Während die seit zwölf Jahren regierenden Konservativen ökonomisches Chaos verbreiteten, orientiere er sich an einer „Politik solider Staatsfinanzen“, sagte Keir Starmer am Dienstag auf dem Jahrestreffen in Liverpool. In einem Echo seines Vorgängers und langjährigen Premierministers Tony Blair versuchte der Parteichef, die Arbeiterpartei vom Image als verlängerter Arm der Gewerkschaften zu distanzieren: „Wir sind der politische Arm des britischen Volkes.“
Der frühere Leiter der Staatsanwaltschaft für England und Wales gehört erst seit 2015 dem Unterhaus an. Unter seinem direkten Vorgänger Jeremy Corbyn, einem harten Linken, diente Starmer als Brexit-Sprecher, ehe er nach der verheerenden Wahlniederlage vom Dezember 2019 die Parteiführung übernahm. Wegen ungeklärter Antisemitismus-Vorwürfe wurde Corbyn später aus der Fraktion ausgeschlossen.
Starmer bezichtigte die neue Premierministerin Liz Truss und deren Finanzminister Kwasi Kwarteng, sie hätten „die Kontrolle über die britische Volkswirtschaft verloren – und wofür? Um die Steuern vom reichsten einen Prozent der Bevölkerung zu senken.“ Tatsächlich will Kwarteng vom kommenden Steuerjahr an den Spitzensteuersatz von 45 Prozent für Jahreseinkommen von mehr als 168.240 Euro abschaffen. Labour werde die „größere Last für jene mit den breitesten Schultern“ wieder einführen, kündigte Starmer an. Damit werde seine zukünftige Regierung zusätzliche Ausbildungsplätze für Ärzte und Pflegepersonal sowie Hebammen finanzieren, deren Fehlen sich im Nationalen Gesundheitssystem NHS immer deutlicher bemerkbar macht.
Auch das seit Monaten geforderte Hilfspaket gegen die Energiekrise hat Labour mit Finanzierungsvorschlägen versehen; hingegen bleibt bei Truss‘ letztlich verkündeter Preisbremse für Gas und Strom, die Großbritannien bis zu 150 Milliarden Pfund kosten wird, die Finanzierung offen, was die Ängste vor zusätzlicher Staatsverschuldung schürt.
Erdrutschsieg möglich
Als Premierministerin Truss zu Monatsbeginn ihr Amt von Boris Johnson übernahm, gab es kurzzeitig Zweifel im Lager des Oppositionsführers. Ob der 60-Jährige gegenüber der 13 Jahre Jüngeren im Parlament nicht buchstäblich alt aussehen werde, lautete die Befürchtung der Image-Berater. Andere machten sich darüber Gedanken, wie Starmer sich nach dem Abgang der Skandalnudel Johnson positionieren solle gegenüber der neuen Regierungschefin, die trotz mancher politischer Kontroversen als persönlich integer gilt.
Truss‘ einseitig auf die harte Tory-Rechte setzende Regierungsbildung und ihr ökonomisches Experiment mit massiver Neuverschuldung zugunsten von Steuersenkungen für Reiche hat die Labour-Gemüter beruhigt, weil es Starmers Strategie bestätigt: Während die Konservativen immer weiter nach rechts rutschen, positioniert sich die alte Arbeiterpartei in der gesellschaftlichen Mitte, wo nach der Logik des Mehrheitswahlrechts die nächste Unterhauswahl entschieden wird. Die jüngste Umfrage des Meinungsforschers YouGov bestätigt den seit Monaten anhaltenden Trend: Demnach liegt Labour bei 45 Prozent und damit 17 Punkte vor der Regierungspartei – ein Erdrutschsieg wäre die Folge.
„Corbynistas“ beißen sich auf die Zunge
Das Gefühl, erstmals seit 2010 wieder in greifbarer Nähe der Macht zu sein, schweißt die Partei zusammen. Selbst treue „Corbynistas“, wie die Anhänger des gescheiterten Ex-Vorsitzenden spöttisch genannt werden, beißen sich auf die Zunge. Der Alt-Linke hatte einst beim Absingen der Nationalhymne God save the Queen geschwiegen und sich damit als Republikaner geoutet – keine gute Empfehlung an eine ganz überwiegend monarchisch gestimmte Nation.
Als wolle er den linken Flügel provozieren, ordnete Starmer diesmal für den Beginn des Parteitags das gemeinsame Singen der neuen Hymne God save the King an. Würde es Zwischenrufe, gar Pfiffe geben? Es sei „die letzte Minute meines Lebens“ gewesen, berichtete ein Mitglied des Schattenkabinetts später – doch anders als bei Starmers Rede im vergangenen Jahr blieben Proteste der Corbynistas diesmal aus. In Liverpool sei „peace and love“, Friede und Liebe, ausgebrochen, sagt die PR-Expertin Scarlett McGwire nur halb ironisch.
Neben der Corbyn-Linken haben sich auch Starmers ernsthafte Rivalen der allgemeinen Harmonie untergeordnet. Partei-Vize Angela Rayner gibt sich ebenso diszipliniert wie der populäre Bürgermeister von Manchester, Andrew Burnham, dessen Werbe-Veranstaltungen am Rande des Parteitags unter mangelndem Zuspruch litten.
De Maart
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