Dicke Luft im Europaparlament: Die großen, pro-europäischen Fraktionen haben sich über die Kandidaten für die neue EU-Kommission zerstritten. Ursprünglich sollten die letzten der 26 designierten Kommissare bereits am Dienstag grünes Licht aus dem Parlament bekommen. Doch noch während der letzten Anhörungen brach heftiger Streit aus.
Nun wackelt der Zeitplan für den Start des neuen Teams von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sogar die „Von-der-Leyen-Koalition“ aus Konservativen, Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen bröckelt. Sie hatte sich nach der Europawahl konstituiert und sollte Mehrheiten ohne die erstarkten Rechtsparteien sichern.
Doch ausgerechnet an diesem Ziel droht die große Koalition nun zu scheitern. Die Sozialdemokraten werfen den Konservativen um Manfred Weber (EVP) vor, die „historische pro-europäische Mehrheit“ im Parlament zu gefährden und mit rechten EU-Gegnern zu paktieren. Die „Zukunft Europas“ stehe auf dem Spiel, warnen die Genossen.
Entzündet hat sich der Streit an Raffaele Fitto. Von der Leyen will den Kandidaten der postfaschistischen italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni zum „exekutiven“ Vizepräsidenten machen und ihm die milliardenschweren EU-Regionalfonds anvertrauen. Die harte Rechte hätte damit einen Chefposten in Brüssel – eine Premiere.
Dagegen laufen die Mitte-links-Parteien Sturm. Bei der Anhörung am Dienstag warfen sie Melonis Mann vor, dass er sich nicht von deren „Fratelli d’Italia“ distanziert habe und den Rechtsstaat infrage stelle. Fitto wies alle Vorwürfe zurück. Doch Sozialdemokraten und Grüne wollen ihn nicht mittragen – jedenfalls nicht als Vizepräsidenten. „Der designierte Kommissar hat in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, dass er kein Verfechter europäischer Werte ist“, sagte Terry Reintke, Co-Vorsitzende der Grünen-Fraktion. „Der Rechtsaußen-Politiker ist für das herausragende Amt des Vizepräsidenten nicht geeignet.“ Die S&D forderte, ihm diesen Titel zu entziehen.
Dazu ist die konservative Europäische Volkspartei EVP, der auch von der Leyen angehört, jedoch nicht bereit. Sie drohte, auch der spanischen Sozialistin Teresa Ribera das Vertrauen zu entziehen. Bei ihrem Hearing am Dienstagabend wurde Ribera immer wieder von konservativen und rechten Politikerin unterbrochen und provoziert.
Parteienstreit in Madrid, Chaos in Brüssel
Die konservative spanische Partido Popular (PP), die der EVP angehört, aber auch der rechtsextreme Vox versuchen, der spanischen Umweltministerin die Schuld für die verheerenden Überschwemmungen in Valencia in die Schuhe zu schieben. Zuständig für den Katastrophenschutz ist jedoch die Regionalregierung, die vom PP geführt wird.
Ergebnis des Parteienstreits in Madrid: Chaos in Brüssel. Die ursprünglich schon am Dienstag geplante Bestätigung der Vizepräsidenten wurde vertagt, die Parteien suchen nun eine „Paketlösung“. Dabei würde auch über vier weitere angehende Vizepräsidenten sowie den umstrittenen ungarischen Kandidaten Oliver Varhelyi entschieden.
Allerdings ist unklar, wie und wann der Streit gelöst werden kann. Ursprünglich war von Mittwoch die Rede, nun wurde die Entscheidung offenbar auf kommenden Montag vertagt. Die Liberalen warfen den Streithähnen ein „unverantwortliches Verhalten“ vor und forderten von der Leyen auf, sich persönlich einzuschalten.
Doch die deutsche EU-Spitzenpolitikerin zögert. Wenn sie Fitto aus dem Rennen nimmt oder seine Kompetenzen beschneidet, riskiert sie nicht nur Ärger mit Meloni, sondern auch mit deren Partei der „Europäischen Konservativen und Reformen“ (EKR). Die EKR wird aber noch als Mehrheitsbeschafferin im Parlament gebraucht. Die konservative EVP hat seit der Europawahl im Juni bereits wiederholt zusammen mit der EKR gestimmt. Die im Wahlkampf viel beschworene „Brandmauer gegen rechts“ ist gebrochen, nun droht ein heftiges Nachbeben.
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