Die Welt kann warten: Die Luxemburgerin Jil und ihre Entscheidung, in Belval zu studieren

Die Welt kann warten: Die Luxemburgerin Jil und ihre Entscheidung, in Belval zu studieren

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„Endlich weg von zu Hause!“ Dieser Gedanke geht wohl den meisten Jugendlichen durch den Kopf, nachdem sie ihr „Diplôme de fin d’études secondaires“ in die Hand gedrückt bekommen. Trotzdem entscheiden sich einige Schüler dazu, hierzulande zu studieren. Doch wie ist das Studentenleben in Luxemburg überhaupt so? Jil Hermes hat dem Tageblatt Antworten geliefert.

Von Lisa Rock

2003 wurde die Universität Luxemburg als erste und einzige öffentliche Universität des Großherzogtums gegründet. Sie beschäftigt rund 1.800 Menschen. Studierende gibt es über 6.300. Eine von ihnen ist die 19-jährige Medizinstudentin Jil Hermes. Sie wusste schon von klein auf, dass sie Ärztin werden wollte. Schuld daran sind wahrscheinlich Fernsehsendungen wie „Grey’s Anatomy“ und „Doctor’s Diary“, die Jil regelmäßig mit ihrer Mutter geschaut hat. Nach der Grundschule besucht Jil das „Lycée classique d’Echternach“. Dort hat sie während des ersten Jahrs die Möglichkeit, ein Praktikum von einer Woche in einem von ihr gewählten Beruf zu absolvieren. Jil landet daraufhin in einem Krankenhaus, wo sie von den Schwestern und Pflegern an den Beruf der Krankenschwester herangeführt wird.

„Ich habe mich in dem klinischen Umfeld sofort wohlgefühlt“, erinnert sich Jil. Nach diesem Praktikum steht für sie dann endgültig fest, welchen Beruf sie wählen will: Menschen heilen und gesund pflegen soll es sein! So entscheidet sie sich dazu, Latein zu lernen und wählt die C-Sektion („sciences naturelles – mathématiques“) – ausschlaggebende Entscheidungen, um ein Medizinstudium zu beginnen.

Warum Luxemburg?

Eigentlich gehört Jil zu den jungen Erwachsenen, die nach ihrem Abschluss das Nest verlassen und im Ausland studieren möchten. Allerdings wollte sie nicht allzu weit weg, und Luxemburgs Nachbarländer bieten ihrer Meinung nach keine optimalen Voraussetzungen, um für ein Medizinstudium angenommen zu werden. Um in Deutschland Medizin studieren zu können, muss man eine Gesamtnote von mindestens 50 von 60 Punkten erreichen. Das lag für Jil zwar im Bereich des Möglichen, doch neben dem Pauken wäre nicht viel Freizeit für sie übrig geblieben. In Frankreich hätte sie das andere Extrem erwartet. Dort wird nämlich jeder, der sich für ein Medizinstudium bewirbt, angenommen. Für das zweite Studienjahr sind jedoch nur noch 200 Plätze frei. Die Klausuren und Examen werden also absichtlich etwas schwieriger gestaltet, damit weniger Studenten sie erfolgreich absolvieren und sich nachher weniger von ihnen um die 200 Plätze streiten müssen. „Ich hätte keine Lust darauf gehabt, mit 2.000 Leuten in einem Hörsaal zu sitzen“, erklärt Jil.

Die Universität Luxemburg hingegen nimmt genau 100 Studenten für das erste Jahr des Medizinstudiums an. Im zweiten Jahr sind dann noch 50 Plätze vorhanden. Eine Chance von 50 Prozent schien Jil nicht allzu unrealistisch. Sie bewirbt sich und wird angenommen. Voraussetzung war ein gewisses Niveau in der deutschen und französischen Sprache, doch weil sie in Luxemburg zur Schule gegangen ist und hier ihren Abschluss gemacht hat, war das für sie kein Problem. Jedoch wird Jil nicht während ihres ganzen Studiums in Luxemburg bleiben. An der Uni.lu bleiben Medizinstudenten nur ein Jahr lang, bevor sie für den Rest des Studiums an eine der Partneruniversitäten in Frankreich oder Deutschland weitergeleitet werden.

Sie möchte für ihr zweites Studienjahr nach Nanzig. So hat sie einen strategischen Weg gefunden, das stressige erste Jahr des Medizinstudiums in Frankreich zu umgehen, indem sie ein Jahr lang hier im Land studiert. Die große, weite Welt kann für Jil also doch noch etwas warten. Was das Medizinstudium an sich angeht, ist sie sehr zufrieden. Die Umstellung vom Gymnasium auf die Universität war nicht allzu schlimm, vor allem, weil am Anfang in den Kursen noch Schulstoff unterrichtet wird, der eigentlich eine Wiederholung von dem ist, was Jil bereits im letzten Schuljahr beigebracht wurde.

Was jedoch ganz anders ist, ist die Tatsache, dass die jungen Erwachsenen, die mit ihr studieren, eine Art Konkurrenz für sie sind. Schließlich kann nur die Hälfte von ihnen zum zweiten Studienjahr zugelassen werden. Trotzdem versteht sie sich mit den anderen Studenten ihres Studiengangs gut und ihr Freundeskreis ist, seit sie die Universität besucht, gewachsen.

Erste eigene Wohnung

Jil Hermes’ Eltern wohnen in Befort. Der Hauptbau der Universität Luxemburg befindet sich in Belval. Da Jil kein Auto besitzt und die Verbindungen des öffentlichen Transports vom Elternhaus bis zur Universität eher dürftig sind, hat sie sich dazu entschlossen, sich eine Wohnung in Belval zu nehmen. Selbst dafür aufkommen, kann Jil allerdings nicht, da sie als Inlandsstudentin keine Börse für die Miete einer Wohnung bekommt. Ihre Eltern und ihre Großeltern legen für die Miete zusammen.

Was Jil allerdings noch nicht wusste, als sie die Wohnung gemietet hat: Sie muss zwischen dem Gebäude der Universität in Belval und dem Gebäude auf Limpertsberg pendeln und ist sogar öfter in der Hauptstadt. „Hätte ich vorher gewusst, dass nicht nur praktische Arbeiten, sondern ab diesem Jahr auch Kurse auf dem Limpertsberg stattfinden, dann hätte ich mir eine Wohnung in der Stadt genommen.“ Sogar während des Tages muss Jil manchmal zwischen Belval und Limpertsberg pendeln. Dieses Hin und Her soll allerdings ab 2020 ein Ende haben. Hinter der „Maison du savoir“, in der sich die Hörsäle befinden und sämtliche Vorlesungen stattfinden, werden nämlich gerade neue Gebäude gebaut. Die praktischen Arbeiten, welche die Medizinstudenten bisher auf dem Limpertsberg leisten mussten, sollen, nachdem diese Gebäude fertig sind, dann dort abgehalten werden.

Den öffentlichen Transport so gut wie möglich zu umgehen, war allerdings nicht der einzige Grund, warum Jil ihre eigene Wohnung wollte. Wie auch ihre Freunde, die im Ausland studieren, wollte auch Jil unbedingt die Erfahrung machen, endlich aus dem Elternhaus auszuziehen und selbstständig zu sein. „Es wurde einfach Zeit, etwas Freiheit zu bekommen“, sagt sie selbst.

Belval ist ein Übergang vor dem Ausland

Als Studentin in Belval eine Wohnung zu finden, war gar kein Problem. Dafür benutze Jil die Internetseite der Universität. Diese hat in Belval, Esch und auf dem Limpertsberg einige Wohnungsgebäude angemietet und vermietet die Wohnungen an ihre Studenten. Jils Wohnung befindet sich direkt neben der Universität in Belval. Sie schätzt, dass sie 20 bis 22 Quadratmeter groß ist – und sie hat einen Balkon, den Jil jedoch mit ihrem Nachbarn teilen muss. Es gibt auch einen Fitnessraum, einen Gemeinschaftsraum zum Entspannen mit Sofas und Sitzsäcken, ein „Booksharing“-Regal und einen Waschraum in dem Gebäude. Die Bewohner können das alles umsonst nutzen.

Eine Studenten-WG ist Jils Wohnung nicht. Es war ihr sehr wichtig, dass sie alleine lebt. Als Einzelkind wäre sie eine volle Wohnung nicht gewohnt. Jil braucht ihre Ruhe. Ihre Nachbarn sind andere Studenten, größtenteils ausländische, da Luxemburger, die auch in Luxemburg studieren, meistens bei ihren Eltern wohnen bleiben. Selbst kochen, Wäsche waschen, abspülen und andere häusliche Pflichten, die auf einen zukommen, sobald man alleine wohnt: kein Problem für Jil. Zu Hause hat sie das alles schon von klein an gelernt. Trotzdem meint Jil, dass sie das Alleinleben unterschätzt hatte. „Es war dann doch etwas mehr Arbeit als erwartet.“

Falls sie jedoch etwas nicht hinbekommt und Hilfe braucht, kann sie immer noch nach Befort gehen oder ihre Eltern kommen zu ihr. „Diese Art und Weise, in einer eigenen Wohnung zu wohnen und trotzdem nahe bei den Eltern zu leben, ist ein toller Übergang auf das richtige Alleinleben im Ausland nächstes Jahr“, meint Jil. Ihr Mietvertrag läuft auf ein Semester. Nächstes Semester muss sie ihn erneuern und nächstes Jahr, wenn es für sie hoffentlich nach Nanzig geht, kann ihre Wohnung dann an einen anderen Studenten vermietet werden.

Und das Nachtleben?

Da Jil nun eine Wohnung in Belval hat, kann das Studentenleben ja jetzt nachts richtig ausgelebt werden! Oder … eher doch nicht. Zwar befindet sich die Universität in Belval, wo sich tagsüber Tausende von Studenten aufhalten, „nachts hat das Viertel, außer der überteuerten Rockhal und ein paar vereinzelten Cafés, in denen ein paar Leute sitzen, leider nichts zu bieten“, bedauert die Studentin. Die Straßen Belvals seien nachts menschenleer. Wer feiern und tanzen möchte, muss in die Hauptstadt oder nach Esch fahren.

Einige Studentenverbindungen der Universität fangen jedoch so langsam an, Studentenabende und -events zu veranstalten. So wurde am Anfang des diesjährigen Wintersemesters eine „Studentsnight“ organisiert und es gab am Freitag vor dem 31. Oktober eine Halloween-Party. Ein neues Gebäude der Universität ist die „Maison des arts et des étudiants“, in der sich ein Konzertsaal befinden soll. Dieser Saal soll zukünftig für Studentenveranstaltungen genutzt werden. Für die Studenten Luxemburgs bleibt also zu hoffen, dass das Studentenleben bald auch in Belval ankommt.