Es sind abermals schreckliche Bilder, die am Mittwochvormittag im großen Sitzungssaal des Trierer Landgerichts gezeigt werden. Aufnahmen, die von Überwachungskameras zahlreicher Geschäfte und Läden in der Trierer Innenstadt gemacht wurden, als ein Geländewagen am 1. Dezember 2020 durch die Fußgängerzone raste und dabei fünf Menschen tötete und zahlreiche Passanten teils schwer verletzte.
Auf einigen Videoaufnahmen ist detailliert zu sehen, wie Menschen an jenem frühen Nachmittag um ihr Leben rannten, um dem herbeirasenden Fahrzeug zu entkommen. Einige schafften es in letzter Sekunde, andere nicht. Bilder aus der Überwachungskamera eines Eiscafés in der Simeonstraße zeigen, wie eine Person von dem Geländewagen erfasst und durch die Luft geschleudert wird. Es handelt sich um eine 25-jährige Trierer Jura-Studentin. Die junge Frau erliegt noch vor Ort ihren schweren Verletzungen.
Überwachungskamera zeigt Tod einer Studentin
Eine Ärztin, die Augenzeugin des Geschehens war, sagte unlängst im Gericht, sie sei direkt hingelaufen, um zu helfen, habe aber rasch festgestellt, „dass die junge Frau nicht mehr atmete“. Die Studentin sei nach ihrer Einschätzung von dem Amokfahrzeug völlig überrascht worden. „Sie hat das nicht mitbekommen, und sie hat auch nicht geschrien.“
Mutter und Schwester der Getöteten sind als sogenannte Nebenkläger jeden Prozesstag anwesend. Sie verlassen auf Anraten von Anwältin Ruth Streit-Stifano am Mittwoch vorübergehend den Sitzungssaal, als die Standfotos der Videoaufnahmen gezeigt werden. Die Vorsitzende Richterin Petra Schmitz macht das so pietätvoll, wie es geht.
Dank mehrerer Großbildschirme im Sitzungssaal sind die Aufnahmen nicht nur von den Prozessbeteiligten, sondern auch von den im hinteren Teil des Raumes sitzenden Zuschauern und Medienvertretern zu sehen. Auch die Standfotos einer Szene wenige Sekunden vor dem Tod der jungen Studentin, als der Amokfahrer eine 53-jährige Berufsschullehrerin, die mit ihrem Fahrrad auf dem Hauptmarkt unterwegs ist, erwischt. Auch diese schreckliche Szene wird von der Überwachungskamera eines Optikergeschäfts aufgenommen.
Anklageschrift: Amokfahrer von Trier ist gezielt auf Opfer zugerast
In der Anklageschrift heißt es, dass der 52-jährige Tatverdächtige gezielt auf die Frau zugerast sei und sie frontal erfasst habe. Das sagt auch der Kriminalbeamte, der die Videoaufnahmen gemeinsam mit Kollegen ausgewertet hat. Die Lehrerin erlitt schwerste Verletzungen, starb wenig später in einem Trierer Krankenhaus.
Auf anderen Aufnahmen ist zu sehen, wie Menschen arglos durch die Fußgängerzone schlendern, bis sie offensichtlich das heranrasende Fahrzeug erblicken und sich in Läden flüchten oder an Häuserwände drücken. Andere laufen um ihr Leben oder retten sich mit einem Sprung zur Seite vor dem laut Staatsanwaltschaft mit durchschnittlich 80 Stundenkilometern durch die Fußgängerzone donnernden Geländewagen.
Aufnahmen aus der Grabenstraße in der Nähe des Prangers zeigen, wie eine Person auf dem Boden liegt und sich später Menschen um das Opfer kümmern. Es handelt sich offenbar um eine Jugendliche, die das Gewaltverbrechen mit schwersten Verletzungen überlebt hat. Auf anderen Bildern sind umgefahrene Auslagen vor den Geschäften zu sehen oder Gegenstände, die auf dem Boden liegen. Der Geländewagen des 52-jährigen Tatverdächtigen ist wegen der Bewegungsunschärfe auf den meisten Bildern nur verschwommen zu erkennen.
Die gesamte Amokfahrt von der Konstantinstraße bis zur Festnahme des Angeklagten in der Christophstraße unweit der Porta Nigra soll gerade einmal viereinhalb Minuten gedauert haben. Dabei soll der zuletzt wohnsitz- und arbeitslose Trierer meistens gerast und laut Augenzeugen auch gezielt auf Passanten zugefahren sein. An Engstellen wie der (damaligen) Baustelle zwischen Pranger und Hauptmarkt soll er aber auch deutlich abgebremst haben, um sie passieren zu können.
200 Videoclips und Fotos von Augenzeugen wurden analysiert
Den Ermittlern standen nicht nur die Aufnahmen der Läden zur Verfügung, sondern auch fast 200 Videoclips und Fotos von Augenzeugen oder Passanten. Die meisten gingen über ein eigens eingerichtetes Internetportal ein, viele davon auch anonym, berichtet am Mittwoch ein Ermittler im Prozess.
Anders als am Vortag schaut der hinter einer Panzerglasscheibe sitzende Angeklagte fast die ganze Zeit auf einen der Großbildschirme, während die Vorsitzende Richterin in rascher Abfolge die Standbilder zeigt. Eine Reaktion ist dem 52-Jährigen nicht anzumerken, das Gesicht ist hinter der Maske und mehreren Glasscheiben, die die Anklagebank von den Plätzen der Journalisten trennen, aber auch nur schwer zu erkennen. Zur Tat selbst und seinen Motiven hat sich der im Stadtteil Zewen lebende Mann während der Hauptverhandlung immer noch nicht geäußert.
Der Amokprozess wird am übernächsten Dienstag fortgesetzt. Das Mitte August gestartete Verfahren ist noch bis in den April hinein terminiert.
De Maart
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