Hardcore-Groupies von Sebastian Kurz träumen von einer Wiederholung der Geschichte. „Er hat die ÖVP schon einmal gerettet“, postet ein Fan auf Facebook und erntet dafür viele Likes. Auslöser des Hypes war zu Wochenbeginn die Nachricht vom Auftritt des jungen Altkanzlers beim ÖVP-Parteitag Mitte Mai in Graz. Sie beflügelte nicht nur in sozialen Medien Comeback-Fantasien, auch der mediale Boulevard stürzte sofort in die Gerüchteküche: „Es ist fix! Sebastian Kurz kehrt auf Polit-Bühne zurück“, wusste die Gratiszeitung Heute am Dienstag zu berichten, ehe der im Herbst unter Korruptionsverdacht zurückgetretene Ex-Kanzler selbst klarstellte: „Das kann ich zu 100 Prozent ausschließen.“
Den Auftritt beim Parteitag wird es aber geben. Kurz wird den Delegierten jedoch kein Lazarus-Wunder bescheren, sondern nur eine Abschiedsrede. Sein in Graz offiziell als ÖVP-Chef zu kürender Nachfolger Karl Nehammer muss nicht nur befürchten, dass ihm der nun als „Global Strategist“ für den US-Milliardär und früheren Trump-Förderer Peter Thiel arbeitende 35-Jährige die Show stiehlt. Kurz‘ Anwesenheit konterkariert Nehammers Bemühen, die Türkisen aus dem langen Schatten von Korruption und Freunderlwirtschaft zu führen und die Kurz-Ära allmählich der Vergesslichkeit des Wahlvolkes preiszugeben.
Das freilich ist auch ohne Showeinlage des einst messianisch verehrten ÖVP-Retters eine schier unlösbare Aufgabe. Denn Nehammers trotziges Mantra, wonach die „ÖVP kein Korruptionsproblem“ habe, hält der Realitätsprüfung nicht stand. Gerade arbeitet ein Untersuchungsausschuss im Parlament die Kurz’sche Kanzlerschaft und deren Vorgeschichte auf. Kernvorwürfe sind Untreue und Bestechung sowie Bestechlichkeit. Auch die ÖVP wird von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) als Beschuldigte geführt, da die vermuteten Straftaten zu ihren Gunsten begangen worden sein sollen. Gegen Kurz selbst wird ermittelt wegen des Verdachts der Falschaussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss und wegen des Vorwurfs, mit Steuergeld getürkte Umfragen und deren Veröffentlichung in der Zeitung Österreich gekauft zu haben. Hier steht der von Kurz und allen Beteiligten kategorisch bestrittene Verdacht der Untreue und der Bestechlichkeit im Raum.
„Hure der Reichen“
Selbst wenn der Nachweis strafrechtlicher Vergehen nicht gelingen sollte, zeichnen die vorliegenden Fakten ein politisch katastrophales Sittenbild. „Vergiss nicht – du hackelst (arbeitest, Anm.) im ÖVP Kabinett!! Du bist die Hure für die Reichen!“ – das ist nur eine von zehntausenden Chat-Nachrichten aus dem beschlagnahmten Handy des Kurz-Intimus und früheren Generalsekretärs im Finanzministerium, Thomas Schmid. Sie ging vor fünf Jahren an einen Ministerialbeamten, der keine Notwendigkeit sah, dem ÖVP-nahen Austro-Oligarchen Siegfried Wolf einen Steuerrabatt zu gewähren.
Doch es sind nicht nur die Schatten der Vergangenheit, die auf Nehammer und der ÖVP liegen. Auch die Gegenwart hält Einschlägiges bereit. Gerade hat der Korruptionsstrudel einen bisher scheinbar über den türkisen Machenschaften stehenden „Saubermann“ erfasst. Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner ist mit dem Vorwurf konfrontiert, Unternehmer zu Inseraten in der dem ÖVP-Wirtschaftsbund gehörenden Zeitung Vorarlberger Wirtschaft gedrängt und im Gegenzug Wohlwollen öffentlicher Stellen bei Anliegen der Inserenten signalisiert zu haben. Ein bislang namentlich nicht genannter Unternehmer wirft dem Landeshauptmann in einer eidesstattlichen Erklärung derart unmoralische Angebote vor. Wallner bestreitet kategorisch, Inserate gekeilt zu haben. Nicht mehr zu bestreiten ist, dass bei der – inzwischen eingestellten – ÖVP-Zeitung nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Wirtschaftsbund wegen des Verdachts der Abgabenhinterziehung, weil die Inserate nicht ordnungsgemäß versteuert worden sein sollen. Davon hätten auch ÖVP-Funktionäre profitiert, die vom Wirtschaftsbund mit Geldzuweisungen bedacht worden sind.
Treue Grüne
Drei Tage vor dem Bundesparteitag wird der Vorarlberger Landtag über einen von SPÖ, FPÖ und Neos eingebrachten Misstrauensantrag gegen Wallner abstimmen. Die Grünen stehen in Vorarlberg vor einem ähnlichen Problem wie auf Bundesebene: Sie koalieren mit der ÖVP, lamentieren über deren Affären – und halten dem Koalitionspartner die Treue. Wallner kann sich wie Nehammer auf die zähneknirschende Duldsamkeit der Grünen verlassen. Die Neuwahlforderungen der SPÖ gehen also da wie dort ins Leere.
Wie es um die Duldsamkeit der Wähler bestellt ist, wird man spätestens im Superwahljahr 2023 sehen, wenn in vier der neun Bundesländer – Niederösterreich, Tirol, Kärnten und Salzburg – neue Landtage gewählt werden. Umfragen lassen für die ÖVP nichts Gutes erwarten. Und ein Retter à la Kurz ist nicht in Sicht.
De Maart
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