Donnerstag13. November 2025

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KinoEiner für alle, alle für einen: Die Musketiere im Spiegel der Zeit

Kino / Einer für alle, alle für einen: Die Musketiere im Spiegel der Zeit
Martin Bourboulons Filme scheinen sagen zu wollen, dass stets ein starkes Kollektiv gefragt ist, innerhalb dessen aber die Eigeninitiative unerlässlich ist Foto: Ben King

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Mit „Les Trois Mousquetaires: Milady“ ist am Mittwoch die Fortsetzung der zweiteiligen französischen Adaptation des bekannten Romans von Alexandre Dumas in den Kinos angelaufen. Dabei ist der Film beileibe nicht die erste Aneignung des Stoffes auf der Leinwand. Immer wieder wurde die Literaturvorlage Gegenstand filmischer Abenteuer, die dabei rund ein Jahrhundert Filmgeschichte umspannen.

Der „Swashbuckler“

Der populäre Abenteuerroman Dumas’ ist schnell umrissen: Im 17. Jahrhundert kämpfen drei Musketiere der königlichen Garde zusammen mit ihrem jüngeren, dazugestoßenen Gefährten D’Artagnan für die gerechte Sache – sie stehen loyal zum König Louis XIII. Gleich mehrere Fortsetzungen sind nach dem Erscheinen dieses Erstlingswerkes 1844 entstanden. Dass der Film sich dieses populären Erzählstoffes nicht entzog, ist augenscheinlich: Seine Erzählwelt aus Heldenmut und Kameradschaft, Intrigen und unerwarteten Wendungen, der Verfolgungsjagden und Zweikämpfe bietet hohes Adaptationspotenzial für das Medium des Bewegtbildes. In diesem Zusammenhang gelten die Musketiere denn auch neben den ihnen verwandten Heldengestalten Robin Hood und Zorro, oder noch dem Seeräuber in den klassischen Piratenfilmen der 50er-Jahre, als das, was man den „Swashbuckler“ nennt.

Sinngemäß kann man den Begriff nur als Haudegen umschreiben oder noch als Draufgänger. Der Heldenmut des „Swashbuckler“ konstituiert sich gerade aus dem Umstand heraus, dass er das Leben und den Tod gleichermaßen umarmt, sich rückhaltlos in die Gefahr stürzend. Die Leichtigkeit, den Charme und die Eleganz dieser Figurentypen vereinte ein Schauspieler ganz in sich: Douglas Fairbanks, ein verwegener und stets strahlender Held. In Fred Niblos Stummfilmklassiker von 1921 gab Fairbanks – obwohl er damals schon in seinen Vierzigern war – einen überaus jugendhaften D’Artagnan, der sich besonders durch seine Akrobatikkünste und seine Agilität auszeichnete, sich neben dieser körperbetonten Unverfrorenheit aber auch als romantischer Liebhaber erwies. Damit war früh der Prototyp begründet, auf den diverse Filmgestalten auch heute noch Bezug nehmen. In den zeitversetzten und benachbarten Filmen wie „Captain Blood“ (1935) oder „The Adventures of Robin Hood“ (1938) wurde Fairbanks dann von Erol Flynn abgelöst.

Vom Musical zur Parodie

Der Mantel-und-Degen-Film bildete dann spätestens ab den 50er-Jahren ein eigenständiges Subgenre des Abenteuerfilms, in den sich die Musketier-Verfilmungen einfügten. Dass gerade der Held zahlreicher Musicalfilme, Gene Kelly, die Rolle des D’Artagnan 1948 übernahm, verwundert nicht, seine tänzerischen Qualitäten, sein unnachahmlicher Bewegungsstil machten ihn zu einem würdigen Nachfolger Fairbanks’ – er verlieh der Figur ein Repertoire an übergroßer Gestik und Mimik. Mit Vincent Price in der Rolle des finsteren und hinterlistigen Richelieu, der sich ganz offen und bewusst an der Parodie bewegte, war auch der passende Gegenspieler gefunden. Dieser Hang zur offenkundigen Überzeichnung, die auf das Moment der unbekümmerten Abenteuerlust und des naiven Leichtsinns drängt, prägt die Verfilmung unter der Regie von Musical-Regisseur George Sidney die unmittelbaren Nachkriegsjahre – eine Entwicklung, die dem deutschen Heimatfilm nicht unähnlich ist.

So evident die Bezüge zwischen den Genres des Musicals und des Abenteuerfilms in Hollywood waren, so folgerichtig deren Konjunktur mit dem Aufkommen des Farbfilms war, so überaus verwunderlich erscheint die Tatsache, dass die Aneignungen des Stoffes rund um die Musketiere in Frankreich nie die gleiche Popularität wie in der übrigen Welt erreichten. Bertrand Taverniers „D’Artagnans Tochter“ (1994) etwa setzte eine weibliche Heldenfigur in den Mittelpunkt und ließ leise Kritik an der kolonialen Vergangenheit Frankreichs anklingen, ist einem breiten Publikum aber weniger bekannt – vielleicht gerade, weil er dem damaligen Zeitgeist nicht so sehr frönte.

Die britische Filmvariation bewegte sich stärker in die Richtung der Parodie. Richard Lesters Film von 1973 besaß fast nichts mehr von der Leichtigkeit, dem Charme und der Eleganz eines „Swashbuckler“: Sein D’Artagnan, dargestellt von Michael York, war eher der Tollpatsch, dessen Unbeholfenheit sogar expressis verbis adressiert wird. Das Draufgängerische, die naive Unüberlegtheit, mit der sich ins Abenteuer gestürzt wurde, wurde hier eher als Ausdruck eines tölpelhaften Leichtsinns umgedeutet, wo am Ende des Tages mehr Glück und Zufall die heroische Wendung herbeiführten als das Geschick des Helden.

In den 90er-Jahren wurden die Filme dann stark von der postmodernen Bewegung aus Ironie und Doppelbödigkeit geprägt: Dies gilt vor allem für die Disney-Produktion von 1993 unter der Regie von Stephen Herek oder noch für „The Man in the Iron Mask“ von 1998 von Randall Wallace. Die parodistischen Züge des Musketier-Ensembles vermehrten sich hier mit dem selbstbezogenen Wissen um die Standardsituationen des Abenteuerfilms, dergestalt, dass man diese Helden in Hollywood nicht mehr mit dem nötigen Ernst beschauen konnte. Die jüngste und bekannteste Figur des „Swashbuckler“-Typs ist womöglich immer noch der von Johnny Depp verkörperte Pirat Jack Sparrow aus der „Pirates of the Caribbean“-Reihe (2003 bis 2017). Ganz in dessen Nachfolge war Paul W.S. Andersons Musketier-Adaption von 2011 ein actionbetontes Spektakel, das die postmoderne Ironie mit den Möglichkeiten des visuellen Effekte-Kinos mischte. Spätestens als da eine Luftschlacht in Zeppelins ausgetragen wurde, waren alle Ernsthaftigkeit und dramatische Schwere unrettbar verloren.

Der Stoff heute

Die Neuverfilmung durch Bourboulon ist eine der „dreckigen“ und „rohen“ Revisionen, eine der kontextuellen Rahmung und der Komplexität der innerpolitischen Lage: Wir schreiben das Jahr 1627. Das französische Königreich droht zu zerbrechen, der Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten wütet im Herzen Frankreichs, und obendrein könnte die Liaison der Königin Anna von Österreich (Vicky Krieps) mit dem englischen Fürsten von Buckingham die Krone destabilisieren – wie keine andere Verfilmung insistiert der Zweiteiler auf die politischen Dimensionen des Stoffes und gewichtet die Machtfrage und die Zersetzung eines Reiches aus sich selbst. Der weithin bekannte Leitspruch „Einer für alle, alle für einen“ spricht selbstredend für den Zusammenhalt und die Solidarität der Gruppe, doch in den entscheidenden Momenten liegt der Triumph letztlich bei der individuellen Tat.

Bereits der Filmtitel des ersten Teils, „D’Artagnan“, hat diesen Punkt unterstrichen. Die Fortsetzung „Mylady“ folgt dieser Logik, die der Vorgängerfilm eröffnet hat: Auch diese Geschichte erzählt einmal mehr vom Triumph des Abenteuergeistes über die Intrige – immer ist dieser D’Artagnan der Motor der Handlung, just in letzter Sekunde ist er stets am richtigen Ort, um das Schlimmste zu verhindern. So scheinen Bourboulons Filme sagen zu wollen, dass stets ein starkes Kollektiv gefragt ist, innerhalb dessen aber die unbedingte Eigeninitiative unerlässlich ist. Beachtlich ist indes, dass in diesem D’Artagnan immer mehr statt des Helden das Problem offensichtlich wird, das er bekämpft, er ist auch bei Bourboulon Korrektiv für eine tiefgreifende Instabilität.

Freilich fehlt mithin einiges von der Leichtigkeit des „swashbucklers“ aus früheren Verfilmungen. Betrachtet man die jüngsten Unruhen in Frankreich, so entwickelt die filmische Neuauflage von „Les Trois Mousquetaires“ eine Brisanz, die nicht ohne den Hintergrund der aktuellen fragilen Situation Frankreichs gelesen werden kann. Die Protestbewegungen der Gelbwesten, die auch gewalttätige Ausschreitungen zur Folge hatten, oder noch die große Protestbewegung im Zuge der Ablehnung der staatlichen Rentenreform sind Indikatoren für ein Unbehagen an sozialen Grundbedingungen, die in Martin Bourboulons Neuverfilmung womöglich einen unterschwelligen Resonanzraum gefunden haben. So sind die Musketier-Verfilmungen, nebeneinander betrachtet, zugleich eine Reihe, die seismografisch auf gesellschaftliche und kulturelle Strömungen reagiert – der Abenteuerstoff ist anpassungsfähig und deshalb zeitlos.