27. Dezember 2025 - 16.31 Uhr
Regierung will dagegen vorgehenEin Drittel aller jungen Briten fühlt sich einsam
Als die konservative Regierung vor einigen Jahren erstmals den Aufgaben einer Kultur-Staatssekretärin auch das Problem „Einsamkeit“ zuordnete, sprach alle Welt von älteren Menschen. In Medienberichten war von über 80-jährigen Witwen und Witwern die Rede, denen nach und nach auch die Freunde durch Krankheit oder Tod abhandengekommen waren. Seniorenclubs, Wandergruppen, organisierte Treffen mit Jüngeren – mit staatlichen Millionen-Zuschüssen versuchten Wohltätigkeitsorganisationen, der wachsenden Zahl Alleingebliebener zu helfen.
Und so besuchte Staatssekretärin Stephanie Peacock zur Eröffnung der jüngsten „Woche zur Sensibilisierung für Langeweile“ im vergangenen Juni im westenglischen Bristol eine Stiftung, bei deren Arbeit Ältere im Mittelpunkt stehen. Immerhin pochte die Labour-Politikerin darauf, das unerwünschte Alleinsein mache „keine Altersunterschiede“, wenn es auch Risikogruppen gebe. Dazu zählte die Staatssekretärin Langzeitkranke, Arme und Angehörige ethnischer Minderheiten ebenso wie „Alte und Junge“. Ziel der Regierung seien „Verbindungen zwischen allen Altersgruppen“, „besonders bei jungen Leuten“.
Zeitweise einsam
Vielleicht wollte die 38-Jährige mit diesem Satz nur zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, schließlich gehören zu ihren Aufgaben im Ministerium neben Sport, Tourismus und Zivilgesellschaft auch ausdrücklich Jugend sowie „Einsamkeit und Sozialverbindungen“. Neuerdings kann sie sich jedenfalls bestätigt fühlen. Denn im Advent schreckte eine neue Erhebung der Statistikbehörde ONS das Land auf. Ein Drittel aller Briten zwischen 16 und 29 Jahren stufte sich selbst als „immer, häufig oder zeitweise“ einsam ein. Damit lagen die jungen Leute an der Spitze der traurigen Statistik, deutlich vor den über 70-Jährigen (17 Prozent).
Natürlich sind die Daten abhängig von der Auskunftsfreude der Befragten. Unter Älteren mag es noch tabubehaftet sein, über eigene Probleme zu sprechen und sie an sozialen Faktoren festzumachen. Viel spricht dafür, dass das Gefühl des Allein-Seins bei den über 85-Jährigen nochmals erheblich zunimmt. Aber in den meisten Studien kommt zum Ausdruck, was Professorin Andrea Wigfield vom interdisziplinären Zentrum für Einsamkeitsstudien an der Sheffield Hallam Universität so zusammenfasst: „Erwachsene zwischen 18 und 24 Jahren sind die einsamsten. Und es ist ein wachsendes Problem.“
Woran das liegt? „An den sozialen Medien“, erwidert auf diese Frage wie aus der Pistole geschossen der 24-jährige Elektroingenieur Alex aus Bristol. „Die Leute verschanzen sich hinter ihren Telefonen“, pflichtet ihm sein Freund Felix, ein Geschichtsstudent, bei. Dem Medienaufseher Ofcom zufolge verbringen junge Erwachsene täglich 6:20 Stunden online. Auch die erzwungene Isolation der Covid-Lockdowns, das weiterhin verbreitete Arbeiten im Home Office und die zunehmende Atomisierung der Gesellschaft haben ihren Beitrag geleistet. Und traditionell bringen die ersten Erwachsenenjahre mit dem Weggang aus der Herkunftsfamilie, häufigen Umzügen und plötzlich abwesenden Freunden eine Phase der Instabilität mit sich.
Atomisierung der Gesellschaft
Das als Last empfundene Alleinsein verursacht Stresshormone, diese lösen Entzündungen und andere Gesundheitsprobleme aus. Zugleich gehen Einsame seltener zum Arzt und nehmen ihre Medikamente weniger regelmäßig ein, von sportlicher Betätigung und gesunder Ernährung ganz zu schweigen. Die Folge: Einsame Menschen leiden verstärkt unter Herzerkrankungen und Depression, bei Älteren kommt auch Demenz hinzu.
Symptome von Depression entwickelte David Gradon, nachdem eine Reihe seiner Freunde aus London weggezogen waren. Online-Dating funktionierte nicht, beim Sport verletzte er sich. Also organisierte er, ironischerweise auf den sozialen Medien, einen Park-Spaziergang auf der berühmten Hampstead Heath. Beim ersten Mal im Herbst 2021 trafen sich zwölf Gleichgesinnte, mittlerweile haben viele Hundert junge Leute Gradons „Großes Freundschaftsprojekt“ durchlaufen, an Spaziergängen, Tagesausflügen und Fitness-Events teilgenommen. „Wir sitzen alle im gleichen Boot. Das räumt viele Hemmnisse beiseite“, freut sich der mittlerweile 33-Jährige.
De Maart
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