Montag22. Dezember 2025

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Forum von Michael JäckelDie Zeit im Regal

Forum von Michael Jäckel / Die Zeit im Regal
  Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Man stelle sich für einen Moment vor, dass die Produkte in den Regalen der Supermärkte sprechen könnten. In der Werbung tun sie es ja ohnehin. Das Marketing ist schließlich dazu da, den toten Waren eine Stimme zu verleihen, sie werden mit Leben ausstaffiert. Aber manche müssten sich als besonders redegewandt erweisen. Sie hoffen auf Kauf und/oder Konsum, obwohl die ihnen zugedachte Konsumzeit noch gar nicht gekommen scheint. Warum diese Eile?

Es ist verwunderlich, wie früh angeblich die Konsumenten bereits mit den Planungen für ein bedeutendes Fest beginnen

Das Kommen, Gehen und Bleiben gehört zu den Standards eines Produkts im Regal. Vielleicht muss auch einmal ein Umzug ertragen werden, weil die Marktleitung davon überzeugt ist, mitten im Gang mehr Kaufbereitschaft auslösen zu können. „Stopper“ werden diese Hindernisse genannt. Aber wenn der Kunde zugreift, verändert sich die Umwelt des Angebots. Gerade stand man noch neben der Schokoladentafel, nun liegt das Lebkuchenherz in einem Einkaufswagen. Das ist ein typisches Beispiel für Kommen und Gehen. Aber das Bleiben findet eben auch statt. Es gleicht einem doppelten Ladenhüter-Dasein: die lang andauernde Produktpräsenz als solche und die „individuelle“ Verweildauer. Da mag sich ein wenig Staub ansetzen, bevor sich an der jeweiligen Lage etwas ändert.

Vorfreude

Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Jäckel war von 2011 bis 2023 Präsident der Universität Trier. Er war und ist in mehreren bundesdeutschen Gremien, die sich mit der Digitalisierung des Hochschulwesens befassen, engagiert. Seit Mai 2024 ist er Sprecher des Leitungsgremiums des Virtuellen Campus Rheinland-Pfalz (www.vcrp.de). Der VCRP wurde im Jahr 2000 gegründet und feiert in diesem Jahr sein 25-jähriges Jubiläum.
Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Jäckel war von 2011 bis 2023 Präsident der Universität Trier. Er war und ist in mehreren bundesdeutschen Gremien, die sich mit der Digitalisierung des Hochschulwesens befassen, engagiert. Seit Mai 2024 ist er Sprecher des Leitungsgremiums des Virtuellen Campus Rheinland-Pfalz (www.vcrp.de). Der VCRP wurde im Jahr 2000 gegründet und feiert in diesem Jahr sein 25-jähriges Jubiläum. Foto: Editpress/Julien Garroy

Das sorgt gelegentlich schon einmal für Erstaunen. Aber als weitaus überraschender erweisen sich Angebote, die bereits in die Regale einziehen, bevor ihre eigentliche Zeit gekommen ist. Es ist verwunderlich, wie früh angeblich die Konsumenten bereits mit den Planungen für ein bedeutendes Fest beginnen. Jedenfalls kann der Osterhase durchaus darauf hoffen, mit dem Nikolaus noch ein wenig plaudern zu können. Je nach Anbieter kann das schon kurz nach den Weihnachtsfeiertagen beginnen, in der Regel Mitte Januar. Das hat mit der kirchlichen Tradition wenig zu tun. Es sind die Zeitpläne des Einzelhandels und die Zeitpläne der Produzenten, die in den Märkten für die Koexistenz verschiedener Zeitvorstellungen sorgen. Der Marktkalender blickt auf die Festlegung des Feiertags im Kirchenkalender und fühlt sich fortan dazu verpflichtet, den Kunden regelmäßig zu erinnern, dass nach dem Fest vor dem Fest ist – auch wenn das noch dauern kann.

Was für die einen ein guter Plan zu sein scheint, ärgert die anderen. Jeder weiß, wie wichtig die Vorfreude auf ein schönes Ereignis ist und wie gerne man, gerade im Advent, jeden Morgen zum Kalender schreitet und auf die nächste kleine Überraschung wartet. Aber diese andere zeitliche Ausdehnung leistet den psychologischen Effekt eben nicht.

Regale, so darf die Schlussfolgerung lauten, mögen keine Pausen

„Ausdehnung“ führt als Stichwort zu einer weiteren Auffälligkeit: Soll man tatsächlich glauben, dass das Geschäft des Jahres bereits beginnt, wenn sich Teile der Bevölkerung noch in den Sommerferien befinden? Ende August spüre man bereits Kaufsignale, die auf das Ende des Jahres hinweisen, wird vom Handel signalisiert. Wo also bleiben in diesem Wettlauf noch die Lücken, die einmal nicht vom Vorgriff auf Zukünftiges eingeholt werden? Regale, so darf die Schlussfolgerung lauten, mögen keine Pausen.

Zum frühen Wechsel gesellt sich schließlich noch die Resteverwertung. Das englische Wort discount steht für Rabatt, aber kann auch meinen: außer Acht lassen. Bevor die Ware endgültig aus der ihr zugedachten Präsenzzeit herausfällt, ändern sich noch einmal Ort und Preis. Der Platz im Regal ist nun anderen vorbehalten, vielleicht greift noch einmal jemand auf dem Weg zur Kasse zu, weil es sich aufgrund des Nachlasses nun allemal lohnt. Dann aber setzen sich voraussichtlich andere Verwertungsgedanken durch. Ein Zyklus geht zu Ende, aber so wirklich ist man doch nicht vom Markt verschwunden. Wer einmal Platz gemacht hat, kehrt auch wieder zurück – schneller, als man denkt. 

Anmerkung

Das Tageblatt schätzt den Austausch mit seinen Leserinnen und Lesern und bietet auf dieser Seite Raum für verschiedene Perspektiven. Die auf der Forum-Seite geäußerten Meinungen sollen die gesellschaftliche Diskussion anstoßen, spiegeln jedoch nicht zwangsläufig die Ansichten der Redaktion wider.