Samstag22. November 2025

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PorträtDie iranische Künstlerin Samira Hodaei fühlt sich dem Minett verbunden – und findet Frieden in Korallenriffen

Porträt / Die iranische Künstlerin Samira Hodaei fühlt sich dem Minett verbunden – und findet Frieden in Korallenriffen
Die Künstlerin Samira Hodaei ist im Iran geboren, reist für ihre Kunst jedoch quer durch die Welt – und jetzt zur Luxembourg Art Week 2025 Copyright: Henri Fair

Die Luxembourg Art Week lockt dieses Wochenende Kunstfans und Kreativköpfe aus aller Welt an, darunter die iranische Künstlerin Samira Hodaei. Was sie mit Luxemburg verbindet und warum sie in Korallenriffen Frieden findet.

Teheran, Iran, 1981: Der Erste Golfkrieg wütet, als die bildende Künstlerin Samira Hodaie zur Welt kommt. Heute pendelt sie, die ein Kunststudium in ihrer Heimatstadt abschloss, zwischen Teheran und Berlin. Mit Zwischenstopps in Luxemburg, wie zur Luxembourg Art Week 2025.

Kindheit unter Beschuss

Die Bombenangriffe von damals hat sie nicht vergessen. „Als Kind gehörte der Krieg zum Alltag“, sagt sie. Dabei sitzt sie in ihrem Berliner Atelier, per Videoanruf zugeschaltet. „Der Wunsch meiner und der nachfolgenden Generationen war es nur, zu leben.“ Ein Drang, der jede neue Generation antreibe. Nicht einfach in einem Land, das von politischen Konflikten und autoritären Regimen gezeichnet ist.

„Die ersten Jahre nach der Islamischen Revolution waren hart. Jungen und Mädchen drohten Verhaftungen, wenn sie in der Öffentlichkeit miteinander sprachen oder lachten“, hebt Hodaie hervor. Die Gesellschaft stand unter Druck, musste die Regeln des Islam streng befolgen. Hodaies Generation versuche damit zu brechen und erziehe ihre Kinder offener. Das erkläre die aktuellen Entwicklungen im Iran. Die Jugend weigere sich, einem autoritären Regime zu gehorchen.

„Women, Life, Freedom“ kommt auf: eine Protestbewegung für Gleichberechtigung und Menschenwürde, die durch den Mord von Masha Amini in Gang kam. Die kurdische Iranerin wurde 2022 durch die Sittenpolizei ermordet, weil sie angeblich gegen das Hidschab-Gesetz verstieß. „Die Bewegung hat die Stadtbilder im Iran verändert. Heute sind viele Städte farbenfroher, diverser. Die neue Generation hat die öffentlichen Plätze zurückerobert“, sagt Hodaei. Die Auflehnung von Frauen und der Jugend präge die Geschichte des Irans, so die Künstlerin weiter.

Weg nach Europa

Warum verließ sie ihre Heimat? Zunächst trieb sie der Drang, neue Erfahrungen zu sammeln, an. Sie beteiligte sich an Residenzprogrammen in der Schweiz (2010), in Berlin (2018) und in Luxemburg (2023). „Die Distanz zur Heimat half mir zu verstehen, wer ich bin“, erklärt sie. „Weder meine Gesellschaft noch externe Labels wie ‚female Iranian artist’ können mich oder die Themen, mit denen ich mich befasse, definieren. Ich verfolge meinen eigenen künstlerischen Weg.“

Ihr Hauptwohnsitz und Arbeitsort blieb Teheran. Bis 2023. „Die Lebensbedingungen im Iran verschlechterten sich“, erinnert Hodaei sich. „Immer mehr Galerien in Teheran schlossen. Es war das erste Mal, dass ich dachte: ‚Du kannst hier nicht arbeiten‘.“ Sie bezog das eingangs erwähnte Atelier in Berlin – eine Künstlerstadt, wie sie sagt.

Es war das erste Mal, dass ich dachte: ‚Du kannst hier nicht arbeiten‘

Samira Hodaei, Künstlerin

Der Umzug stellte Hodaei vor logistische und kreative Herausforderungen. Eins von Hodaeis Markenzeichen sind ihre ortsspezifischen Projekte. Im Mittelpunkt steht meist der Iran. In „Presence of an Absence“ (2019-2021) befasste sie sich mit den Lebensumständen der Arbeiter der iranischen Ölindustrie, die sich durch politische und wirtschaftliche Konflikte über die Jahrzehnte hinweg veränderten. Für die Installation sammelte sie 9.000 Handschuhe der Beschäftigten und stellte sie in der Öffentlichkeit aus. Die Firmen rückten das Material nicht heraus. Stattdessen halfen die Arbeiter Hodaie aus. „Ich konnte unmöglich 9.000 Handschuhe mit nach Berlin nehmen“, sagt sie. Genauso undenkbar schien es, den Kontakt zur iranischen Bevölkerung – für die Künstlerin bis dahin zentral – wie gehabt weiterzuführen. „Ich musste bei null anfangen. In einem leeren Atelier“, betont sie.

Politik und Kreation

In Medienberichten ist derweil regelmäßig die Rede von Kunst-Unfreiheit im Iran. Das betraf Hodaei weniger, verrät sie. Die Regierung behalte eher die Film- und Literaturbranche im Blick. Sektoren, die mehr Aufmerksamkeit erregten als die visuelle Kunst. Die Community sei klein und auf private Investments angewiesen. Staatliche Fördergelder gebe es kaum, so Hodaei. Sie stellte bisher selten im Iran aus. Im Laufe des Gesprächs fällt ihr doch etwas zu der Zensur durch die Autoritäten ein: „2020 beteiligte ich mich an der Skulpturen-Biennale in Teheran, welche die Autoritäten zehn Tage nach der Vernissage dichtmachten.“ Ein offizieller Grund blieb aus. Die Ansage an das Organisationsteam: „Entweder ihr brecht die Ausstellung ab oder wir knüpfen uns jeden Künstler einzeln vor.“

Wird in Luxemburg zu sehen sein: das Gemälde „Red Coral Dome. A Story of Love“ (2025) von Samira Hodaei
Wird in Luxemburg zu sehen sein: das Gemälde „Red Coral Dome. A Story of Love“ (2025) von Samira Hodaei Copyright: Samira Hodaei

Fünf Jahre später brach der Krieg zwischen dem Iran und Israel aus. Hodaei plante damals eine Reise nach Kharg Island im Süden des Irans. Die Insel beheimatet zahlreiche Korallenriffe, die durch die nahe gelegene Ölindustrie zu verschwinden drohen. Hodaei sah damals von einem Aufenthalt im Iran ab, war seitdem auch nicht mehr dort. Die Gefechte endeten nach zwölf Tagen. Die Situation bleibt angespannt.

Hodaei musste umdenken – und stieß dabei auf das Buch „The Seven Domes“ (Haft Gonbad) des persischen Poeten Nezami Ganja. Die Zusammenfassung: Ein König lauscht in sieben farbigen Kuppeln den Geschichten von Prinzessinnen und erlangt inneren Frieden. Die Farben symbolisieren den Weg von der Dunkel- in die Helligkeit.

Dasselbe gilt für Hodaeis Serie „The Seven Coral Domes“: „Die Gemäldeserie ist von der Natur und der Poesie inspiriert. Sie kreist um die Bedeutung des Worts ‚dome‘ – eine architektonische Struktur, die einer hohlen Halbkugel ähnelt. In der iranischen Kultur gilt sie als Metapher für den Himmel und den Kosmos.“ Jedes Gemälde zeige „einen Korallendom, einen einsamen Erzähler, den Überrest eines Eden-ähnlichen Gartens in den Meerestiefen, der nun nur noch Wüste ist“. Wie die Prinzessinnen in Nezamis Erzählung, teile jede Korallenkuppel eine eigene Geschichte und lade uns – wie den König – zum Zuhören ein. Die Serie ist bei der Luxembourg Art Week 2025 zu sehen.

Minett trifft Iran

In „A Fire Appeared, A Fire Spread“ (2023-2024) stellt Hodaei die iranische Öl- und die luxemburgische Stahlindustrie einander gegenüber
In „A Fire Appeared, A Fire Spread“ (2023-2024) stellt Hodaei die iranische Öl- und die luxemburgische Stahlindustrie einander gegenüber Quelle: Samira Hodaei

Hodaei pflegt inzwischen eine enge Bindung zu dem Großherzogtum, das sie durch ein befreundetes Luxemburger Paar kennenlernte. Neben der Residenz im „Bridderhaus“ (2023), beteiligte sie sich an der Gruppenausstellung „Dis-placed“ in der Escher „Konschthal“ (2024). Mit „Headless Palms“ (2025) in der „Valerius Gallery“ feiert sie ihre erste Soloschau in Luxemburg. In „A Fire Appeared, A Fire Spread“ (2023-2024) arbeitete sie unter anderem mit dem „Centre national de l’audiovisuel“ (CNA), Samsa Film und dem Ferroforum zusammen. Das Thema? Die Verbindungen zwischen der iranischen Öl- und der luxemburgischen Stahlindustrie.

Beide Industrien nahmen im frühen 20. Jahrhundert Fahrt auf und prägen bis heute die sozio-ökonomische Realität der Bevölkerung. Hodaei besuchte betroffene Familien im „Minett“, verknüpfte ihre Geschichten mit denen aus dem Iran. Sie findet, das rücke ihre und Luxemburgs Vergangenheit näher zusammen: „Es offenbart, dass wir alle miteinander verbunden sind.“

Kunst baut Brücken

Wie so oft schlug Hodaei Brücken, wo andere eine Kluft sehen. „Ich will Kunst zugänglicher machen“, unterstreicht sie im Austausch. Damit meint sie sowohl den Dialog zwischen den Kulturkreisen als auch den zwischen sozialen Klassen.

Für „Presence of an Absence“ ging sie, wie schon besprochen, auf Ölarbeiter zu. Trotz anfänglicher Skepsis entstand beidseitiges Vertrauen und Interesse. Die Arbeiter fühlten sich gesehen, begannen die Bedeutung ihres Berufs kritisch zu betrachten. Hodaeis Bekanntenkreis riet ihr von dem Projekt ab und warnte vor dem Spott der Arbeiter. Das Gegenteil trat ein. „Die Installation löste einen regen Austausch aus. Ein Mann sagte im Vorbeigehen, ‚Sie haben meine Perspektive verändert‘. Damit hatte ich mein Ziel erreicht.“

Bei der Luxembourg Art Week stellt Hodaei nun die Natur in den Mittelpunkt. Warum? „Was wir jetzt brauchen, ist eine Rückbesinnung zur Natur. Als der Krieg zwischen Israel und dem Iran ausbrach, half mir die Auseinandersetzung mit den Korallen, Ruhe zu finden. Es führte mir die Verbundenheit der Menschen und der Natur vor Augen. Das war spürbar, obwohl ich in meinem Atelier in Berlin saß. Früher war Heimat für mich dort, wo ich nicht bin. Heute trage ich sie in meinem Herzen.“

Mehr Informationen zu Samira Hodaei und ihrem Werk auf samirahodaei.com und zur Luxembourg Art Week auf luxembourgartweek.lu.