefe, Ernsthaftigkeit und musikalische Vielseitigkeit besitzt. Nach einer ergreifenden Zugabe von „Amazing Grace“ ging das Konzert dann mit rhythmischen und optimistisch-tänzerischen Klängen zu Ende. Das Publikum jubelte zu Recht. Von all den vielen Musikern, die ich kenne, liebe und schätze, wäre Jordi Savall wohl der, der mir persönlich gerade in unserer heutigen Zeit wohl am meisten fehlen würde …