Samstag20. Dezember 2025

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Analyse von außenDie Welt von Gestern – Befinden wir Europäer uns erneut in einem Zeitenbruch?

Analyse von außen / Die Welt von Gestern – Befinden wir Europäer uns erneut in einem Zeitenbruch?
Droht Europa erneut eine historische Schieflage, ähnlich dem Zeitenbruch, den Stefan Zweig in seiner „Welt von Gestern“ beschrieb? Foto: AFP

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Als in Europa in den frühen Vierzigerjahren des 20. Jahrhunderts der Zweite Weltkrieg tobte, wurde in einem deutschen Exilverlag in Stockholm Stefan Zweigs „Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers“ veröffentlicht, in denen Zweig voller Traurigkeit das Ende des alten Europas im Furor zweier schrecklicher Weltkriege in Gestalt eines von ihm biografisch erlebten, veritablen „Zeitenbruches“ beschreibt.

Befinden wir Europäer uns heute, eben jetzt, erneut in einem solchen Zeitenbruch? Erleben wir erneut das Verschwinden einer alten Ordnung, an der wir so lange gehangen und die nicht wenige von uns geliebt haben, die zuerst nur Westeuropa und nach 1989 dann dem ganzen europäischen Kontinent, mit Ausnahme des früheren Jugoslawiens, Frieden, Sicherheit und Wohlstand garantiert hat? Erleben wir jetzt eine Art „Welt von Gestern 2.0“, einen Abschied von jener transatlantischen Welt, die Europa so überaus gutgetan hat, weil sie nach zwei den Kontinent verheerenden Weltkriegen Frieden, Sicherheit, Demokratie und Wohlstand garantierte?

Der Rückzug Amerikas aus Europa hat schon einmal radikalen Ideologien und Hassbotschaften einen verhängnisvollen Raum verschafft: unter Hitler und seinen Nazis – extremen Nationalisten und Verherrlichern von Gewalt und Rassismus, Feinden der Demokratie und glühenden Anhängern der Diktatur. In Deutschland übernahmen die Nazis damals die Macht und lösten gewollt und bewusst den Zweiten Weltkrieg aus, der Europa ins Unglück stürzte.

Gefährliches Zeitfenster

Wo stehen wir heute? Russland hat die Ukraine militärisch angegriffen. Das ist zwar für Europa hochgefährlich, zumal Putin neuerdings die Abwehrbereitschaft der NATO in deren Luftraum testet und die verbale Solidarität des Allianzpartners USA sehr mau ausfällt, aber nicht mit einem Weltkrieg vergleichbar. Putin riecht seine Chance, mit der (freiwilligen oder unfreiwilligen) Hilfe von Donald Trump eine neue Weltordnung zu seinen Gunsten zu bauen. Europa wird dabei für seine Politik der Revision der globalen Ordnung die erste Adresse sein. Die USA unter Trump halten sich zurück, und Europa ist militärisch noch schwach und unentschlossen. Dieses Zeitfenster, das sich für Putin ergibt, wird er nutzen müssen.

Auf dieser Seite des Atlantiks fragen sich zudem viele nach dem Sinn der Politik des Donald Trump, einer Politik, die auf die Selbstschwächung der USA und des gesamten Westens hinausläuft. Warum diese Rücksichtnahme auf Putin und Russland? Weil Trump die Eskalation zu einem großen Krieg fürchtet? Aber es ist ganz im Gegenteil genau diese Politik der Rücksichtnahme auf den Kreml, diese Distanzierung von der Ukraine und seinen europäischen Bündnispartnern, die den Kreml zur weiteren Aggression ermutigt und so destabilisierend wirkt.

Die Europäer lebten gut und sicher in dieser Welt und vergaßen oder vernachlässigten dabei leider ihre Pflichten, die sich aus ihrem wachsenden Wohlstand ergaben, bis Donald Trump kam, der „Schluss, aus und vorbei“ gegenüber den Europäern erklärte.

Die transatlantische Welt lebte unter dem militärischen Schutz eines starken Amerikas. Getragen von starken Bündnissen (der NATO für die Sicherheit und der EU für die Wirtschaft und Demokratie und Recht), war Westeuropa über die langen Jahrzehnte des Kalten Krieges eine Art Protektorat, das dabei Teile seiner Souveränität verlor oder besser: vergaß.

Die Europäer lebten gut und sicher in dieser Welt und vergaßen oder vernachlässigten dabei leider ihre Pflichten, die sich aus ihrem wachsenden Wohlstand ergaben, bis Donald Trump kam, der „Schluss, aus und vorbei“ gegenüber den Europäern erklärte. Der daraufhin erfolgende Absturz der Europäer aus der wohligen Gemütlichkeit des Protektorats in die eisige machtpolitische Realität einer einsamen europäischen Souveränität verlief zu schnell und der Aufprall auf dem Boden der Tatsachen war sehr hart – ein Schock, zumal man es mit einem in der Ukraine kriegführenden Nachbarn Putin zu tun hat, der nicht zum Spaßen aufgelegt ist.

Amerika im Wandel

Eine weitere Frage, die zunehmend in das Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, betrifft Amerika selbst, nach wie vor die größte und wichtigste Macht weltweit. Was wird mit ihm? Diese stolze, älteste Demokratie auf der Erde ist in Gefahr. Fast täglich erreichen uns Nachrichten über einen weiteren Verlust unverzichtbarer Rechte und Verfahren, betrieben von seiner Bundesregierung unter Donald Trump. „The land of the free“ ist auf dem Weg, zu einer oligarchischen Autokratie zu werden. Die zahlreichen Dekrete und Verordnungen der Trump-Regierung haben die gesamte Atmosphäre grundsätzlich verändert. Früher waren die USA das Versprechen von Freiheit, heute hingegen fühlt man sich zusehends an die Atmosphäre eines autoritären Landes erinnert. Die „freie Rede, Meinungsfreiheit“ – in den alten, besseren Tagen die heilige Kuh der US-amerikanischen Demokratie – wird wohl demnächst durch einen Verfassungszusatz über die Strafbarkeit der Majestätsbeleidigung abgelöst werden. Ernsthaft wird unter der Hand darüber diskutiert, ob es zukünftig noch freie und geheime Wahlen geben wird. Und das im Mutterland der Demokratie.

Vergessen sei nicht, dass, was auch immer sich innenpolitisch in diesem großen, mächtigen, wunderbaren Land ereignen wird, immer auch uns alle betrifft, den Rest der Welt. Eine Welt ohne ein mächtiges, demokratisches Amerika wäre eine fundamental andere, schlechtere Welt.

Eine Stimmung von Abschied breitet sich aus über dem Atlantik, zumindest kann ich mich dieses Eindrucks nicht erwehren, von Traurigkeit auch, denn es stirbt gegenwärtig etwas, geht zu Ende, an dem ich sehr gehangen habe und immer noch hänge, nämlich der transatlantische Westen und mein Bild von Amerika als Hort der Freiheit, Demokratie und Sicherheit.

* Joschka Fischer war von 1998 bis 2005 deutscher Außenminister und Vizekanzler. In den beinahe 20 Jahren seiner Führungstätigkeit bei den Grünen trug er dazu bei, aus der ehemaligen Protestpartei eine Regierungspartei zu machen.

Copyright: Project Syndicate, 2025, www.project-syndicate.org

fraulein smilla
1. Oktober 2025 - 23.34

Ausgerechnet die , welsche vor gut 55 Jahren Ami ( oder Yankee ) go home skandierten , weinen nun Krokodilstraenen weil Amerika der Hort der Freiheit , Demokratie und Sicherheit ( sic ) uns nicht mehr lieb hat .

Luxmann
1. Oktober 2025 - 7.47

Soll das eine historische analyse sein?
Ein aufsatz der unter dem titel Welt von gestern steht,dann sich aber beschraenkt auf Europa nach 1918 und dessen beziehung zu den glorreichen USA und nicht mal in einem nebensatz den hauptgrund des niedergangs des alten kontinents ernimmt,naemlich den fast definitiven verlust der koloniareiche der europaeischen maechte in dieser zeit.