Dienstag23. Dezember 2025

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Zum „Internationalen Roma-Tag“Die serbische Hip-Hop-Band „Pretty Loud“ rappt gegen Diskriminierung und für Frauenrechte

Zum „Internationalen Roma-Tag“ / Die serbische Hip-Hop-Band „Pretty Loud“ rappt gegen Diskriminierung und für Frauenrechte
Die erste Roma-Frauen-Hip-Hop-Band der Welt kommt aus dem serbischen Belgrad: die Sängerinnen Zlata, Elma, Silvija und Selma (v.l.n.r.) von Pretty Loud Quelle: Grubb, Belgrad/Serbien

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Heute ist „Internationaler Tag der Roma“. In dem Kontext werfen wir einen Blick auf die Sängerinnen der ersten weiblichen Roma-Hip-Hop-Band der Welt: Pretty Loud. Sie finden nicht mehr nur in den Roma-Vierteln im serbischen Belgrad Gehör – mit starken Stimmen gegen Diskriminierung und für Frauenrechte sorgen sie europaweit für Furore.

Selbst beim Interview wollen Serbiens lautstärkste Frauenaktivistinnen vom Singen nicht lassen. „Versuch’, mich zu verstehen, soll ich etwa schweigen?“, stimmen Elma und Selma Dalipi im Foyer der Belgrader „Sutjeska“-Schule mit getragenen Stimmen an, bevor Zlata Ristic die Zwillingsschwestern mit einem schnellen Rap-Sprechgesang und schlängelnden Handbewegungen unterbricht: „Nein. Mach keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Es ist Zeit, dass ich sage, was ich habe: Ich habe dasselbe Recht wie du!“ „Musik ist eine Botschaft, die die Leute am schnellsten erreicht“, sagt die Rapperin und Tänzerin Zlata: „Und ein schöner Weg ist sie beim Kampf für die Gleichberechtigung dazu.“

An der Wiege der Band stand 2014 ein Workshop: Mit Musik-, Tanz-, Schreib- und Fotografiekursen, aber auch mit Hausaufgabenbetreuung hilft die britische Grubb-Stiftung in den serbischen Großstädten Belgrad und Nis Roma-Jugendlichen und -Kindern, ihr kreatives Potenzial zu erkennen, zu nutzen – und so ihre Bildungschancen zu verbessern. „Wir entwickelten damals bei dem Workshop die Idee, eine eigene Frauenband zu schaffen, um über unsere Probleme zu singen“, berichtet Zlata (31) – gemeinsam mit Silvija Sinani (28) eine „Veteranin“ und Mitgründerin der Band. Gedacht, getan: Sechs junge Frauen im Alter von 15 bis 27 Jahren hoben damals mit der Starthilfe ihrer musikalischen Grubb-Mentoren Pretty Loud aus der Taufe. In erster Linie habe die Sängerinnen damals „das Los unserer Großmütter und Mütter“ zur Gründung der Band animiert, erinnert sich Zlata: „Denn früher hatten Frauen und erst recht Roma-Frauen hier keine Stimme. Die Küche und die Kinder – das war die Aufgabe, die ihnen zufiel.“

Leid der größten Minderheit

Auf zehn bis zwölf Millionen Menschen wird Europas größte Minderheit geschätzt, doch genaue Erhebungen über die Zahl der Roma liegen auch in Serbien nicht vor. Die bei der Volkszählung von 2022 ermittelte Zahl von offiziell 147.604 Roma in Serbien halten Roma-Organisationen für viel zu niedrig: Sie beziffern die Minderheit bei dem EU-Anwärter auf rund eine halbe Million Menschen. Oft seien die Roma von den Zählern gar nicht nach ihrer Volkszugehörigkeit gefragt worden, klagt die Selbsthilfeorganisation „Pokret Opre Rome“ über „Unregelmäßigkeiten“: Die Roma seien ohnehin bei der Vorbereitung und Durchführung der Volkszählung kaum beteiligt worden.

Pretty Loud rappen über Liebe, aber auch für Frauenrechte
Pretty Loud rappen über Liebe, aber auch für Frauenrechte Foto: Nada Žgank

Ob in oder außerhalb der EU: Nicht nur um die materielle, sondern auch um die gesellschaftliche Stellung der Minderheit ist es in Südosteuropa oft schlecht bestellt. Vorurteile gegenüber Roma gebe es in Serbien noch immer, so auch die Erfahrung der 18-jährigen Pretty-Loud-Sängerin Elma Dalipi. Vor allem in der Grundschule sei sie wegen ihrer dunklen Hautfarbe von Mitschülern oft gemieden, geschnitten und gemobbt worden: „Die Vorurteile gegenüber uns Roma, dass wir ungebildet, unverschämt und kriminell seien, kommen oft von den Eltern.“ Erst an ihrer Grafikfachschule habe sie das Gefühl erhalten, dass ihre Mitschüler sie wirklich kennenlernen wollten: „Wenn die Leute älter werden, plappern sie nicht mehr nur nach, was sie zu Hause hören, sondern machen eigene Erfahrungen und haben ihre eigene Meinung.“ Oft haben Roma-Frauen im Alltag mit einer doppelten Diskriminierung zu kämpfen: Die Vorbehalte der Mehrheit gegenüber der Minderheit gehen mit einem traditionellen Frauenbild in den Roma-Vierteln gepaart. „Genauso wie wir die Wahrnehmung der Roma ändern wollen, genauso wollen wir die Sicht unserer Roma öffnen und erweitern“, sagt Zlata.

Roma-Frauen im Fokus

Als „Mix“ zwischen Hip-Hop und traditioneller Roma-Musik umschreiben die Sängerinnen die Songs von Pretty Loud, die von ebenso energischen wie raschen Rapbotschaften geprägt sind. „Wir wählen gemeinsam die Themen, erarbeiten selbst die Musik, Texte und Choreografie. Und wir haben die Grubb-Mentoren, die uns bei der Umsetzung unserer Ideen helfen“, so Zlata. Doch eine gewöhnliche „Girlie-Band“ sei Pretty Loud auch wegen der in ihren Songs angesprochenen Themen wie häusliche Gewalt oder Diskriminierung keineswegs. „Natürlich singen wir auch über die Liebe. Aber wir versuchen, zu vermitteln, dass Frauen nicht nur Kinder aufziehen sollen, dass eine gute Ausbildung wichtig ist, dass die Zeiten vorbei sind, dass Ehen von den Eltern arrangiert werden – und vor allem, dass die Mädchen nicht zu früh heiraten – und Kinder bekommen.“

Interview mit Pretty Loud

Am 16. März 2024 berichtete das Tageblatt bereits über die Band Pretty Loud. Das Interview, geführt von Laura Giacomini, ist in der entsprechenden Print-Ausgabe und online einsehbar. 

Die in einer Arztpraxis beschäftigte Angestellte weiß als berufstätige und alleinerziehende Mutter, wovon sie spricht – und singt. Mit 17 Jahren war sie bereits verheiratet – und bekam ihren heute 14-jährigen Sohn. Ihre frühe und vorzeitig gescheiterte Ehe sei allerdings nicht arrangiert gewesen, erzählt sie lachend: „Den Fehler machte ich selbst.“ Laut einer im letzten Jahr veröffentlichten, allerdings auf älteren Erhebungen fußenden Unicef-Studie bringen in Serbien 31 Prozent junger Roma-Frauen bereits im Alter zwischen 15 und 19 Jahren ihr erstes Kind zur Welt. Zwar ist der Schulbesuch von Roma-Kindern in Serbien der Studie zufolge mit 80 Prozent in der Grund- und Hauptschule deutlich höher als in anderen Staaten der Region. Doch für den Großteil der serbischen Roma-Kinder endet der Schulbesuch mit 13, 14 Jahren: Nur 28 Prozent besuchen danach noch weiterführende Berufsfachschulen oder Gymnasien.

Zumindest in den Belgrader „Mahale“, den Roma-Vierteln der Hauptstadt, wandelt sich laut den Pretty-Loud-Sängerinnen jedoch das traditionelle Frauenbild. Von arrangierten Kinderhochzeiten höre sie in ihrer Mahala „nichts mehr“, versichert Zlata: „Das hat sich wirklich total geändert.“ Immer mehr junge Roma-Frauen würden sich inzwischen um eine Ausbildung bemühen, berichtet Elma. Nur am Anfang seien ihre Eltern skeptisch gewesen, als sie vor fünf Jahren gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester bei Pretty Loud zu singen begonnen habe, erzählt Selma: „Nun unterstützen sie uns dabei, wo immer sie das können.“

Der Durchbruch

Ein kurzer, vom serbischen Dienst der Deutschen Welle produzierter Videoclip über die Band sorgte bei der 2020 wegen Corona wochenlang zum allabendlichen Hausarrest verdonnerten und an die Computer- und TV-Schirme gefesselten Nation für ungekannte Webfurore. Bald folgten Einladungen zu V-Talkshows und Liveauftritten – auch jenseits der Landesgrenzen. Von der New York Times und Washington Post über Euronews und AP bis hin zu TV-Stationen im fernen Taiwan begannen auch die internationalen Medien bald über die unerschrockenen Frauenstimmen aus den Belgrader Roma-Viertel zu berichten. Einladungen zu Auftritten beim „Women World Festival“ in London, Konzerten des Europarats, der EU-Kommission oder der Obama-Stiftung gingen gar mit der Ausstrahlung des preisgekrönten Musikspots „Ravnopravno – gleichberechtigt“ vor der UN gepaart.

Die früheren Kursteilnehmerinnen sind in ihren Mahale längst zu Vorbildern mutiert. Der Überraschungsbesuch der Rapperinnen löst in dem Klassenzimmer lächelnde Gesichter und Begeisterungsstürme aus. Freudig werden die Pretty-Loud-Sängerinnen von den sie bestürmenden Kindern umarmt, die in der Sutjeska-Schule das Angebot zur Hausaufgabenbetreuung nutzen. Sie kenne die Schülerinnen und Schüler von den Workshops der Grubb-Stiftung, die sie inzwischen selbst als Tanzinstruktorin betreue, erzählt Zlata.

Nicht immer ist es für die derzeit vier Bandmitglieder leicht, Workshops, Probe-, Konzert- und Interviewtermine mit ihrer Ausbildung, ihren Berufen und ihrem Familienleben unter einen Hut zu bringen. Doch längst ist Pretty Loud für die engagierten Sängerinnen zu einer zweiten Familie geworden. Silvija und Zlata seien für sie „wie ältere Schwestern“, berichtet Selma. Alle Sängerinnen seien „verschieden“ und manchmal sei die Zusammenarbeit auch „stressig“ und eine Herausforderung, sagt Zlata lächelnd. „Aber wir kennen uns schon von klein auf, sind gemeinsam aufgewachsen – und lieben, was wir tun: Wir benötigen die Kreativität von Pretty Loud, um unsere Batterien wieder aufzuladen.“