EU/DeutschlandDie neue Ampel-Koalition und die Auswirkungen auf Brüssel

EU/Deutschland / Die neue Ampel-Koalition und die Auswirkungen auf Brüssel
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen könnte unter Umständen 2024 in ihrem Amt abgelöst werden Foto: Pool/AFP/Christian Hartmann

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Die neue Ampel-Koalition in Berlin rückt von der deutschen EU-Kommissionschefin ab. Nur beim „Green Deal“ zieht man an einem Strang.

Großer Jubel im Europaparlament, betretenes Schweigen in der EU-Kommission: Der Koalitionsvertrag der kommenden deutschen Ampel-Regierung ist in Brüssel mit gemischten Gefühlen aufgenommen worden. Während Parlamentspräsident David Sassoli – ein Sozialdemokrat aus Italien – dem künftigen Kanzler Olaf Scholz gratulierte, hielt sich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auffällig zurück. Über die Gründe wird eifrig spekuliert. Will sie abwarten, bis der neue Kanzler vereidigt wird, wie es offiziell in ihrer Behörde heißt? Oder fürchtet die CDU-Politikerin um ihre politische Zukunft?

Grund dazu hätte sie – denn im Koalitionsvertrag wird bereits über ihre Nachfolge gesprochen. Darin heißt es, dass die Grünen das Vorschlagsrecht für den deutschen EU-Kommissarsposten 2024 erhalten. Dies soll zwar nur gelten, „sofern die Kommissionspräsidentin nicht aus Deutschland stammt“. In Brüssel wird dieser Passus aber als verklausulierter Abschied von der Amtsinhaberin gedeutet. Bei der nächsten Europawahl 2024 habe sie keine Chance.

Schon 2019 war von der Leyen gegen den Willen der SPD nominiert worden; die meisten Europaabgeordneten der Sozialdemokraten und der Grünen stimmten gegen sie. Nun hat sich auch die FDP enttäuscht von ihr abgewandt. Die ehemalige Bundesverteidigungsministerin habe nur „leere Versprechen“ gemacht und kaum etwas umgesetzt, erklärte der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner; er werde keine zweite Amtszeit unterstützen. Der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold beteuert zwar, die Formulierung im Ampel-Vertrag sei „keine Misstrauenserklärung“. Beim „European Green Deal“ genieße von der Leyen weiter das Vertrauen der Grünen. Doch in anderen Fragen bröckelt die Unterstützung.

Der Koalitionsdeal enthält gleich mehrere Bruchstellen. So fordern die Ampel-Koalitionäre mehr Druck auf Polen und Ungarn. Man plane, „die bestehenden Rechtsstaatsinstrumente konsequenter und zeitnah zu nutzen und durchzusetzen“, heißt es. Dies ist eine Aufforderung an von der Leyen, nicht länger zu zögern und den Rechtsstaats-Sündern endlich den Geldhahn zuzudrehen. Die deutsche EU-Chefin schiebt die Entscheidung seit Monaten vor sich her.

Zu Streit kann es auch beim Klimaschutz kommen. Die Ampel übernimmt zwar weitgehend das Aktionsprogramm „Fit for 55“, das von der Leyen im Sommer vorgestellt hatte. Doch beim Abschied vom Verbrennermotor bleibt die neue Koalition vage. Brüssel fordert, dass 2035 Schluss sein soll – Berlin weicht einer Festlegung aus.

Frischer Wind in Debatte über Zukunft der EU

Für Zündstoff dürfte auch die Wirtschafts- und Finanzpolitik sorgen. Der neue deutsche Finanzminister Christian Lindner (FDP) steht von der Leyen zwar näher als Grünen-Co-Chef Robert Habeck, der den Posten auch gerne gehabt hätte. Doch im Koalitionsvertrag ist offen geblieben, wie die EU sich künftig finanzieren soll. Brüssel hofft auf neue Eigenmittel, also Steuern und Abgaben. Doch Berlin spart das Thema aus. Wie die Milliarden-Schulden abgestottert werden sollen, die die EU für ihren Wiederaufbaufonds aufgenommen hat, bleibt im Unklaren.

Unter den Teppich gekehrt wurde auch der Streit um den Stabilitätspakt für den Euro. Die Ampel lobt seine „Flexibilität“ – dabei musste er in der Coronakrise ausgesetzt werden, weil die veralteten Schuldenregeln nicht einmal mehr von Deutschland eingehalten wurden. Frankreich hat den Pakt daher für obsolet erklärt; Paris will eine radikale Reform der Fiskalregeln. Doch die neue, „fortschrittliche“ Koalition weicht aus – wohl auch, weil man in Berlin selbst noch nicht recht weiß, wie man die ehrgeizigen Ziele etwa im Klimaschutz finanzieren will. Am Ende könnte auch Deutschland mehr Schulden machen, als es der Stabilitätspakt erlaubt.

Doch es gibt auch Grund zu Hoffnung. Scholz will die EU in einen „föderalen Bundesstaat“ weiter entwickeln. Das fordert von der Leyen schon seit Jahren. In der CDU wurde sie dafür belächelt; nicht einmal ihre Parteifreundin Angela Merkel wollte ihr folgen. Mit der neuen Regierung könnte nun frischer Wind in die seit Jahren festgefahrene Debatte über die Zukunft der Union kommen. Ob Polen und Ungarn dabei auch mitziehen, steht allerdings auf einem anderen Blatt.