Freitag7. November 2025

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StandpunktDie rassistischen Züge der Klimabewegung

Standpunkt / Die rassistischen Züge der Klimabewegung
Die Prioritäten der Klimabewegung werden in der Hauptsache von Vertretern der weißen Mittelschicht bestimmt Foto: AFP

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In ganz Europa wird die Klimabewegung von weißen Menschen aus der Mittelschicht dominiert, sei es in kollektiven „Volksbewegungen“, wie „Extinction Rebellion“ und „Fridays for Future“, oder gemeinnützigen Organisationen, wie jene, die sich unter dem Dach der „Green 10“-Koalition zusammengetan haben. Die Interessen der weißen Mittelschicht bestimmen also unweigerlich Prioritäten und Aktivitäten dieser Bewegungen.

Daher besteht eines der vorherrschenden Narrative der Klimabewegung darin, dass junge Menschen im Laufe ihres Lebens von der Klimakrise betroffen sein werden, weswegen heute gehandelt werden muss, um den Planeten für künftige Generationen zu retten. Das stimmt zweifellos. Allerdings fordern Emissionen und die dadurch verursachte Klimakrise bereits jetzt Menschenleben und das nicht nur in Pakistan, wo diesen Sommer 1.300 Menschen bei Überschwemmungen ihr Leben verloren, oder in Lateinamerika, wo nach wissenschaftlichen Schätzungen zwischen 2002 und 2015 aufgrund extremer Temperaturen in Großstädten beinahe 900.000 Menschen starben. Auch in Europa sterben Menschen, aber das Problem erhält nicht annähernd genug Aufmerksamkeit.

Man denke nur an Ella Kissi-Debrah, ein neunjähriges schwarzes Mädchen aus Lewisham (im Südosten Londons), das 2013 an den Folgen mehrerer Asthmaanfälle infolge von Luftverschmutzung starb. Ihre Mutter Rosamund musste einen langen Rechtsstreit ausfechten, bis die Todesursache ihrer Tochter offiziell anerkannt wurde. Letztlich setzte sie sich durch, und Ella war der erste Mensch auf der Welt, bei dem Luftverschmutzung auf dem Totenschein als Todesursache vermerkt wurde. Ein kürzlich vorgelegter Gesetzesentwurf – „Ella’s Law“ – zielt darauf ab, im Vereinigten Königreich den Zugang zu sauberer Luft als Menschenrecht zu verankern.

Klima-Apartheid

Wie Ellas Geschichte verdeutlicht, präsentieren sich Umweltbedingungen in unserer Gesellschaft nicht überall gleich. In den Niederlanden, dem Vereinigten Königreich, Frankreich und Deutschland durchgeführte Studien haben ergeben, dass umweltverschmutzende Industrien häufiger in Städten und Stadtvierteln mit hohem Migrantenanteil angesiedelt sind. Dabei handelt es sich um die menschlichen Kosten der Luftverschmutzung. Es ist kein Zufall, dass Mütter und Kinder aus marginalisierten Gemeinschaften seit langem an der Spitze des Kampfes gegen die Luftverschmutzung stehen.

Auch Hitzewellen wirken sich in der Regel unverhältnismäßig stark auf arme Menschen und „People of Color“ aus. Da diese Menschen von der tödlichen Hitze am stärksten betroffen sind, warnte der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für extreme Armut und Menschenrechte im Jahr 2019 vor einer „Klima-Apartheid.“

Überdies besteht ein unbestreitbarer Zusammenhang zwischen den Auswirkungen der Klimakrise und anderen Erscheinungsformen sozialer Ungleichheit, etwa in den Bereichen Wohnen, soziale Sicherheit und Lebensbedingungen. Einem Bericht des Europäischen Umweltbüros zufolge leben Roma-Gemeinschaften in Europa häufig auf kontaminiertem Land, wo es keine grundlegenden Dienstleistungen wie fließendes Wasser oder Abwasserentsorgung gibt – ein klarer Fall von Umweltrassismus.

Auch Menschen mit Behinderungen leiden eher unter dem Klimawandel, wie der Fall eines an einer Form temperaturabhängiger Multipler Sklerose leidenden Österreichers zeigt, der kürzlich ein Gerichtsverfahren gegen die österreichische Regierung angestrengt hat. Die Liste ließe sich weiter fortsetzen.

Klar ist, dass es die Klimabewegung in Europa verabsäumt hat, Erfahrungen und Perspektiven derjenigen einzubeziehen, die bereits die Hauptlast der klimabedingten Schäden tragen. Stattdessen scheinen sich die meisten großen NGOs selbst davon überzeugt zu haben, dass es reicht, Schlagworte wie „Dekolonisierung“ zu bemühen. Obwohl es vielleicht manche als Fortschritt betrachten, dass die von Basisorganisationen zur Aufdeckung repressiver Machtdynamiken lange verwendete Sprache schließlich im Mainstream angekommen ist, stellt sich doch die Frage, ob wir nicht doch wieder Zeugen eines weiteren Falles von Aneignung durch weiß dominierte Organisationen werden.

Weniger Sorgen

Anstatt Lippenbekenntnisse zu marginalisierten Gemeinschaften abzugeben, gilt es für die Klimabewegung, sich auf das Verständnis und die Bewältigung aller Aspekte zu konzentrieren, aufgrund derer die Klimakrise heute neue Formen der Ungleichheit und Ungerechtigkeit schürt und schafft. Dazu bedarf es mehr als einer geänderten Terminologie und Investitionen in DEI (Vielfalt, Gleichheit und Inklusion). Tatsächlich braucht die Bewegung eine Veränderung in der Zusammensetzung ihrer wichtigsten Akteure. Nur so können wir die Arbeit, die „People of Color“ seit Jahrzehnten zur Bewältigung von Umweltproblemen leisten, vollständig anerkennen, von ihr lernen und auf ihr aufbauen.

Diese sich an vorderster Front engagierenden Aktivisten, Organisatoren und Fürsprecher betroffener Gemeinschaften brauchen für die Fortsetzung ihrer Arbeit Unterstützung, Werkzeuge und Ressourcen. Dabei können die großen Klimaschutzorganisationen helfen – allerdings nur, wenn sie es schaffen, dem Drang zu widerstehen, die Narrative der Basis zu vereinnahmen und die Hauptrolle an sich zu reißen (von den Finanzierungen ganz zu schweigen).

Um zu gewährleisten, dass dieser Planet für uns alle lebenswert bleibt, muss der Fokus auf die Schaffung von mehr Möglichkeiten gerichtet sein, um klimabedingte Schäden im Hier und Jetzt zu verhindern. Wir sollten uns denjenigen anschließen, die bereits seit vielen Jahren unter den Ungerechtigkeiten im Zusammenhang mit dem Klimawandel leiden und dagegen kämpfen. Wenn uns das gelingt, haben künftige Generationen schon weitaus weniger Sorgen.

* Nani Jansen Reventlow ist Menschenrechtsanwältin und Gründerin der Rechtshilfe-Organisation „Systemic Justice“.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

Copyright: Project Syndicate, 2022. www.project-syndicate.org