Freitag24. Oktober 2025

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EditorialDie Korallen sterben, die Politik zaudert – und das nervt wirklich

Editorial / Die Korallen sterben, die Politik zaudert – und das nervt wirklich
Tote Korallen im Great Barrier Reef im Jahr 2024 Foto: AFP/David Gray

Luc Frieden hätte nicht deutlicher sein können im Wahlkampf vor gut zwei Jahren. Mit ihm werde es eines sicher nicht geben: eine Klimapolitik, die nervt. Mit diesem Versprechen ans Wahlvolk heimste der damalige CSV-Spitzenkandidat wohl einige zusätzliche Kreuzchen auf dem Wahlzettel ein. Die Stimmung zu der Zeit hatte sich längst gegen alles Grüne gedreht. In Luxemburg „bashten“ CSV und ADR „déi gréng“, um die „Gambia“-Dreierkoalition zu sprengen. Dass Frieden nach den Wahlen nicht darum herumkommen würde, Klimapolitik zu machen, die ebenfalls „nervt“, weil einschränkende Politik immer irgendwo irgendjemanden nervt, dürfte ihm auch zum Zeitpunkt seiner Aussage klar gewesen sein. Es war halt ein Wahlkampfkalauer, ein Spruch, der gut saß. Der aber leider völlig daneben war. Weil in dem Satz mitschwingt, dass sich niemand einen Kopf machen muss, dass die Warner übertreiben, dass das alles überbewertet ist mit dem Klimaschutz. Rückblickend wird der Satz nicht besser. Nun haben wir eine Klimakatastrophe, die nervt.

Nahezu zeitgleich mit der 30. Weltklimakonferenz der Menschheitsgeschichte hat die Menschheit noch einmal selbst so richtig Geschichte geschrieben und es in einer gemeinsamen Anstrengung fertiggebracht, den Korallen, diesem Sinnbild für die Schönheit der Natur, den Garaus zu machen. Wer jetzt zur Welt kommt, wird als Erwachsener im echten Leben kaum mehr was von diesen koloniebildenden Nesseltieren zu sehen bekommen. Man wird sie in Büchern studieren und auf Fotos und Videos betrachten. Die nicht sehr temperaturtoleranten Korallen können den immer dichter aufeinanderfolgenden Meereshitzewellen nicht mehr trotzen. Sie stoßen die Algen ab, mit denen sie seit Hunderten, teilweise Tausenden von Jahren in Symbiose ihre fantastische Pracht entfalteten. Übrig bleiben Kalkskelette.

Die Nachricht, dass wir uns auf mittlere Sicht von den Korallen verabschieden können, überbrachten 160 Klimaforscherinnen und -forscher von 87 Institutionen aus 23 Ländern vor knapp zwei Wochen im „Global Tipping Points“-Bericht. Dass Arten aussterben, ist längst nichts Besonderes mehr. Experten sprechen vom sechsten Massenaussterben in der Erdgeschichte; es ist das erste menschengemachte. Innerhalb der nächsten Jahrzehnte könnten eine Million Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht sein – keine Breaking News, sondern Business as usual. Bei den Korallen aber ist das anders. Ihr Verschwinden bedeutet das Überschreiten einer Schwelle: Der erste planetare Kipppunkt ist erreicht – 80 Prozent der Korallenriffe sind bedroht und werden sich sehr wahrscheinlich nie wieder erholen. Das ist nicht der Anfang vom Ende, sondern das Ende vom Ende der allermeisten Korallenriffe.

Wissenschaftler haben 20 dieser Kipppunkte definiert. Der erste ist erreicht. Andere sind etwa das Schmelzen des Permafrosts, das Abschmelzen der großen Eisschilde, die Entwaldung tropischer Regenwälder, insbesondere des Amazonas, sowie der Kollaps des Nordatlantikstroms. Die Forschung geht von einem möglichen Dominoeffekt aus. Kippt der eine Stein, kippen die anderen mit.

Doch die Wissenschaftler haben auch Hoffnungsfrohes mitzuteilen: ihre positiven Kipppunkte. Dazu zählen nach Ansicht der Klimaforscherinnen und -forscher die Fortschritte etwa beim Einsatz erneuerbarer Energien und von E-Autos. Um diese Bereiche voranzutreiben, kommen die politisch Verantwortlichen nicht darum herum, eine Sache zu machen: eine Klimapolitik, die nervt.