Das Bemerkenswerte am Finanzmodell der Weltbank ist, dass noch vor dessen dringend notwendiger Reform und selbst ohne Berücksichtigung seiner Fähigkeit zur Mobilisierung von Geldern aus dem privaten Sektor jeder von den USA bezogene Dollar eine ständige Erhöhung der Kreditvergabe um mehr als 15 Dollar auslöst. (Das liegt daran, dass auch andere Länder Beitragszahlungen an die Bank leisten und das eingezahlte Kapital viele Male gehebelt wird.)
Weltbank und Internationaler Währungsfonds sind in einzigartiger Weise in der Lage, weltweit sehr große Dinge unter geringen Haushaltskosten zu tun. Sie sind multilaterale Einrichtungen und die meisten der Mitglieder sind westlichen Werten verpflichtet. Die Weltbank hat ihren Sitz in Washington, D.C. und steht traditionell unter amerikanischer Leitung.
Charles Kenny vom Center for Global Development (CGD) und andere haben darauf hingewiesen, dass die Weltbank trotz vieler großer Worte in ihrer kollektiven Fähigkeit zur Reaktion auf Krisen deutlich hinter den Erwartungen zurückbleibt. Kennys schneidende Analyse zeigt, dass trotz der heutigen „Polykrise“ – einer drohenden globalen Rezession, hoher Zinssätze und eines starken Dollar, die viele Volkswirtschaften erschüttern, steigender Nahrungs- und Energiepreise, der fortdauernden Pandemie und des sich beschleunigenden Klimawandels – die Kreditvergabe durch die Weltbank noch nicht einmal mit dem Wachstum seit 2017 Schritt gehalten hat. Tatsächlich ist sie im vergangenen Jahr zurückgegangen, und beim IWF lief es nicht viel besser.
Das sollte für die USA und andere wichtige Mitglieder des IWF und der Weltbank inakzeptabel sein. Angesichts der Größenordnung der Herausforderungen, die sich der Welt im Verlauf des kommenden Jahrzehnts stellen werden, sollten wir, was die Bank angeht, in Billionen und nicht in Milliarden denken. Wenn der Krieg zu wichtig ist, um ihn den Generälen zu überlassen, ist die Finanzierung unseres globalen Überlebens zu wichtig, um sie Buchhaltern und internationalen Bürokraten zu überlassen.
Vier Schritte sind erforderlich, und sie alle stimmen im Großen und Ganzen mit der jüngsten Rede von US-Finanzministerin Janet Yellen und einer jüngsten Erklärung einer Gruppe von Denkfabriken überein.
Erstens bedarf die Bank eines neuen und erweiterten Leitbilds, das Nachhaltigkeit und globale öffentliche Güter sowie die Armutsbekämpfung mit umfasst. Dauerhafte Erfolge bei der Armutsbekämpfung sind ohne einen globalen Paradigmenwechsel hin zu einer nachhaltigen Entwicklung nicht zu erreichen, und eine globale ökologische Wende ist ohne Fortschritte bei der Armutsbekämpfung nicht möglich. Leitbilder sind bedeutungslos, ohne entsprechendes Handeln. Die Mitglieder der Bank sollten auf einer Finanzvision bestehen, die in einer Kreditvergabe von zwei Billionen Dollar für das Jahrzehnt von 2024 bis 2034 resultiert.
Finanzmodell überarbeiten
Zweitens muss die Bank ihr Finanzmodell überarbeiten, um eine umfassendere Hebelung ihres Kapitals vorzusehen, Kreditinstrumente einschließlich ihres Zeithorizonts und des Maßes der daran geknüpften Voraussetzungen neu überdenken und die Co-Finanzierungsbemühungen der Bank mit denen der Internationalen Finanz-Corporation (dem privatwirtschaftlichen Kreditarm der Bank) und der Multilateralen Investitions-Garantie-Agentur abstimmen, um zu privaten Investitionen anzuregen. Man sollte dabei die von Mark Plant (ebenfalls CGD) und anderen vorgelegten Ideen zur Nutzung von Sonderziehungsrechten (SZR, die Reservewährung des IWF) als Kapital zur Entwicklung berücksichtigen. (Bisher hatten neue SZR-Zuweisungen, soweit ich das beurteilen kann, trotz viel Trara keine Auswirkungen auf das Tempo der weltweiten Entwicklung.)
Drittens besteht eine dringende Notwendigkeit zur Reform der Kultur und Verfahren der Bank, um deren Arbeitstempo zu beschleunigen. Es wird eine Zeit kommen, in der der Wiederaufbau der Ukraine eine Spitzenpriorität sein wird. Auch wenn ich es hoffe, gehe ich nicht davon aus, dass die zugesagten Mittel ohne eine Reform anders als so oft nach Konflikten rasch innerhalb des versprochenen Zeitrahmens überwiesen werden.
Ich hoffe zudem, dass die Bank ihren von mir einst als „Konvoi-Ansatz“ bezeichneten, alle Sektoren aller Länder betreffenden Ansatz aufgibt zugunsten einer Schwerpunktsetzung auf das, was am wichtigsten ist. Das Bewusstsein, dass die Bereitstellung großer Summen in Momenten der Krise mit maximalem Tempo erfolgt, kann für Kundenländer von enormem Wert sein.
Viertens sollten sich diese Schritte in einer großen „grünen“ Kapitalerhöhung widerspiegeln, die innerhalb eines Jahres vereinbart werden sollte. Angesichts der Dringlichkeit der weltweiten Bedürfnisse sollte die Erhöhung zwei bis drei Mal so hoch ausfallen wie die letzte Erhöhung um 13 Milliarden Dollar im Jahr 2018. Nach meiner Schätzung könnte eine Erhöhung des eingezahlten Kapitals um 30 Milliarden Dollar, die die USA über acht Jahre hinweg etwa fünf Milliarden Dollar kosten würde, eine zusätzliche, stark auf die Energiewende ausgerichtete jährliche Kreditvergabe von fast 100 Milliarden Dollar unterstützen.
Das Vertrauen zurückgewinnen
Dies ist eher der Ansatz zu einer Vision als ein detailliertes Programm. Mein Ziel ist es, ein Gefühl der Dringlichkeit und der Größenordnung zu vermitteln, die der Augenblick verlangt. Ich übe seit geraumer Zeit kein öffentliches Amt mehr aus, daher empfinde ich keine Sympathie mehr gegenüber den Beschränkungen, auf die die Vertreter der Bank und der weltweiten Finanzministerien verweisen werden. In diesem Punkt bekenne ich mich schuldig. Andererseits gibt es Schlüsselmomente in der Geschichte, in denen der Übergang vom Unvorstellbaren zum Unvermeidlichen mit schwindelerregendem Tempo abläuft.
Das muss nun der Fall sein. Nach allem, was in den letzten Jahren passiert ist, müssen die USA und ihre Verbündeten das Vertrauen der Entwicklungsländer dringend zurückzugewinnen. Es gibt kein besseres Mittel, um Vertrauen zurückzugewinnen, als durch kollektive Bereitstellung umfangreicher Unterstützung für die höchsten Prioritäten der betreffenden Länder. Und es gibt keine schnellere und effektivere Methode zur Mobilisierung einer derartigen Unterstützung als durch die Weltbank. Falls wir in diesen Fragen auf der Sitzung der Finanzminister und Notenbankchefs der G20 in dieser Woche in Washington, D.C. keine deutlichen Fortschritte erleben, wurde eine wichtige Chance vertan.
* Lawrence H. Summers war Chefökonom der Weltbank (1991-93), US-Finanzminister (1999-2001), Direktor des Nationalen Wirtschaftsrates der USA (2009-10) und Präsident der Universität Harvard (2001-06), wo er derzeit als Professor tätig ist.
Aus dem Englischen von Jan Doolan.
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