Wenn eine Gewerkschaft bei einem Schriftsteller ein Stück über die eigene Geschichte in Auftrag gibt, ist das eine delikate Angelegenheit. Von allen möglichen Herangehensweisen zwischen Dokumentartheater und kalkulierter Provokation durch Übersteigerung hat Autor Rafael David Kohn sich für die schlechteste entschieden: die Emotionalisierung.
Von Tom Haas
Politik, und somit auch der Arbeitskampf, ist eine Sache der Leidenschaften – diese Erkenntnis setzt sich inzwischen sogar in den Sozialwissenschaften langsam durch. Vor diesem Hintergrund ist Kohns Entscheidung, in seinem Stück „De Roude Fuedem“ die Einzelschicksale ins Zentrum der Handlung zu stellen, eine kluge Überlegung. Trotzdem scheitert das Stück auf der Bühne gleich an mehreren Stellen.
„De Roude Fuedem“ erzählt die Geschichte von Marco und Tania, einem kürzlich getrennten Pärchen – er nach langer Arbeitslosigkeit in der Probezeit bei der ADEM, sie eine schwer überarbeitete Altenpflegerin. Die Trennung verlief hässlich, Kohn analysiert hier präzise den Zusammenhang zwischen Arbeit und Selbstwertgefühl, und nun ist Tania auf seine Hilfe angewiesen, um den neuen Vertrag zu überprüfen, den ihr Arbeitgeber ihr aufdrängen will. Unfreiwillige Unterstützung auf ihrem Weg zum Widerstand gegen den Konzern, der das Altenheim betreibt, erhält Tania schließlich bei einer renitenten, alten Gewerkschafterin, die eine ihrer Patientinnen ist.
Das vorhandene Potenzial verpufft leider bereits in den ersten Minuten durch die hölzernen Dialoge, die in ihrer bräsigen Beliebigkeit auch als Schablone für einen thematisch verwandten Groschenroman fungieren könnten. Natürlich hört der Zuschauer genau das, was ihm in entsprechenden Gesprächen im Alltag entgegenfliegt – hier bedingt die Austauschbarkeit die Identifikationsmöglichkeit. Aber gerade dieser angestrebte Schulterschluss zwischen Publikum und Protagonisten der Handlung zerstört nicht nur jede Möglichkeit der Verfremdung und des Perspektivenwechsels – er ist auch sterbenslangweilig.
Die faulen Kirschen auf dem mittelmäßigen Kuchen sind allerdings die kämpferischen Monologe – erst von der pensionierten Heimbewohnerin, später dann von Tania vor der versammelten, streikenden Belegschaft. Da beide sich ans Publikum richten, fühlt der Zuschauer gleich ein Zucken in den Fingern – läge ein Antragsformular zum Gewerkschaftsbeitritt bereit, es wäre sofort unterschrieben.
Ungenutztes Potenzial
In diesen Momenten dreht sich jedem, der auch nur einen Funken Ideologiekritik im Leibe trägt, der Magen um: Zunächst wird die emotionale Bindung zu den Charakteren aufgebaut, sie werden zu Sympathieträgern, um dann die politische Botschaft ungefiltert ins Publikum zu posaunen. Ein Lehrstück der Propaganda. Wohlwollende Betrachter mögen es als feinsinnige Ironie erleben, wenn die Stimme der Gewerkschaft eine halb senile Rentnerin ist – leider hat sich in diesem Umstand die ironische Distanz von Autor und Regisseur zum Thema bereits erschöpft. Die restlichen Lacher sind Klamauk, fader Slapstick aus dem Repertoire französischer Generationskomödien, welche die Charaktere zwar menscheln lassen, ohne dass sie dadurch wirklich menschlich würden.
Wie viel von der mittelmäßigen Leistung letztlich auch den Produktionsbedingungen geschuldet ist, lässt sich schwer ermitteln. Insgesamt wirken Bühnenbild und Aufführung im Amateurtheater verhaftet und vermögen durch ihren schnöden Naturalismus nicht zu überzeugen. Neben den übrigen Krankheiten, die das Stück infizieren, ist das jedoch eher ein kleiner Schnupfen.
Fader Slapstick
Wirklich bedenklich ist die Aussage von Kohn und Martins, dass die Gewerkschaft an keiner Stelle in den Entstehungsprozess eingegriffen, sondern den Künstlern freie Hand gelassen habe. Der Eingriff war wohl schlicht nicht notwendig, da der vorauseilende Gehorsam der Inszenierung der übertriebenen Selbstzensur einer Zeitung unter diktatorischen Regimes ähnelt. Als propagandistische Nabelschau einer Gewerkschaft ist das Stück gelungen, als eigenständiges Kunstwerk fällt es leider auf ganzer Linie durch.
Ein Auftragswerk eines politischen Akteurs und das Bedürfnis nach künstlerischer Eigenständigkeit bedingen immer einen Spagat auf dem Schwebebalken der eigenen Integrität. In diesem Fall endete das Kunststück leider in einem schmerzlichen Sturz für alle Beteiligten.
(Rafael David Kohn schreibt fürs Tageblatt die zweiwöchentliche Kolumne „Die vierte Wand“.)
TERMINE:
6.10.2018
Salle des fêtes, Lorentzweiler
27.10.2018
Al Schmelz, Steinfort
10.11.2018
Am Home, Pétange
17.11.2018
Hotel Victor Hugo, Vianden
15.12.2018
Kulturhaus Syrkus, Roodt/Syre
23.2.2019
Centre culturel, Weimerskirch
De Maart
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