Der Demokratie in Europa geht es nicht gut. Doch statt sich mit den Ursachen des schlechten Zustands auseinanderzusetzen, begnügt man sich damit, die Symptome zu kurieren, ja das Thermometer, das das Fieber anzeigt, zu zerschlagen. Die Versuchung wächst bei manchen, die Demokratie mit undemokratischen Mitteln zu retten, etwa Wahlen für ungültig zu erklären, wenn der Sieger nicht den Vorstellungen des europäischen Mainstreams oder dem Brüsseler Konsens entspricht.
Konformismus und Harmoniestreben: Wer abweicht vom „richtigen“ Diskurs, wird ausgegrenzt, wenn nicht gar angefeindet. Tatsächlich findet sich immer etwas, um die Nicht-Genehmen anzugreifen. Gleichzeitig findet eine Juridisierung der Politik statt: Gerichte sollen anstelle des Demos darüber entscheiden, wer wählbar ist oder auch ob die Ergebnisse von Wahlen akzeptiert werden. Parteien, die an den politischen Rändern angesiedelt sind, sollen eventuell mit juristischen Mitteln verboten werden, so etwa die AfD in Deutschland. In Frankreich soll die Justiz die Nichtwählbarkeit von Marine Le Pen beschließen. In Rumänien, auf „Enthüllungen“ durch den Geheimdienst hin, wird die erste Runde der Präsidentenwahl, bei der ein für die etablierten Parteien unliebsamer Kandidat vorne lag, vom Verfassungsgericht annulliert.
Missbrauch der demokratischen Grundprinzipien
Ein muffiger Geruch von Securitate umweht das politische Geschehen in Rumänien. Die liberale Kandidatin Elena Lasconi, die sich hinter dem rechten Kandidaten Calin Georgescu für die Stichwahl qualifiziert hatte, meinte empört: „Heute hat der rumänische Staat die Demokratie mit Füßen getreten“. Dieses Vorgehen, in Rumänien und anderswo, bedeutet auch eine Politisierung der Justiz, die sich nicht an ihre eigentlichen Aufgaben hält, sondern meint, die politische Zukunft mitgestalten zu können, ja zu müssen.
Man unternimmt alles Mögliche, um den ungarischen Premier Viktor Orban und seinen slowakischen Amtskollegen Robert Fico zu diskreditieren und innerhalb der Europäischen Union und der NATO zu isolieren. Wahlen auch außerhalb der EU, wie etwa in der Türkei oder Georgien, bei denen aus der Sicht der Wohldenkenden die „Falschen“ gewannen, werden massiv angefochten. Diffamieren statt diskurrieren. An Wahlen, bei denen die „Richtigen“ gewinnen, hat man nichts auszusetzen, bemängelt man keinerlei äußere Einflussnahme.
Dass man auf diese Weise Schindluder treibt mit der Demokratie, scheint kaum jemandem bewusst zu sein oder zumindest kaum jemanden zu stören. Das politische Europa, die europäische Demokratie beschädigen sich selbst, ihre Institutionen, während sie ohnehin seit vielen Jahren mehr und mehr aus den Fugen geraten. Es scheint keine einzige größere politische Partei zu geben, die die Gefahren, die Zeichen des Unheils erkannt hätte. Selbstgefälligkeit statt kritischer Selbstbesinnung. Zwei eigentlich gegensätzliche Entwicklungen finden gleichzeitig statt: ein Phänomen, das man Verklumpung nennen könnte, d.h. ein Drängen der meisten großen politischen Kräfte in eine amorphe, substanzarme Mitte einerseits, eine Auflösung des politischen Gewebes andererseits. Eine große Gefahr für die Demokratie stellt die wachsende Vermischung wie auch die Verwischung der Unterschiede der drei Grundgewalten Legislative, Exekutive, Judikative dar.
In Frankreich werden Erinnerungen wach an die unstete Vierte Republik, in Deutschland an die volatile Weimarer Republik. Wenn etwa vier Fünftel der französischen Bürger laut einer rezenten Umfrage keinerlei Vertrauen in die Politiker bekunden, diese für bestechlich halten, überzeugt sind, dass diese nur ihre eigenen Interessen im Sinn hätten, so ist etwas zutiefst faul im demokratischen Getriebe: Bürger wählen, ohne an den Sinn ihrer Stimmabgabe zu glauben. Währenddessen gießt Macron, statt sich zu bemühen, die verfeindeten Lager zu versöhnen, um wenigstens ein zivilisiertes Nebeneinander und sogar ein Minimum an Miteinander zu erreichen, Feuer ins Öl, spricht vom „Rassemblement national“, also der numerisch stärksten Partei, und von ,,La France insoumise“ als einer „antirepublikanischen Front“.
Äußere und innere Verfallserscheinungen
Die Gesundheit einer Demokratie hängt natürlich auch von der materiellen Zufriedenheit der Bürger ab. Nun gibt es aber viele Existenz- und Zukunftsängste. Man mag diese als „Klagen auf hohem Niveau“ abtun. Doch es bleibt die unterschwellige bange Frage vieler Bürger: Funktioniert das politische und sozio-ökonomische Modell nicht mehr richtig, gibt es Gesellschaftsmodelle, die höheren Wohlstand, mehr soziale Gerechtigkeit und größere Sicherheit bescheren mögen, also Güter, die die Demokratie verheißt? Was aber mag geschehen, wenn immer mehr Bürger das Gefühl haben, dass die Demokratie ihre Versprechen nicht mehr einlösen kann, wenn sie sogar ihr höchstes Gut, die Freiheit malträtiert, wenn nicht gar aushebelt? Droht dann der für die Regierbarkeit unabdingbare Minimalkonsens zu zerbröseln?
Die Verfallserscheinungen werden verstärkt, beschleunigt durch den autoritären, paternalistischen Umgang mit der Pandemie und mit den Kriegen um die Ukraine und den Nahen Osten. Der Geist einer zumeist unsichtbaren Zensur und Selbstzensur umflort den öffentlichen Diskurs, dringt sogar bis in die Privatsphäre vor.
Zurzeit wird die Demokratie nicht nur von ihren „Feinden“, sondern auch von ihren „Freunden“ missbraucht und beschädigt. Mehr und mehr geht der kritische Geist, der lebenswichtig ist für eine vitale Demokratie, verloren, nehmen Anpasserei, Verdrängung, Beschönigung und Duckmäuserei zu. Die viel gepriesene „Zivilgesellschaft“ verkommt zu einem hohlen Gefäß. Hysterisierung des politischen Diskurses, der Debatten: Schuldzuweisungen, Denunziationen, Verdächtigungen, Unterstellungen, Übertreibungen. Kaum jemand bemüht sich – dies gilt für Politiker, aber auch für Journalisten und die meisten sogenannten Experten – etwas objektiv, nüchtern, sachlich darzustellen.
Wie könnte es zu einer Revitalisierung der politischen Strukturen und Mechanismen kommen, wie könnte man bewirken, dass wieder mehr Vertrauen in die demokratischen Gepflogenheiten und Prozesse entsteht? Denn Vertrauen ist das Lebenselixier der Demokratie.

De Maart
@Jupp
Rechtsmittel!, um Rechts zu bekämpfen klingt doch sehr rechts !👻😜🤐
Exzellenter Beitrag der sich wohltuend von der Pensée Unique , dem permanenten Einheitsbrei von Leuten aus Presse und Politik und ihrer manichaeichen Wahrnehmung abhebt .
@ Jupp Sie meinen also um die Demokratie zu retten , soll man sie abschaffen . Wer bestimmt denn ,wer noch zum Empire des Biens gehoeren darf ? Sie etwa ? A la Bonheur .
In der Tat Herr Clesse, Sie machen es sich hier zu einfach. Obwohl ich Ihrer Argumentation theoretisch zustimmen kann, sind wir momentan in einer Situation, wo gehandelt werden muss. Wir können nicht weiter zusehen, wie ein Land nach dem anderen ins Rechte Lager wechselt. Es gilt jetzt mehr denn je mit jeden Mitteln dieser Entwicklung entgegenzutreten, auch wenn diese Mittel vielleicht nicht zu 100% demokratisch sind. Wir haben keine ander Wahl mehr. Politisch ist der kampf gegen Rechts bereits verlohren. Wir können nur noch versuchen alle Rechtsmittel die uns zur Verfügung stehen zu nutzen, um diese Verbrecher unschädlcih zu machen.
"Kaum jemand bemüht sich" Und Sie H. Clesse? Als Politologe müssten Sie ja irgendwie Wege aufweisen können als nur zu analysieren. Überall wird geklagt und dargelegt und analysiert, kaum jemand hat bisher überzeugende Vorschläge gemacht. Doch, die AFD, Remigration als Heilmittel!?
"dass wieder mehr Vertrauen in die demokratischen Gepflogenheiten und Prozesse entsteht? Denn Vertrauen ist das Lebenselixier der Demokratie."
Ja dann sagen Sie es uns denn mal!!!
Ausgezeichneter beitrag von Clesse.
Die penetrante arroganz der EU granden gegen andersdenkende stinkt zum himmel.
Wer selbst vorgibt die demokratie zu inkarnieren und niemand besseres als chefin wie die dubiose frau vdL kuert , braucht wahrlich nicht naseruempfend auf Musk,Fico oder Erdogan runter zu schauen.