21. November 2025 - 6.51 Uhr
LeserforumDigitale Souveränität darf nicht zur Gefahr unserer Demokratie werden
Der „Gipfel zur Europäischen Digitalen Souveränität“ in Berlin hat eines deutlich gemacht: Europa steht unter massivem Handlungsdruck. Wenn Bundeskanzler Friedrich Merz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron betonen, dass sich Europa aus technologischen Abhängigkeiten von den USA und China befreien müsse, haben sie recht. Denn wer auf fremde Technologien angewiesen ist, verliert politische Handlungsfähigkeit. Dieser Anspruch darf jedoch nicht dazu führen, dass Europa seine demokratischen Grundrechte gefährdet.
Gerade jetzt wird die Verletzlichkeit unserer Gesellschaft deutlich: Europa ist fast täglich von Cyberangriffen betroffen und auch Luxemburg rückt zunehmend ins Visier internationaler Krimineller. Phishing, Ransomware und Deepfakes bedrohen uns alle. So stieg die Anzahl der Phishing-Anzeigen von 28 (2020) auf über 2.100 im Jahr 2024. Laut dem House of Cybersecurity werden jährlich Tausende Vorfälle registriert, von denen rund 30 bis 40 als besonders schwerwiegend eingestuft werden. Wenn Krankenhäuser, Ministerien und kritische Infrastruktur attackiert werden – wie im Juli die Post –, ist die Bedrohung real. Frankreichs Wirtschaftsminister Lescure bringt es auf den Punkt: Unsere Demokratie wird längst digital angegriffen. Europa braucht also mehr Schutz und nicht weniger.
Umso irritierender ist die Richtung, die die EU-Kommission mit dem geplanten „Digitalen Omnibus“ einschlagen will. Unter dem Deckmantel der „Vereinfachung“ sollen ausgerechnet jetzt, wo Desinformationen Wahlen beeinflussen und Staaten per Klick lahmgelegt werden können, die Datenschutz- und KI-Regeln gelockert werden. Laut ersten Entwürfen könnten sensible Daten leichter von Datenhändlern genutzt werden. Das wäre der größte Rückschritt für digitale Grundrechte seit Bestehen der EU. Wer glaubt, digitale Souveränität lasse sich gewinnen, indem man den Datenschutz abbaut, verkennt den Kern des Begriffs. Die Schwächung der Bürgerrechte macht Europa nicht unabhängiger, sondern verwundbarer und genau jener Abhängigkeit ausgesetzt, die man überwinden will. Digitale Souveränität bedeutet nicht Deregulierung, sondern die Fähigkeit, eigene Technologien aufzubauen, offene Software zu fördern und sich gegen Erpressbarkeit durch große Techgiganten zu schützen. Es gibt funktionierende Beispiele: Städte, Verwaltungen und Behörden in ganz Europa beweisen, dass Open-Source-Lösungen, europäische Cloud-Infrastrukturen und strenge Datenschutzstandards miteinander vereinbar sind.
Ja, Europa braucht Investitionen in Forschung, sichere Infrastruktur und technologische Unabhängigkeit. Was es hingegen nicht braucht, ist ein technokratischer Kuhhandel, bei dem Grundrechte als „Bürokratie“ abgestempelt werden. Digitale Souveränität ohne starken Datenschutz ist keine Modernisierung, sondern eine Gefahr für unsere Demokratie. Wer Daten schützt, schützt Europa. Wer sie preisgibt, opfert die Demokratie.
De Maart
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