Montag22. Dezember 2025

Demaart De Maart

In Luxemburgs Kinos„Dracula“ und „L’accident de piano“ offenbaren zwei Tragödien – die eine ist Kult, die andere entspricht dem Zeitgeist

In Luxemburgs Kinos / „Dracula“ und „L’accident de piano“ offenbaren zwei Tragödien – die eine ist Kult, die andere entspricht dem Zeitgeist
V.l.: Raphael Luce, Christoph Waltz, Guillaume De Tonquédec und Matilda De Angelis in „Dracula: A Love Tale“ Quelle: imdb.com

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Eine bittersüße Tragödie (Rating: 3/5 Punkte)

Mit „Dracula: A Love Tale“ wagt Luc Besson eine visuell opulente, zwischen Pathos, Camp und romantischem Drama oszillierende Neuinterpretation der wohl bekanntesten Vampirfigur der Literatur- und Filmgeschichte.

Luc Besson widmet sich einem der ikonischsten Mythen der Filmgeschichte: Bram Stokers „Dracula“. In „Dracula: A Love Tale“ richtet er den Fokus auf eine zutiefst romantische und tragische Dimension des Vampirs – weniger Horror, mehr Herzschmerz. Irgendwo zwischen der barock-manieristischen Sinnlichkeit von Francis Ford Coppolas „Bram Stoker’s Dracula“ (1992) und der expressionistischen Strenge von Robert Eggers’ „Nosferatu“ (2025) sucht Besson seinen eigenen Ton – und findet ihn in einer fast opernhaften Liebesgeschichte.

Die Handlung beginnt im 15. Jahrhundert: Prinz Vlad, vom Glauben abgefallen und verflucht, wird zum Vampir – ewig verbannt, doch getrieben von der Sehnsucht nach seiner verstorbenen Frau. Vier Jahrhunderte später, im Paris des 19. Jahrhunderts, trifft er auf eine Frau, die seiner verlorenen Liebe gleicht – und die Jagd beginnt. Diese Begegnung entfaltet eine Geschichte, die sich zwischen Wiedergeburtsfantasie, sehnsüchtiger Obsession und metaphysischem Zweifel bewegt. Thematisch zentriert sich Bessons Film auf Verlust, Sehnsucht und die Last der Unsterblichkeit. Der Vampir ist hier kein reines Monster, sondern ein Liebender, dessen ewiges Leben zur Strafe wird. Zugleich spielt der Film mit Motiven von Glaube und Fluch – Vlad verflucht Gott in einem Akt ultimativer Rebellion, die religiöse Tragik der Figur verstärkend. Die Erinnerung an seine Geliebte wird zur zentralen Triebkraft der Handlung und eröffnet Fragen nach Identität, Erlösung und Selbstzerstörung.

Besson inszeniert seine Erzählung als eine Verschmelzung, die romantische Melodramen und barocke Fantasiewelten zusammenführt. Er verweigert sich dem reinen Horror und kreiert stattdessen eine Art Gothic-Romantik. Optisch bewegt sich der Film zwischen manieristischem Überschwang und artifizieller Traumlogik. Die Ausstattung von Hugues Tissandier entführt in opulent gestaltete Räume – von barocken Schlössern über detailverliebte Pariser Straßen bis zu fantastischen Kulissen wie einem Rummelplatz. Corinne Bruands Kostüme nutzen eine expressive Farbpalette: violett als Signatur Draculas, blassblau für Mina, burgunderrot für Maria.

Darstellerisch setzt Caleb Landry Jones auf eine fast tänzerische Körpersprache, die Draculas Verletzlichkeit ebenso transportiert wie seine aristokratische Autorität. Christoph Waltz als Priester und Vampirjäger bringt lakonischen Humor ein, Matilda De Angelis spielt die Geliebte mit sanfter Intensität. Danny Elfmans Filmmusik untermalt die Melancholie und den opernhaften Schwung. Ton und Stil schwanken zwischen Melodrama, Humor und visuellem Exzess, das stellenweise ins Campartige kippt.

Neuverfilmung im Vergleich

Im Vergleich zu Coppolas Film fällt auf: Beide Werke teilen die Vorliebe für das Bilderstürmerische, die barocke Sinnlichkeit; aber während Coppola Erotik und animalische Verführung ins Zentrum stellte, wählt Besson einen introspektiven Ansatz. Noch deutlicher wird der Kontrast zu Robert Eggers’ „Nosferatu“. Wo Eggers mit entsättigten, expressionistischen Bildern, handgemachten Effekten und bedrückender Atmosphäre den archaischen Schrecken des Vampirs wiederbelebt, umarmt Besson das Überladene, Farbige, Traumhafte. Eggers’ Vampir ist bedrohlich, uralt, ein Alptraumwesen aus der Folklore. Bessons Blutsauger hingegen ist ein Melancholiker im Gewand eines Aristokraten, ein Gefangener seiner eigenen Sehnsucht. Beide Regisseure eint nur, dass sie sich weit vom Mainstream-Horror entfernen – aber während Eggers den Zuschauer in die Finsternis stößt, bietet Besson ihm einen Platz im samtbezogenen Theatersessel.

„Dracula: A Love Tale“ entdämonisiert den Vampir und liest ihn als zutiefst menschliche Figur. Coppolas sinnliche Pracht und Eggers’ unheimliche Authentizität bleiben hingegen unerreicht. Luc Bessons „Dracula: A Love Tale“ ist eine Einladung, den Mythos nicht als Blutrausch, sondern als bittersüße romantische Tragödie zu sehen.


Die Verlassenheit unserer Zeit (Rating: 3/5)

Quentin Dupieux, der Meister des Absurden, meldet sich mit „L’accident de piano“ zurück – einem düsteren, melancholischen Werk, das seine prägnante Mischung aus surrealem Humor und scharfer Gesellschaftskritik weiterentwickelt.

„Je suis une artiste parce que mon activité consiste à faire quelque chose qui me demande aucun effort.“ Mit diesem lakonischen Bekenntnis liefert Magaloche – Influencerin, Schmerzunempfindliche und Hauptfigur in Quentin Dupieux’ „L’accident de piano“ – nicht nur eine zynische Sicht auf Kunst, sondern auch eine prägnante Definition einer soziologischen Zustandsbeschreibung, in der Kreativität nicht mehr von Mühe, Können oder Inhalt lebt, sondern allein von der Selbstbehauptung und ihrer Vermarktung.

Adèle Exarchopoulos gibt die Influencerin ohne Schmerzgefühl, die sich wegen eines Unfalls aus der Öffentlichkeit zurückzieht
Adèle Exarchopoulos gibt die Influencerin ohne Schmerzgefühl, die sich wegen eines Unfalls aus der Öffentlichkeit zurückzieht Copyright: Chi-Fou-Mi Productions, ARTE France Cinéma, Auvergne Rhône-Alpes Cinéma

Magalie Moreau, genannt Magaloche, wurde mit einer Schmerzunempfindlichkeit geboren, die sie – nachdem sie eine inspirierende Folge von „Jackass“ gesehen hatte – zu ihren ersten Videos als junge Influencerin im digitalen Zeitalter bewegte. Die Künstlerin hat schnell erkannt, dass sie durch das öffentliche Zurschaustellen von Selbstverletzungen zu digitalem Ruhm in den sozialen Medien gelangen kann. Ihre Inszenierung des Schmerzes wird zur Marke – ein bitterböser Kommentar auf die heutige Mediengesellschaft, in der Authentizität zunehmend durch performative Oberflächlichkeiten ersetzt wird. Im Zentrum der Handlung steht ein folgenschwerer Wendepunkt. Nach einem Unfall mit einem Klavier zieht sich Magalie aus der Öffentlichkeit zurück, doch eine hartnäckige Reporterin zwingt sie unter Androhung von Enthüllungen zu ihrer ersten und einzigen Interview-Aufnahme – ein erbarmungsloses Duell beginnt.

Nachdem Dupieux mit „Le deuxième acte“ (2024) ein spielerisches und metadiskursives Kapitel seines Schaffens abgeschlossen hat, richtet er seinen Blick in „L’accident de piano“ nun auf die dunkleren Seiten der modernen Selbstinszenierung und medialen Sensationslust, die sich in der Besessenheit nach immer neuen, dramatischen Bildern äußert. Hier zeigt sich Dupieux’ Feingefühl für das Zeitgenössische, verpackt in eine surreale Form, die der Realität durch Überzeichnung den Spiegel vorhält. Magalie (und die Gesellschaft, die sie feiert) ist ein Produkt einer Zeit, in der das Innere leer ist, aber das Äußere permanent zur Schau gestellt wird – ein Vakuum, das durch Bilder, Likes und Aufmerksamkeitsökonomie gefüllt werden soll.

Parallelen und Wendepunkt

Schon in früheren Werken wie „Rubber“ (2010) oder „Le Daim“ (2019) hat Dupieux seine Vorliebe für das Absurde und das Groteske manifestiert. Seine skurrilen Figuren sind darin das Zentrum, sie sind getrieben von bizarren Obsessionen – wie Georges und seine Fixierung auf die Hirschlederjacke in „Le Daim“ oder die zwei einfältigen Freunde und ihr Wunsch, eine übergroße Fliege in „Mandibules“ (2019) auf Banküberfälle zu dressieren. Auch Magalie – von Adèle Exarchopoulos mit einer Mischung aus kindlicher Naivität und erschreckender Manie verkörpert – ist eine Figur, deren Verhalten immer extremer und irrationaler wird. Nicht nur ist sie schmerzfrei, sie ist auch unfähig, das Leid anderer zu erkennen. Der Einsatz surrealer Motive wie der auferstehende Rabe am Ende des Films, der als Symbol für die fortdauernde Wiederkehr der medial inszenierten Sensationsgier verstanden werden kann, signalisiert diesmal einen möglichen Wendepunkt bei Dupieux: „L’accident de piano“ ist sein wohl dunkelster, melancholischster Film.

Wo er sonst das Absurde wie ein trojanisches Pferd benutzt, um das Tragische nur schemenhaft durchblitzen zu lassen, lässt er hier den ausgelassenen Humor fast gänzlich zurücktreten. Die grotesken Einfälle sind noch da, doch sie dienen nicht mehr als Befreiungsschlag, sondern verstärken das Gefühl einer Welt, in der jede neue Technologie unweigerlich in Selbstschädigung oder Idiotie mündet. Statt befreiendem Lachen herrscht eine kalte, fast klinische Beobachtung – die Komik ist spröde, entwaffnend, und sie hinterlässt den Beigeschmack einer endgültigen Diagnose.