Tageblatt: Ihre Eltern waren beide Opernsänger, Sie aber haben den Weg des Dirigenten eingeschlagen. Warum?
Mateusz Moleda: Ja, meine Eltern haben beide über ein Jahrzehnt an der Semperoper in Dresden gesungen und ich bin dort quasi aufgewachsen. Mein Kinderwagen stand in der Seitenloge, als kleines Kind war ich bei vielen Proben dabei und habe dann auch etwas später großartige Dirigenten beobachten können. Oper war und ist sehr nah an meinem Herzen, ich beschloss aber zuerst, Klavier zu studieren. Als Pianist bin ich sehr viel gereist, habe in über 25 Ländern gespielt, irgendwann kamen jedoch Zweifel auf. Man ist stundenlang allein mit dem Klavier, was für mich auf Dauer schwer zu ertragen war. Vom Wesen her bin ich ein kommunikativer Typ und suche auch beim Musizieren den gemeinsamen Austausch.
Im Oktober 2023 haben Sie den 1. Preis beim Sergei-Kussewitzky-Dirigierwettbewerb gewonnen und auch den Sonderpreis des Orchesters erhalten.

Warum ich mich überhaupt entschied, an einem Wettbewerb teilzunehmen, hatte mit der Corona-Pandemie zu tun. Die Gründe waren also nicht künstlerischer oder karriereoptimierender Natur, sondern praktisch bedingt. Wir als Künstler hatten ja damals sehr wenig Gelegenheiten, öffentlich aufzutreten. Der Kussewitzky-Wettbewerb war organisatorisch sehr gut aufgestellt und bot uns Teilnehmern die Möglichkeit, wirklich ernsthaft mit einem Orchester zu arbeiten. 247 Kandidaten hatten sich angemeldet, nach einer Videoauswahl wurden nur acht Kandidaten, drei Frauen und fünf Männer, eingeladen. In der nächsten Runde waren es nur noch drei Anwärter, die ins Finale kamen. Ich habe am Ende auch den Sonderpreis des Orchesters erhalten, was mich besonders ehrt, denn von Orchestermusikern ausgezeichnet zu werden, ist nochmal etwas anderes, als von einer internationalen Jury von Dirigenten und Dirigierprofessoren prämiert zu werden. Und dann ging vieles plötzlich sehr schnell. Ich wurde unter anderem von der Sächsischen Staatskapelle Dresden, ohne Frage einem der besten Orchester der Welt, eingeladen, ein Mendelssohn-Programm in der Semperoper – sozusagen meinem Wiegenort – zu dirigieren. Das war jetzt im Juni 2025.
Sie hatten aber vorher schon recht viel Dirigiererfahrung.
Ja, ich habe bereits mit 19 Jahren begonnen, zu dirigieren, und mir somit schon recht früh ein gewisses Grundrepertoire erarbeitet und auf praktische Weise gelernt, mit einem Orchester umzugehen. Sowohl musikalisch als auch menschlich. Der große russische Dirigent Yuri Temirkanov hat einmal gesagt: „Dirigieren ist eher eine Tätigkeit für die zweite Lebenshälfte. In der ersten lernt man Repertoire und mit Menschen umzugehen.“ Dieser Beruf setzt wie kein anderer Musikerberuf auf praktische Erfahrungen.
Was sind die Vorteile, wenn man mit einem Kammerorchester wie dem OCL arbeitet?
Im Prinzip reagieren Kammerorchester schneller als große symphonische Orchester. Man kommt zügiger ans Ziel. Ein Orchester wie das OCL spielt nicht nur sehr gut, es setzt sich aus Musikern zusammen, die aus vollem Herzen musizieren und die auch neugierig sind. Das ist natürlich ideal, denn so kann man detaillierter proben und innerhalb kurzer Zeit wirklich etwas Gemeinsames erschaffen, was auch die Musiker weiterbringt. Ein Werk wie Schumanns 2. Symphonie verlangt einen gewissen Klang. Wenn ich wie hier nur drei Kontrabässe und vier Celli zur Verfügung habe, muss ich andere Anweisungen bezüglich der Klangbalance geben. Schumanns Orchestrierung kommt einem dabei entgegen, da sie eher kammerorchestral ausgerichtet ist und die Musiker des OCL es darüber hinaus gewohnt sind, aufeinander zu hören und Dinge selbst abzufangen und auszugleichen.
Ich bin ja sowohl Deutscher als auch Pole. In meiner musikalischen Arbeit fehlt mir aber oft der polnische Teil. Es gibt wunderbare polnische Komponisten, die nicht sehr bekannt sind, aber außerordentlich gute Musik geschrieben haben.
Sie waren Assistent bei zwei sehr außergewöhnlichen und eigentlich gegensätzlichen Dirigenten – nämlich bei Marek Janowski, einem Vertreter der großen Tradition, und bei Teodor Currentzis, einem Erneuerer. Wie haben Sie das erlebt?
Mit Currentzis habe ich nur kurz gearbeitet. Und diese Zusammenarbeit kam nur durch die Corona-Pandemie zustande. Er war Chefdirigent des SWR-Symphonieorchesters und das sollte in der Spielzeit 2021/22, nach den fortwährenden Lockdowns, wieder auf Europa-Tournee gehen. Weil man aber noch nicht wusste, welche Auswirkungen Corona während einer internationalen Konzertreise eines Orchesters haben könnte, war man vorsichtig und wollte einen Ersatzdirigenten, der im Falle, dass Currentzis krank werden würde, einspringen und die Tournee ohne Änderungen weiterführen könnte. Ich war also zugleich sein Assistent und Cover. Janowski ist ein Pragmatiker, ein Kapellmeister im besten Sinne, bei dem der Komponist immer im Vordergrund steht. Seine Proben sind so klar organisiert und strukturiert, dass sich jeder Musiker sofort zurechtfindet und genau weiß, was zu tun ist. Genau diese Arbeitsweise habe ich übrigens im Kussewitzky-Wettbewerb angewendet, was ja unbestritten zum Erfolg geführt hat. So aus der Zeit gefallen kann das also nicht sein und ich werde das bis zu meinem Lebensende gegen Kritiker, die sagen, es sei uninspiriert und spröde, verteidigen.
Das Konzert
Am Dienstag, dem 7. Oktober, um 19.30 Uhr, tritt das Orchestre de Chambre du Luxembourg unter der Leitung von Mateusz Moleda in der Philharmonie in Luxemburg-Stadt auf. Mehr Infos unter ocl.lu.
Im Konzert mit dem OCL spielen Sie neben der 2. Symphonie von Schumann auch noch das 1. Cellokonzert von Schostakowitsch mit Alban Gerhardt und Orawa des polnischen Komponisten Wojciech Kilar. Was können Sie über letzteres Werk sagen?
Kilar hat Orawa 1986 komponiert, es ist aber kein zeitgenössisches Stück im eigentlichen Sinne. Vielmehr orientiert es sich an folkloristischer Klangtradition, obwohl natürlich auch moderne Sequenzen zu hören sind. Orawa handelt vom gleichnamigen Fluss und der Bergregion in Südpolen. Die repetitiven Motive und die allmähliche Steigerung der Intensität fangen den Geist der polnischen Volksmusik auf wunderbare Weise ein. Obwohl das Stück nur für Streichorchester komponiert ist, verströmt es eine ungeheure Energie und zieht das Publikum durch seien hypnotischen Rhythmus in seinen Bann.
Haben Sie zum Abschluss noch ein paar Worte zum Komponisten?
Ich bin ja sowohl Deutscher als auch Pole. In meiner musikalischen Arbeit fehlt mir aber oft der polnische Teil. Es gibt wunderbare polnische Komponisten, die nicht sehr bekannt sind, aber außerordentlich gute Musik geschrieben haben. Ich habe es mir deshalb zu einer kleinen Aufgabe gemacht, bei meinen Konzerten, soweit es möglich ist, immer ein Werk eines polnischen Komponisten mit ins Programm zu nehmen. Wojciech Kilar – er lebte übrigens von 1932 bis 2013 – war ein sehr renommierter Komponist in Polen, der viele Stilrichtungen beherrschte. Und in einem Atemzug mit Szymanowski, Lutosławski, Penderecki und Górecki genannt wird. Ab 1970 widmete sich Kilar auch der Filmmusik und arbeitete unter anderem mit Francis Ford Coppola bei Bram Stoker’s „Dracula“, mit Roman Polanski bei „Der Pianist“ und mit Krzysztof Zanussi beim Shoa-Drama „Der Klang der Stille“ zusammen. Das OCL und ich freuen uns sehr, dem luxemburgischen Publikum Orawa vorzustellen.
De Maart
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