Donnerstag13. November 2025

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So lief das Festival in Cannes anEhrenpalme für Robert De Niro, Schelte gegen Trump und facettenreiche Filme

So lief das Festival in Cannes an / Ehrenpalme für Robert De Niro, Schelte gegen Trump und facettenreiche Filme
Zwei Hollywood-Ikonen unter sich: Leonardo DiCaprio (l.) überreichte Robert De Niro (r.) am Dienstag die Ehrenpalme für sein Lebenswerk bei den 78. Filmfestspielen in Cannes Foto: AFP/Valery Hache

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Die 78. Filmfestspiele von Cannes starteten mit einer bemerkenswerten Spannweite filmischer Handschriften – und nicht zuletzt mit dem explosiven Abschied von Tom Cruise aus dem „Mission: Impossible“-Universum. Ein Überblick zwischen Intimität, Ideologie und internationalem Spektakel.

Amélie Bonnins Spielfilmdebüt „Partir un jour“ machte den Auftakt der 78. Filmfestspiele von Cannes am Dienstagabend, bei der der US-amerikanische Schauspieler Robert De Niro mit der Ehrenpalme für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde. Die Zeremonie wurde von Laurent Lafitte moderiert, Schauspielkollege Leonardo DiCaprio überreichte De Niro den Preis. Nachdem letztes Jahr Quentin Dupieux‘ „Le deuxième acte“ als Eröffnungsfilm für viele Lacher sorgte und mit Dupieux‘ unverwechselbaren surrealistischen Einfällen durchzogen war, ist „Partir un jour“ ein überaus konventioneller Film.

Erzählt wird die Geschichte einer erfolgreichen Pariser Spitzenköchin, die nach einem familiären Zwischenfall in ihr südfranzösisches Heimatdorf zurückkehrt – und sich dort nicht nur mit alten Erinnerungen, sondern auch mit neuen Herausforderungen konfrontiert sieht. Regisseurin Amélie Bonnin verfolgt dabei die Idee, über Kulinarik emotionale Wunden zu heilen: Das Kochen wird zur Metapher für Lebensentscheidungen, verpasste Chancen und die Suche nach innerem Gleichgewicht. Trotz dieser interessanten Prämisse bleibt die Umsetzung eher zurückhaltend. Die Inszenierung wirkt streckenweise behäbig, und auch wenn musikalische Einlagen – live gesungen – durchaus Charme versprühen, gelingt es ihnen nur bedingt, emotionale Tiefe oder nachhaltige Stimmung zu erzeugen. Die zentrale Liebesgeschichte bleibt etwas konturlos, ebenso wie manche Nebenfiguren, die oft mehr angedeutet als wirklich entfaltet werden. Bonnin bewegt sich mit ihrem Film spürbar im Kosmos des Feel-Good-Kinos, verliert dabei aber gelegentlich an erzählerischer Klarheit und Spannungsführung. So entsteht ein Werk, das in Ansätzen berührt, aber nicht vollends überzeugt – ein Film, der lieber tröstet als aufrüttelt.

Sowjetische Geschichte auf der Leinwand

Einen ganz aufrüttelnden Film hat der ukrainische Regisseur Sergei Loznitsa mit „Two Prosecutors“ vorgelegt. Dabei handelt sich um ein Historiendrama, das auf der gleichnamigen Novelle von Georgi Demidow –russischer Schriftsteller und Gulag-Überlebender – basiert, dessen Werk lange Zeit unterdrückt und erst posthum einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde. Darin schildert er die Atmosphäre der stalinistischen Sowjetunion im Jahr 1937. Im Zentrum steht der junge Staatsanwalt Alexander Kornev, der auf einen Brief eines zu Unrecht inhaftierten Mannes stößt. Entschlossen, Gerechtigkeit walten zu lassen, wendet er sich an den Generalstaatsanwalt Andrei Wyschinski. Doch sein Idealismus führt ihn in einen gefährlichen Machtapparat, der ihn selbst zu verschlingen droht.

De Niro gegen Trump

Nach Medienberichten übte Robert De Niro in seiner Dankesrede scharfe Kritik am US-Präsidenten Donald Trump: Er bezeichnete ihn als „Banausen“, monierte seine Pläne für Zölle auf im Ausland produzierte Filme und rief das Publikum zum Handeln auf. Verwunderlich ist das nicht: De Niro war schon vor der Präsidentschaftswahl 2016 als Trump-Gegner bekannt. (Isabel Spigarelli)

Seit seinem Durchbruch mit dem Spielfilm „My Joy“ (2010) ist Loznitsa regelmäßiger Gast in Cannes und bekannt für seine präzise stilisierte Auseinandersetzung mit sowjetischer und postsowjetischer Geschichte. Mit „Two Prosecutors“ kehrt Loznitsa nach seinem letzten Spielfilm „Donbass“ (2018) zurück zum fiktionalen Film. Er setzt seine kritische Auseinandersetzung mit totalitären Systemen fort und liefert ein eindringliches Porträt der moralischen Dilemmata in Zeiten politischer Repression. Mit einer strengen Bildsprache, überwiegend statischen, wohl kadrierten Einstellungen schafft Loznitsa eine beständig unbehagliche Atmosphäre und zeigt, wie nah Idealismus und Naivität beieinander liegen können. Demgegenüber zeichnet Loznitsa den russischen Staatsapparat als ein völlig kafkaeskes Gebilde, mit verklausulierter Sprache, irrwitzigen behördlichen Vorgängen, an denen der Einzelne unmerklich zerbricht, sodass das unheilvolle Ende immerzu absehbar ist.

Deutschland zurück im Wettbewerb

Die deutsche Regisseurin Mascha Schilinski präsentiert an der Croisette mit ihrem zweiten Spielfilm „In die Sonne schauen“ einen ebenso enigmatischen wie erzählerisch komplexen Beitrag im Wettbewerb. Es ist der erste deutsche Wettbewerbsfilm in Cannes seit „Toni Erdmann“ von Maren Ade aus dem Jahr 2016. „Sound of Falling“ folgt vier jungen Frauen, die zu verschiedenen Zeiten auf derselben norddeutschen Farm leben und durch gemeinsame Traumata verbunden sind. Im Zentrum des Films steht ein abgeschiedener Vierseitenhof im nordöstlichen Brandenburg, nahe der Elbe – ein Ort, der zugleich Zuflucht, Resonanzraum und stiller Zeuge des 20. Jahrhunderts ist. Auf diesem Hof leben über viele Jahrzehnte hinweg unterschiedlichste Menschen zusammen, doch im Mittelpunkt stehen die Frauen: Mütter und Töchter, deren Lebenswege sich über Generationen hinweg überschneiden, ohne sich je ganz zu durchdringen.

Seit 2016 buhlte keine deutsche Produktion mehr um die Goldene Palme, jetzt schon: „In die Sonne schauen“ der Regisseurin und Drehbuchautorin Mascha Schilinski ist im Hauptwettbewerb vertreten
Seit 2016 buhlte keine deutsche Produktion mehr um die Goldene Palme, jetzt schon: „In die Sonne schauen“ der Regisseurin und Drehbuchautorin Mascha Schilinski ist im Hauptwettbewerb vertreten Foto: AFP/Xavier Galiana

Die Erzählung spannt einen weiten historischen Bogen – von der Zeit kurz vor dem Ersten Weltkrieg über das Ende des Zweiten Weltkriegs, durch die DDR-Jahre vor dem Mauerbau bis hinein in die Gegenwart. Dabei verknüpft der Film die Biografien seiner Protagonistinnen nur lose, lässt Verwandtschaft und Verbindung oft nur andeutungsweise durchscheinen – ganz wie in der Erinnerung selbst, die nie vollständig und nie linear ist. Gesprochen wird wenig. Stattdessen begleiten Off-Stimmen das Geschehen, kommentieren leise, fragend, fast meditativ – als würde der Film eher horchen als erzählen. Vieles bleibt unausgesprochen, manche Zusammenhänge erschließen sich erst bei näherem Hinsehen oder vielleicht erst bei zweiter Betrachtung. Doch gerade diese Offenheit, das Fragmentarische verleiht dem Film seine Sogkraft. „Sound of Falling“ ist deshalb kein herkömmliches Familiendrama – er ist vielmehr ein poetischer Strom aus Bildern, Klängen und Bewegungen, getragen von einer fließenden Kamera und einem präzisen Gespür für Stimmungen.

Naturbeobachtungen verschmelzen mit menschlichem Innenleben, Wind in Bäumen, das Knarzen alter Dielen, das Licht auf einem Gesicht – all das wird bedeutungstragend, ohne je aufdringlich zu wirken. In seiner Form und Atmosphäre entfaltet der Film eine stille Einzigartigkeit, eine magische Qualität, die ihn im Wettbewerb von Cannes wie ein leises, aber eindringliches Echo aus einer anderen Welt erscheinen lässt. Bezüge zu Michael Hanekes „Das weiße Band“ drängen sich nahezu auf, der Film, der Haneke 2009 die Goldene Palme in Cannes einbrachte: Da wie hier wird das Bild eines gespenstischen Mikrokosmos gezeigt, das auch in Ansätzen zum Psychogramm wird, das so sehr auf Autorität, Angst und Unterwerfung aufgebaut ist, dass die zwei rahmenden Weltkriege nahezu wie ein Vehikel erscheinen. Über das Voice-over und die nahezu lyrischen Passagen aus Landschaftsaufnahmen erinnert „Sound of Falling“ stellenweise ebenso an die Filme von Terrence Malick, ohne aber dessen Grad an Esoterik jemals wirklich ernsthaft anzustreben. „Sound of Falling“ ist bisher einer der sperrigsten und herausforderndsten Filme in Cannes, dessen Verweigerungsgrad seinen Reiz im Besonderen ausmacht.

Standing Ovations für Tom Cruise

Tschüss, „Mission: Impossible“: Der Schauspieler Tom Cruise zieht mit „The Final Reckoning“ einen Schlussstrich unter die Action-Reihe
Tschüss, „Mission: Impossible“: Der Schauspieler Tom Cruise zieht mit „The Final Reckoning“ einen Schlussstrich unter die Action-Reihe Foto: AFP/Jung Yeon-je

Auch der große Hollywood-Blockbuster mitsamt Star-Präsenz kam beim Auftakt der 78. Filmfestspiele von Cannes nicht zu kurz: Tom Cruise verabschiedet sich mit einem Knall aus der „Mission: Impossible“-Reihe. Die Premiere in Cannes von „Final Reckoning“ wurde mit fünfminütigen Standing Ovations gefeiert. Herausstechen in diesem großen Spektakel vor allem fulminante Actionsequenzen, darunter eine atemberaubende Unterwassermission und eine waghalsige Verfolgungsjagd, die zum Markenzeichen der Reihe wurde. „Final Reckoning“ beginnt mit dichter Exposition und verliert sich gelegentlich in filmübergreifender Selbstreflexion, indem beständig auf die vergangenen Ereignisse der Reihe angespielt wird, bietet aber insgesamt ein unterhaltsames und nostalgisches Finale, das die Fans der Serie zufriedenstellen dürfte.