EditorialDie Menschenwürde gilt für alle

Editorial / Die Menschenwürde gilt für alle
Endstation Findel: der Eingang zum „Centre de rétention“ Foto: Editpress-Archiv/Hervé Montaigu

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Khadija Salimi* wurde am Anfang der Woche nach Bosnien abgeschoben. Ihre Schwester Imen Salmi soll am heutigen Donnerstag folgen. Warum nach Bosnien? Die beiden jungen Frauen aus Tunesien, die im November in Luxemburg internationalen Schutz beantragten – in dem Land, wo sie vor mehr als 20 Jahren zur Welt kamen – und sich zuletzt im „Centre de rétention“ in Findel befanden, hatten vor ihrer Ankunft im Großherzogtum ihre bosnische Mutter in Sarajevo besucht. Sie besitzen neben der tunesischen auch die bosnische Staatsbürgerschaft.

Das Asylverfahren war eine der beschleunigten Prozeduren, wie sie die Regierung in ihrem Koalitionsabkommen angekündigt hatte. Von einer „procédure ultra-accélérée“ sprach die Anwältin der beiden Tunesierinnen. Khadija und Imen wurden damit zum zweiten Mal abgeschoben. Dabei hätte schon ihre erste Abschiebung 2003, zusammen mit ihrer älteren Schwester und ihren Eltern, nicht stattfinden dürfen. Auch wenn ihr Vater Taoufik Salmi bei einer Razzia festgenommen und der Zugehörigkeit zu einem islamistischen Terrornetzwerk beschuldigt worden war, hätte er nicht nach Tunesien zurückgeführt werden dürfen. Schließlich war davon auszugehen, dass ihm unter dem zu jener Zeit dort herrschenden Diktator Zine el-Abidine Ben Ali Folter drohte.

Bei seiner Ankunft in Tunis wurde Taoufik Salmi bereits am Flughafen festgenommen. Ein Militärgericht verurteilte ihn zu einer mehrjährigen Haftstrafe. Im Gefängnis wurde er über einen Monat lang gefoltert. Dafür gab es Beweise und Zeugen. Die „Commission consultative des droits de l’Homme“ (CCDH) in Luxemburg kritisierte die Polizeiaktion und die Abschiebung. Auch Taoufik Salmis Anwalt wies darauf hin, dass die Rückführung in den Folterstaat gegen internationales Recht verstieß. Der damals zuständige Justizminister Luc Frieden hatte dies ignoriert.

Heute obliegt die Migrationspolitik Innenminister Léon Gloden. Zu dem vorliegenden Fall könne und dürfe er nichts sagen, meinte er kürzlich im Tageblatt-Interview. Schließlich sei es um die nationale Sicherheit gegangen. Doch selbst wenn Taoufik Salmi wirklich ein Terrorist war, dem Kontakte zum Terrornetzwerk Al-Qaida nachgewiesen wurden, hätte er niemals in einen Folterstaat abgeschoben werden dürfen. Denn Luxemburg hatte sich verpflichtet, die Europäische Menschenrechtskonvention einzuhalten, die das Verbot von Folter vorsieht. Taoufik Salmi hätte in Luxemburg vor Gericht gestellt werden sollen.

Mehrere ähnliche Beispiele gibt es auch aus anderen Ländern: So ging etwa 2018 ein Algerier bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Er hatte in Frankreich wegen einer Zusammenarbeit mit Al-Qaida eine sechsjährige Haftstrafe abgesessen. Der Gerichtshof setzte seine geplante Abschiebung aus, weil ihm womöglich Folter drohte. Ein Jahr später gaben die Richter grünes Licht für die Rückführung. Sie begründeten das damit, dass sich die Situation in Algerien geändert habe und die algerische Verfassung mittlerweile grausame und unmenschliche Bestrafung verbiete, schrieb Le Figaro.

Ein anderer Fall handelt von einem Tunesier, der 2008 in Italien wegen Beteiligung an einer kriminellen Verschwörung verurteilt worden war. Das Mailänder Gericht lehnte seine Abschiebung ab, weil er in Tunesien Folter zu befürchten hatte. „Die Aussicht, dass eine Person eine ernste Bedrohung für die Gemeinschaft darstellt, wenn sie nicht abgeschoben wird, mindert in keiner Weise den Grad des Risikos einer Misshandlung, die der Person nach ihrer Rückkehr droht“, zitierte die Süddeutsche Zeitung das Urteil. Demnach darf es keine Aufrechnung von Terrorgefahr und Folterrisiko geben. Die Menschenwürde gilt auch für Kriminelle und Terroristen.

* Der falsche Nachname Salimi von Khadija ist auf ein Versehen bei der Eintragung ins luxemburgische Geburtenregister zurückzuführen.