Dienstag21. Oktober 2025

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DeutschlandDie Bundestagswahl im Wandel der Zeit

Deutschland / Die Bundestagswahl im Wandel der Zeit
Sinn und Unsinn im Wahlkampf: Wahlplakate im Jahr 2013, von Unbekannten durch inhaltsleere Nonsens-Poster ersetzt Foto: Flickr

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Die Bundestagswahl ist stets ein politisches Ereignis gewesen, das die Richtung der deutschen Politik vorgab. Geprägt waren die Parlamente in Bonn und später in Berlin sowohl von Beständigkeit als auch von Richtungswechseln. Ein Rückblick auf 75 Jahre politische Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Laute Männerstimmen, die immer lauter wurden, dazu noch Zigarrenqualm – das waren für mich die ersten Eindrücke, den ich von der Politik hatte. Mein Großvater war überzeugter Sozialdemokrat. Während er sachlich blieb, konnte sich sein Schwager, nicht weniger rot als er, verbal kaum zurückhalten. Worüber die beiden Männer stritten, blieb mir ein Rätsel. Am Ende einer jeden Diskussion hatten ihre Gesichter die Farbe ihrer Partei angenommen. Und das Wohnzimmer war von dem Stumpen meines Großonkels in dichte Rauchschwaden eingehüllt. Ihre Gemüter erhitzten sich an Kurt Schumacher, dem einstigen, längst verstorbenen SPD-Vorsitzenden und großen Gegenspieler von CDU-Bundeskanzler Konrad Adenauer. Geteilter Meinung waren sie auch in ihrer Einschätzung der SPD-Größen Willy Brandt und Herbert Wehner.

 „Die erste Bundestagswahl am 14. August 1949 war so etwas wie die letzte Wahl der Weimarer Republik“, schreibt der Berliner Historiker Paul Nolte. „Das gilt nicht nur für das Parteiensystem, das sich noch nicht zum späteren ‚Zweiparteiensystem‘ mit den beiden großen Volksparteien und der FDP als ‚Zünglein an der Waage‘ kondensiert hatte, sondern auch für die Formen von Wahlkampf und öffentlicher Kommunikation.“ Die Wahlplakate jedenfalls hätten den grafischen Stil der Weimarer Republik fortgeführt.

Die politische Geschichte der Bundesrepublik, die im vergangenen Jahr ihren 75. Geburtstag feierte, ist eben auch Wahlgeschichte. Überraschungen bei den Bundestagswahlen blieben meistens aus. Besonders knapp fiel der Urnengang 1949 aus, als CDU auf 31 Prozent der Wählerstimmen kam und die SPD 29,2 Prozent erhielt, gefolgt von der FDP/DVP mit 11,9 Prozent und kleineren Parteien. Zusammen mit FDP/DVP und Deutscher Partei (DP) bildete Adenauer die erste Bundesregierung. Das Ergebnis konnte die CDU 1953 auf 45,2 Prozent der Zweitstimmen ausbauen, die SPD stagnierte bei 28,8 Prozent, die FDP kam auf 9,5 Prozent. Die Koalition mit ihr wurde fortgesetzt.

Die Union erreichte bei der dritten Bundestagswahl 1957 erstmals mit 50,2 Prozent die absolute Mehrheit der Stimmen und Mandate und bildete eine Koalition mit der DP, die allerdings 1960 ihren Fraktionsstatus verlor. Bis 1983 sollte der Bundestag nur noch aus drei Fraktionen bestehen. SPD und FDP stellten die Opposition. 1961 ging die absolute Mehrheit der CDU wieder verloren. Sie kam auf 45,3 Prozent, gefolgt von der SPD (36,2), und war wieder auf eine Koalition mit den Liberalen (12,8) angewiesen. Adenauer trat 1963 im Alter von 87 Jahren zurück. Sein Nachfolger wurde Ludwig Erhard (CDU), der bisherige Wirtschaftsminister. Der Stimmenanteil der CDU stieg auf 47,6 Prozent. Erhard führte die Koalition fort. Diese zerbrach jedoch 1966, weil die FDP im Streit über den Bundeshaushalt und Steuerhöhungen die Koalition verließ. Mit der Bildung einer großen Koalition kam die SPD erstmals unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) in die Regierung.

SPD: 20 Jahre Anlauf

Zwar blieb die Union bei der Wahl 1969 mit 46,1 Prozent der Zweitstimmen stärkste Fraktion, doch die SPD holte auf und kam auf 42,7 Prozent, während die FDP starke Verluste erlitt und 5,8 Prozent erreichte. Die Sozialdemokraten verbündeten sich mit den Liberalen, und der Bundestag wählte Brandt zum Kanzler. Die CDU/CSU wurde in die Opposition verwiesen. Im Zuge des Streits um die Ostverträge traten 1972 einige Abgeordnete aus der sozialliberalen Koalition zur Opposition über, was eine Pattsituation ergab. Brandt stellte einen Antrag, ihm das Vertrauen auszusprechen, der erwartungsgemäß keine Mehrheit fand. Daraufhin löste der Bundespräsident Gustav Heinemann auf Vorschlag des Kanzlers den Bundestag auf und ordnete Neuwahlen an. Erstmals wurde eine Wahlperiode vorzeitig beendet.

Bei der Bundestagswahl 1972 wurde die SPD mit 45,8 Prozent und 230 Sitzen im Parlament erstmals stärkste Fraktion, gefolgt von der CDU/CSU mit 44,9 Prozent und 225 Mandaten. Die Wahlbeteiligung erreichte mit 91,1 Prozent (wohlgemerkt: keine Wahlpflicht) einen historischen Höchststand. Das Alter für die Wahlberechtigung war 1970 durch eine Änderung des Grundgesetzes von 21 auf 18 Jahre herabgesetzt worden. Die sozialliberale Koalition wurde zwar fortgesetzt, jedoch trat Brandt 1974 von seinem Amt zurück, nachdem sein enger Mitarbeiter Günter Guillaume als DDR-Spion enttarnt worden war. Helmut Schmidt wurde Brandts Nachfolger. Zwar erzielte die Union unter Spitzenkandidat Helmut Kohl 1976 mit 48,6 Prozent das bisher zweitbeste Ergebnis, die SPD erhielt 42,6 und die FDP 7,9 Prozent – doch die sozialliberale Koalition wurde fortgesetzt.

Mit dem Spitzenkandidaten Franz-Josef Strauß (CSU) erlitt die Union 1980 wieder Verluste (44,3), die SPD kam auf 42,9 und die FDP auf 10,6 Prozent. Schmidt blieb Bundeskanzler. Wegen Differenzen in der Finanz-, Sozial- und Wirtschaftspolitik kam es im September 1982 zum Bruch der sozialliberalen Koalition. Schmidt wurde gestürzt, Kohl durch ein konstruktives Misstrauensvotum Kanzler. Genscher blieb in der neuen CDU/CSU-FDP-Regierung Außenminister und Vizekanzler. Der neue Kanzler erzwang durch die Vertrauensfrage 1983 die Auflösung des Bundestags und damit Neuwahlen. Die Union erhielt mit 48,8 Prozent einen deutlichen Stimmenzuwachs, SPD und FDP erlitten Verluste. Erstmals zog die neue Fraktion der Grünen in den Bundestag ein. Sie konnte ihre Stimmenanteile 1987 noch auf 8,3 Prozent ausbauen und etablierte sich hinter CDU/CSU (minus 4,5 Prozentpunkte), SPD und FDP als vierte Kraft im Bundestag.

(Un-)einiges Deutschland

Bei der ersten gesamtdeutschen Wahl 1990 holte die CDU/CSU 43,8 Prozent, die SPD nur noch 33,5 und die FDP elf Prozent. Obwohl die PDS deutlich unter fünf Prozent kam, konnte sie durch die in Ost- und Westdeutschland getrennt angewendete Fünf-Prozent-Klausel in den Bundestag einziehen. Trotz weiterer Stimmenverluste blieb die Union 1994 mit 41,5 Prozent und 294 Mandaten stärkste Fraktion und Kohl Bundeskanzler, gefolgt von der SPD mit 36,4 Prozent und den Bündnisgrünen, die mit 7,3 Prozent drittstärkste Fraktion wurden.

Einen Machtwechsel gab es 1998, als die SPD mit 40,9 Prozent und 298 Mandaten unter ihrem Spitzenkandidaten Gerhard Schröder erstmals seit 1976 wieder die stärkste Fraktion bildete. Die Union erlitt in der Folge der CDU-Parteispendenaffäre starke Verluste und kam nur noch auf 35,1 Prozent, die FDP auf 6,2 Prozent, die Bündnisgrünen auf 6,7 Prozent, die PDS auf 5,1 Prozent. Zum ersten Mal kam es zu einem vollständigen Rollentausch zwischen Union und FDP einerseits und SPD und Bündnisgrünen andererseits. Folge daraus war eine rot-grüne Koalition unter Schröder und Außenminister bzw. Vizekanzler Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen). Zwar musste die SPD 2002 Stimmen einbüßen und gewann die CDU mit ihrer bayerischen Schwesterpartei CSU leicht hinzu, allerding kamen beide auf 38,5 Prozent. Durch vier Überhangmandate blieb die SPD jedoch stärkste Fraktion und konnte mit den Bündnisgrünen (8,6 Prozent), die ihr bis dahin bestes Wahlergebnis erzielten, die rot-grüne Koalition fortsetzen.

Zu einem erneuten Machtwechsel kam es nach der vorgezogenen Wahl im September 2005 (vorgezogen aufgrund der Niederlage der SPD bei den nordrhein-westfälischen Landtagswahlen im Mai), als sowohl Union als auch SPD Stimmenverluste erlitten, erstere aber mit 35,2 Prozent gegenüber 34,2 Prozent vorne lag. Die FDP legte ordentlich zu und kam auf 9,8 Prozent, was ihr den dritten Platz verschaffte, während Bündnis 90 /Die Grünen hinter der Liste der Linkspartei/PDS, auf der auch Mitglieder der noch jungen Partei WASG und Parteilose antraten (8,7 Prozent), nur Fünfte wurden. Da es weder für Schwarz-Gelb noch für Rot-Grün eine Mehrheit gab, einigten sich Union und SPD auf eine Große Koalition (GroKo). Der Bundestag wählte Angela Merkel (CDU) zur Kanzlerin, ihr Vize wurde Franz Müntefering (SPD).

Auf die GroKo folgte 2009 mit Merkel als Kanzlerin und Guido Westerwelle von der erstarkten FDP eine schwarz-gelbe Regierung, die bis 2013 hielt, als die Liberalen mit 4,8 Prozent erstmals an der Fünf-Prozent-Hürde (4,8 Prozent) scheiterten und nicht mehr im Bundestag vertreten waren. So kam einmal mehr eine Große Koalition von CDU/CSU (41,5 Prozent) und SPD (25,7) zustande, mit Merkel als Regierungschefin. Eine Neuauflage folgte 2017, als die Unionsparteien mit 32,9 Prozent der gültigen Zweitstimmen ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949 erzielten. Erstmals zog die AfD in den Bundestag ein und wurde mit 12,6 Prozent drittstärkste Kraft, gefolgt von der FDP, die mit 10,7 Prozent zurückkehrte, der Linken und den Grünen. Eine schwarz-gelb-grüne Koalition kam nach Sondierungsgesprächen nicht zustande, sodass Merkel zum dritten Mal eine Große Koalition bildete und zum vierten Mal Kanzlerin wurde.

Wie die Wahl zum 20. Bundestag im Oktober 2021 ausging, dürfte den meisten noch in guter Erinnerung sein: Die SPD wurde mit 25,7 Prozent wieder stärkste Kraft vor der Union, die mit 24,1 Prozent noch unter dem bisher historischen Tiefpunkt lag, sowie den Grünen mit 14,7 Prozent, die historisch ihr bestes Ergebnis erzielten. Daraus bildete sich die Ampelkoalition, die im vergangenen Herbst scheiterte. Am kommenden Sonntag wird damit bei der vorgezogenen Wahl der 21. Bundestag gewählt. Das Parlament, das einst in Bonn beheimatet war, hat von dem Einzug der audiovisuellen Medien in den 50er Jahren bis zum Aufkommen der digitalen Plattformen und der sozialen Medien vieles erlebt. Der Plakatwahlkampf, trotz x-facher inhaltlicher wie optischer Veränderung, ist wie in anderen Ländern eine Konstante geblieben.

 


fraulein smilla
19. Februar 2025 - 9.04

Das waren noch Zeiten ,als eine Partei mit 48,6 % in der Opposition landete .