„Machismus findet sich nicht nur in einer dunklen Gasse in der Nacht“, sagt Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez. „Sondern auch hinter den Wänden eines Schlafzimmers am helllichten Tag, am Arbeitsplatz und leider sogar in den Algorithmen der künstlichen Intelligenz.“ Spanien galt früher als Hochburg des Machismus, der männlichen Überheblichkeit. Heute ist das südeuropäische Land Vorreiter im Kampf gegen Macho-Verhalten und Männergewalt gegen Frauen. Dazu trug ein als vorbildlich geltendes Gesetz gegen geschlechtsspezifische Gewalt bei, das schon vor 20 Jahren in Kraft trat und nun von immer mehr europäischen Staaten kopiert wird.
Den Wendepunkt markiert in Spanien ein brutaler Mord, der die Gesellschaft wachrüttelte: Am 17. Dezember 1997 wurde Ana Orantes brutal von ihrem Ex-Mann ermordet – nachdem sie im Fernsehen öffentlich über Misshandlungen berichtet hatte. Orantes war damals 60 Jahre alt. Sie erzählte im TV, dass sie 40 Jahre lang der Gewalt ihres Mannes ausgesetzt war; 1996 ließ sie sich dann scheiden. 13 Tage nach ihrem TV-Auftritt übergoss ihr Ex-Mann sie mit Benzin und verbrannte sie bei lebendigem Leib.
Proteste in vielen Städten
Es folgten Proteste in vielen Städten Spaniens, bei denen die Menschen den Staat aufforderten, endlich Maßnahmen gegen Machismus und Männergewalt zu ergreifen. Der Fall dominierte monatelang die öffentliche Debatte in den Medien und in der Politik. Am 28. Dezember 2004 verabschiedete das spanische Parlament dann das „Gesetz über umfassende Schutzmaßnahmen gegen geschlechtsspezifische Gewalt“ – und zwar einstimmig. Spanien wurde damit zum Pionier in Europa.
„Es ist ein Gesetz, das – sagen wir es laut und deutlich – Leben gerettet hat, viele Leben“, sagte Premier Sánchez, als vor Kurzem der 20. Jahrestag dieses Gesetzes begangen wurde. Es war damals ein bahnbrechender Schritt, da das Regelwerk erstmals diese Männertaten als eine strukturelle Form der Diskriminierung gegen Frauen anerkannte. Laut der Istanbul-Konvention, ein europäisches Abkommen zu diesem Thema, richtet sich geschlechtsspezifische Gewalt „gegen eine Frau, weil sie eine Frau ist“.
Spezielle Gerichte und Polizeieinheiten
Zudem wurden in Spanien spezielle Gerichte und Polizeieinheiten eingerichtet. Opfern wurde Schutz und mehr psychologische wie auch finanzielle Unterstützung garantiert. Für die Täter wurden härtere Strafen eingeführt. Hinzu kamen Bildungsprogramme und Sensibilisierungskampagnen, um das Thema allen Bürgern ins Bewusstsein zu rufen. Gewalt gegen Frauen wird deswegen heute in Spanien nicht mehr als privates, sondern als öffentliches Problem betrachtet, dem die Medien breiten Raum einräumen.
Die positiven Auswirkungen sind messbar. Die Zahl der Frauen, die von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet wurden, ist in Spanien deutlich zurückgegangen. Im Jahr 2004, als das Gesetz in Kraft trat, wurden noch 72 Todesopfer gemeldet. Seit 2020 liegt die jährliche Opferzahl unter 50 – 2024 wurden 48 Tote gemeldet. Damit steht Spanien besser da als zum Beispiel Deutschland oder Frankreich. Allerdings sind europäische Vergleiche schwierig aufgrund unterschiedlicher Erhebungsmethoden und einer noch unvollständigen Datenlage.
Bemerkenswert ist auch, dass in Spanien die Zahl der Anzeigen geschlechtsspezifischer Gewalt gestiegen ist. Der Grund dafür ist laut Experten, dass diese Taten heute kein Tabu mehr sind und die Opfer den staatlichen Schutzgarantien vertrauen. „Das Ziel des Gesetzes war es auch, das Schweigen zu brechen und die Scham zu überwinden“, erinnert sich der Sozialdemokrat Sánchez, der seit sieben Jahren in Spanien regiert. Heute sei Spanien, sagt Sánchez nicht ohne Stolz, ein Land, das den Frauen sagt: „Ihr seid nicht allein.“
De Maart
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