Nicht zuletzt der Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump im Januar forderte die Diplomatin immer wieder heraus. Doch auch ihr eigenes Verhalten hat ihr im Brüsseler Gerangel um Zuständigkeiten und öffentliche Aufmerksamkeit nicht nur Freunde gemacht.
Die zuletzt häufig aus Washington bestimmte Nachrichtenlage ist auch für die EU-Außenbeauftragte zur Herausforderung geworden. „Jeden Morgen wacht man auf und überlegt sich: Wage ich es, wage ich es?“, sagt Kallas im Gespräch, während sie mit ihrem Telefon gestikuliert. „Es ist verrückt.“
Die entschiedene Unterstützerin der Ukraine war im Juni 2024 vom Europäischen Rat als EU-Außenbeauftragte vorgeschlagen worden, im Dezember trat sie den Posten an. Als kämpferische Kreml-Kritikerin hat sie sich ihre gesamte Karriere über für eine starke NATO sowie enge Beziehungen zwischen Europa und den USA ausgesprochen. Doch in nur wenigen Monaten hat Trump vieles auf den Kopf gestellt: Er stampfte die Unterstützung Kiews ein, näherte sich Moskau an und stellte mit der NATO die jahrzehntelange Sicherheitsgarantie Europas infrage.
Ein Umstand, der Kallas Sorge bereitet. „Wenn eine Vase zerbricht, kann man sie wieder zusammenkleben – aber sie wird nicht dieselbe sein“, sagt sie in ihrem Büro im zwölften Stock des Hauptsitzes der EU-Kommission in Brüssel. Sie habe das gleiche Gefühl in Bezug auf das transatlantische Verhältnis. „Man kann es zusammenflicken, aber das Vertrauen ist gebrochen – und es ist nicht dasselbe.“
Andere haben die Initiative ergriffen
Die Welt stellt sich auf den durch Trump ausgelösten Umbruch ein und auch Kallas muss ihre Rolle neu ausrichten. Die neue US-Regierung zeigt sich offen feindselig gegenüber der EU und hat sie bei den Gesprächen über eine Waffenruhe in der Ukraine an die Seitenlinie verbannt.
Kallas konnte die neue Realität hautnah erleben, als sie im Februar nach Washington flog – und US-Außenminister Marco Rubio ein geplantes Treffen absagte. Dennoch verweist sie nach mehreren anderweitigen Treffen und Telefongesprächen auf ihr „sehr freundschaftliches“ Verhältnis zu Rubio.
Bei der europäischen Antwort auf den Alleingang der USA im Ukraine-Krieg haben allerdings andere die Initiative ergriffen. Frankreich und Großbritannien führen die sogenannte „Koalition der Willigen“ an. Die sei durchaus sinnvoll, um den Widerstand von russlandfreundlichen Ländern wie Ungarn innerhalb der EU zu umgehen, räumt Kallas ein. Doch ärgert sie sich darüber, dass der Staatenverbund sich unter Wert verkauft. „Unsere Widersacher mögen die Europäische Union nicht, weil wir stark sind, wenn wir zusammen handeln.“
Doch dieser Zusammenhalt ist bei 27 Mitgliedsländern nicht immer gegeben. Der Posten der Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, wie Kallas’ offizielle Bezeichnung lautet, gilt als nahezu unmöglich. Jeder EU-Staat hat seine eigene Außenpolitik und Kallas hat keine Machtbefugnisse, eine einheitliche Linie vorzugeben. Ein EU-Diplomat drückte es so aus: „Die Mitgliedsländer wollen nicht, dass sie den Ton angibt, führt, sie wollen eine weitere Bürokratin.“
Mitgliedstaaten zeigen Grenzen auf
Die Estin ist die erste ehemalige Regierungschefin auf dem Posten und versucht, diesem ihrer Stellung entsprechend mehr Gewicht zu verleihen. So eckte sie allerdings immer wieder bei den notorisch territorialen Diplomaten und Bürokraten in Brüssel an. Ein weiterer hochrangiger Diplomat sagte: „Sie ist oft zu dogmatisch, zu stur, sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht.“
Kallas stieß schon bald an ihre Grenzen, als sie die Mitgliedsländer zu einem Hilfspaket für die Ukraine mit Waffenlieferungen in Höhe von 40 Milliarden Euro überreden wollte. Angesichts starken Gegenwinds, etwa aus Frankreich und Italien, stutzte sie ihre Forderungen auf zwei Millionen Schuss Artilleriemunition zurück.
Am „frustrierendsten“ an ihrem Job seien die „kleinkarierten Kämpfe“ zwischen den EU-Institutionen, klagt sie. Wichtig sei, dass die Dinge erledigt würden, „nicht wer Punkte macht“.
Es sei schwierig, sich zurechtzufinden und durchzusetzen; „man muss wirklich agil sein und bereit, sich zu bewegen und auch sein Denken zu ändern“, sagt Kallas. Ist ihr Job für die nächsten fünf Jahre am Ende tatsächlich unmöglich? „Ich tue mein Bestes und hoffe, dass es gut genug ist“, antwortet sie. „Es ist definitiv schwer, aber fragen Sie mich noch einmal in 55 Monaten.“ (AFP)
De Maart
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