23. Dezember 2025 - 7.43 Uhr
Luxemburg Die Kameras kommen – und sollen Kennzeichen, Fahrer und Beifahrer von jedem vorbeifahrenden Auto ablichten
„Wir wollen keinen Überwachungsstaat schaffen.“ Mit diesen Worten stellte Innenminister Léon Gloden (CSV) im September dieses Jahres einen Gesetzesentwurf für eine automatische Nummernschilderfassung (ANPR) auf Luxemburgs Straßen vor. ANPR steht für Automatic Number Plate Recognition, ein Videoüberwachungssystem, das ein breites Anwendungsfeld hat. Auf privaten Grundstücken, wie z.B. in Parkhäusern oder Firmengeländen, kann damit Zugang geregelt werden. In verschiedenen europäischen Ländern werden mit Hilfe von ANPR Mautgebühren erhoben. Besonders interessant aber ist der Einsatz in der Strafverfolgung – was uns wieder zu Minister Gloden und der Sorge vor einem Überwachungsstaat führt.
Luxemburg ist heute eines der wenigen EU-Länder, das bislang keine automatische Nummernschilderkennung nutzt – neben Malta, Litauen, Lettland und Slowenien. „Das jahrelange Fehlen eines ANPR-Systems hat uns Unverständnis und Kritik seitens der ausländischen Justiz- und Polizeibehörden eingebracht“, schreibt der Diekircher Staatsanwalt Ernest Nilles in seinem Gutachten zum Gesetzesentwurf. Das soll sich nun ändern. Das ANPR-System wird es der Polizei ermöglichen, Kfz-Kennzeichen in Echtzeit erkennen zu können und Daten wie Uhrzeit und Ort sowie Bildmaterial des Fahrzeugs, des Fahrers und des Beifahrers festzuhalten. Diese gesammelten Daten könnten laut Gesetzesentwurf mit Europol, Interpol und ausländischen Polizeibehörden ausgetauscht werden.
Im Fokus hat der Innenminister vor allem internationale Bandenkriminalität und Terrorismus. Im Gesetzestext steht zur Zielsetzung: „Il s’agit d’un moyen destiné principalement à la prévention et à la lutte contre la criminalité grave et le terrorisme.“ Anders als in Belgien sollen die Kameras nicht zur Verfolgung von kleineren Verkehrsdelikten genutzt werden, was die Staatsanwaltschaft des Bezirksgerichts Diekirch in ihrem Gutachten aus der vergangenen Woche explizit bedauert.
Zunächst soll das gesamte Autobahnnetz mit Kameras ausgestattet werden, integriert in das bereits bestehende Cita-Verkehrsmanagementsystem. Später sollen auch ausgewählte Landstraßen folgen. Der Gesetzesentwurf sieht außerdem Polizeifahrzeuge mit mobilen ANPR-Geräten vor, die als solche jedoch klar erkennbar sein müssen.
Sorgen um Datenschutz und Freiheitsrechte
Das ANPR-Gesetz steht indes in einer Reihe von Überwachungs- und Sicherheitsgesetzen aus dem Innenministerium. Neben der Reform des Visupol-Gesetzes ist es vor allem die Verschärfung des Platzverweises, die Kritik hervorgerufen hat – und zwar aus Opposition, Zivilgesellschaft und von europäischen Institutionen. ANPR ist in diesem Zusammenhang ebenfalls kein unbeschriebenes Blatt. In den Niederlanden klagte die Organisation Privacy First im vergangenen Jahr gegen „Massenüberwachung“ durch ANPR-Systeme. Das Bezirksgericht in Den Haag hielt das betreffende Gesetz in einem Urteil aus dem Frühjahr jedoch für verhältnismäßig. Privacy First will in Berufung gehen.
Auch in Luxemburg gibt es Bedenken zu Datenschutz und zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen. Laut Gesetzestext soll die maximale Speicherdauer der Daten 28 Tage betragen. Zugriff erhalten ausschließlich autorisierte Polizeibeamte, Zollbeamte mit entsprechender Befugnis sowie der Geheimdienst. Sämtliche Zugriffe werden protokolliert und für 18 Monate gespeichert. Grünen und Piraten geht das jedoch zu weit. Der Piraten-Abgeordnete Marc Goergen schlägt vor, die im Gesetzesentwurf vorgesehene Aufbewahrungsfrist von 28 Tagen zu streichen. „Wenn das System keine Übereinstimmung mit den Dateien der zuständigen Behörden feststellt (im Falle eines „No-Hit“), dürfen die Daten nicht gespeichert werden. Im Falle eines „Treffers“ können die Daten im Rahmen der Ermittlungen verwendet werden. Eine solche Änderung würde es der Polizei ermöglichen, das ANPR-System unter Wahrung der Grundrechte der Bürger zu implementieren“, schreibt Goergen in seinem Vorschlag, den er Ende November im Innenausschuss eingereicht hat.
Änderungsvorschläge von den Grünen
Auch die Grünen haben Änderungsvorschläge vorgelegt, um dem Gesetz bessere „Leitplanken“ zu geben. „Die Polizei braucht selbstverständlich die notwendigen Werkzeuge, um ihre Arbeit gut zu machen“, so Meris Sehovic, „aber der Gesetzesentwurf der Regierung hinterlässt gravierende Lücken beim Schutz der Grundrechte und öffnet sogar eine Hintertür für die Überwachung von Privaträumen.“ Der grüne Vorschlag: Aufnahmen ohne Treffer sollten nach 24 Stunden gelöscht werden, Gesichter standardmäßig anonymisiert, und vage oder übermäßig weit gefasste Einsatzmöglichkeiten gestrichen.
Zu diesen zählen im Gesetzestext internationale Großveranstaltungen wie Fußballspiele. In diesen Fällen darf die Polizei nach vorheriger ministerieller Genehmigung Daten zwölf Stunden vor Beginn der Veranstaltung bis zum Ende erfassen. Ein Ungenauigkeit, die auch die Generalstaatsanwaltschaft kritisiert, die in ihrem Gutachten aus der vergangenen Woche sowohl rechtliche als auch praktische Bedenken äußert: Das Gesetz enthalte keine Angaben dazu, was unter einer öffentlichen Veranstaltung von nationaler oder internationaler Bedeutung zu verstehen sei, und verlange auch nicht, dass die Veranstaltung „risikobehaftet“ sei oder dass eine besondere Gefahr oder Bedrohung bestehe, schreibt der erste Generalstaatsanwalt Marc Schiltz. Bei politischen oder kulturellen Veranstaltungen könnte so das gesamte Staatsgebiet dem ANPR-System unterliegen, so Schiltz – von EU-Ministerratstreffen über die Echternacher Springprozession bis zum City-Marathon und der Tour de Luxembourg.
Erfasst werden sollen nur jene Daten, die wirklich notwendig seien – und gespeichert nur das, was für eine konkrete Ermittlungsmaßnahme unabdingbar sei, fordert der Grünen-Abgeordnete Sehovic. „Das ANPR-System darf nicht zu einem Instrument allgemeiner Überwachung werden.“
De Maart

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