Der Begriff der „Spektakeldemokratie“, wie ihn etwa Guy Debord und Bernard Manin geprägt haben, erweist sich in diesem Zusammenhang als besonders treffend. Die Spektakeldemokratie rückt die Inszenierungen der Politik in den Vordergrund. In der postdemokratischen Spektakeldemokratie werden Entscheidungen nicht erklärt, sondern dargestellt. Politiker inszenieren sich wie Marken und Entertainer. Das demokratische Verfahren wird damit zum öffentlichen Spektakel, das Zustimmung erzeugen soll, aber keine Mitsprache erfordert.

Postdemokratie und Spektakeldemokratie ergänzen sich somit: Die Postdemokratie liefert die Struktur, in der reale Machtverhältnisse und politische Gestaltung hinter verschlossenen Türen organisiert werden. Die Spektakeldemokratie liefert die Fassade, mit der diese Prozesse gegenüber der Öffentlichkeit vermarktet und legitimiert werden.
Solche Erscheinungsformen postdemokratischer Inszenierung kulminieren nicht zuletzt in wirksam choreografierten Formaten wie dem Sommerfest der Regierungspartei. Dort sprach Premierminister Luc Frieden jene inzwischen bekannten und offiziell verziehenen Worte: „Ich habe versucht, sie so lange im Saal zu halten, bis sie zu allem Ja sagen würden. Das ist mir nicht ganz gelungen, aber sie sind mir wenigstens dageblieben. Und das ist, denke ich, schon ein großer Erfolg. Aber sie sahen wirklich schlecht aus – man merkt eben, dass sie keine Überstunden gewohnt sind“ (s. https://100komma7.lu/news/Luc-Frieden-um-CSV-Summerfest-Och-d-Partei-muss-seng-Linn-halen).
Erschöpfung und psychologischer Druck
Ein politisch unkluger Satz mit klarem Seitenhieb auf Gewerkschaften und Beschäftigte. Der Premierminister gibt hier (ironisch?) zu, eine Verhandlungstaktik angewendet zu haben, die auf Erschöpfung und psychologischen Druck setzt. Dass das bloße Verbleiben der Gewerkschafter im Raum bereits als Erfolg gewertet wird, zeigt die instrumentelle Auffassung von Sozialpartnerschaft.
Besonders aufschlussreich ist der letzte Satz. Er spielt auf das körperliche Erscheinungsbild der Verhandler an und suggeriert, sie seien physisch und moralisch überfordert. Dieser rhetorische Gestus ist nicht nur offen herablassend, sondern sozial abgrenzend. Der Premierminister stilisiert sich selbst dabei implizit als Vertreter einer belastbaren, durchsetzungsstarken Elite, während er die Gegenseite als schwach, verwöhnt und arbeitsscheu verspottet. Der Spott über angeblich fehlende „Überstunden-Erfahrung“ funktioniert als Distinktionsmerkmal gegen eine ganze soziale Klasse. Was hier als scheinbarer Humor verpackt wird, offenbart ein elitäres Selbstverständnis, das körperliche Belastbarkeit, Disziplin und Machtkalkül als Zeichen legitimer politischer Überlegenheit inszeniert.
Ironie ist ein rhetorisches Mittel, bei dem das Gegenteil dessen gesagt wird, was tatsächlich gemeint ist. Dabei soll der Zuhörer erkennen, dass die Aussage nicht wörtlich zu verstehen ist. Eine ironische Bemerkung hätte in diesem Fall etwa lauten können: „Das war eine völlig entspannte Verhandlung, die Gewerkschafter haben allem sofort zugestimmt.“ Ironie in der politischen Rede ist glaubwürdig, wenn sie auf absurde Situationen anspielt oder einen selbstkritischen Ton enthält. Sie verliert jedoch ihre Legitimität, wenn sie dazu dient, Macht zu demonstrieren oder andere herabzusetzen. Genau das geschieht hier.
Herablassendes Auftreten der Politiker
Die Äußerungen des Premierministers entsprechen nicht der Struktur ironischer Rede; sie folgen vielmehr dem Muster des Sarkasmus. Sarkasmus ist eine Form des Spotts, der gezielt verletzen und bloßstellen will. Im Kern geht es hier nicht um Mehrdeutigkeit, sondern um Abwertung. Sarkasmus ist nicht spielerisch, sondern aggressiv. Er verstärkt bestehende Machtverhältnisse und macht sie zulasten derjenigen lächerlich, die als schwächer, unfähiger oder weniger klug gelten.
Das herablassende Auftreten vieler Politiker ist kein Zufall, sondern Ausdruck einer Haltung, die in bestimmten beruflichen und institutionellen Kontexten als selbstverständlich gilt. Wer in der Regierung oder der Verwaltung arbeitet, ist täglich von Menschen umgeben, die ähnlich denken, ähnlich sprechen und ähnlich arbeiten. In dieser abgeschlossenen Welt entsteht leicht die Überzeugung, dass man selbst vernünftiger, sachlicher, rationaler sei als jene, die außerhalb stehen, wie Bürgerinitiativen, Gewerkschaften oder politische Kritiker.
Diese Haltung äußert sich auch in scheinbar kleinen Gesten: im Tonfall, in der Wortwahl, in der Art, wie man Kritik abtut oder lächerlich macht. Man belehrt, statt zuzuhören. Man erklärt, statt zu verhandeln. Und wenn es zu offenem Widerspruch kommt, wird dieser nicht als legitimer Einwand behandelt, sondern als Zeichen von Mangel an Information, an Einsicht, an Ernsthaftigkeit. Solche herablassenden Reaktionen entspringen sicherlich einer persönlichen Haltung der Überlegenheit, sie beruhen jedoch zugleich auf einer tief verinnerlichten Vorstellung, die ein ganzes Milieu prägt. Man versteht sich also selbst als Träger der Vernunft, als Sachwalter des Allgemeinwohls, als jemand, der weiß, was richtig ist, nicht aufgrund persönlicher Meinung, sondern weil man sich auf übergeordnete Maßstäbe, auf Evidenz, Objektivität oder moralische Klarheit berufen zu können glaubt.
Demgegenüber erscheinen Bürgerinitiativen, Gewerkschaften und kritische Stimmen lediglich als Vertreter partikularer Interessen, motiviert nicht durch Argumente, sondern durch Emotionen, Ideologie oder mutmaßliche Desinformation. Wer anders denkt, ist dann wahlweise naiv, fehlgeleitet oder schlicht zu dumm, um die Wahrheit zu erkennen. In dieser Perspektive wird Widerspruch nicht als legitime Differenz wahrgenommen, sondern als Ausdruck mangelnder Einsicht. Kritik gilt nicht als Beitrag zum politischen Diskurs, sondern als dessen Störung. Wer in dieser Logik gefangen ist, kann nicht mehr zuhören, nicht mehr verhandeln, nicht mehr zweifeln. Hier ist politischer Dialog unmöglich.
Machtabsicherung durch Inszenierung
Damit schließt sich der Kreis zur Logik der postdemokratischen Spektakeldemokratie. In dem Maß, in dem politische Entscheidungen zunehmend im abgeschlossenen Raum technokratischer Eliten vorbereitet und abgesichert werden, verliert die öffentliche Debatte ihre Substanz. Was bleibt, ist ihre Inszenierung: Politik wird zum Auftritt, zur Darstellung von Kompetenz, zur Demonstration von Kontrolle.
Hier ist der sarkastische Spott über erschöpfte Gewerkschafter kein bloßer Ausrutscher, sondern ein Symptom im eigentlichen Sinne. Als Symptom durchbricht er die rhetorische Oberfläche, in der politische Kommunikation gewöhnlich kontrolliert, strategisch und imagesicher gehalten wird. Was gesagt wird, sollte vermutlich nur amüsieren, doch was dabei halb-unwillkürlich zum Vorschein kommt, ist aufschlussreicher als jede programmatische Aussage. In diesem Sinne fungiert der Sarkasmus als sprachliches Symptom einer politischen Formation, die ihre Macht nicht mehr über argumentative Legitimation absichert, sondern über Inszenierung. Die Geste entlarvt eine Haltung, die nicht auf Verständigung setzt, sondern auf Distinktion; nicht auf Teilnahme, sondern auf Überlegenheit.
Die Demokratie wird dabei zwar formell nicht außer Kraft gesetzt, aber ihre symbolische Grammatik verändert sich: von der deliberativen Auseinandersetzung zum öffentlichen Spiel der Stärke, von der Aushandlung zum Spektakel. Was bleibt, ist die Darstellung von Demokratie, nicht ihre Praxis.
De Maart
Ausgezeichnete Analyse - und umso wichtiger, um die Maske des "neie Luc" herunterzurreißen und die altbekannte Fratze eines konservativen, hart kalkulierenden Technokraten zu entblößen. Danke!
merci fiir dee gudde Artikel besser kann ët nët sin..
an dër Iwwerschrëft selwer steet scho genug fiir zë verstoën wat dann elo am Text steet..
ëch hoffe just dat dobäi bei esou Munchen vläicht eng "Spéicherliicht" op geet an domat dë richtëgë Wee gesäit..
Spektakel genau so. Fehlt nur noch ein Sender wie FOX um die Arroganz der "Führung" täglich zu inszenieren, dann wäre es perfekt. Vielleicht lässt sich noch jemand dazu verleiten.
Frage: Wozu das ganze Spektakel, bei Donald und Cie versteht man das noch irgendwie, das angestrengte Streben nach der Krone und uneingeschränkten Anerkennung, aber im kleinen Latz enburg?