An der Miene von Lars Klingbeil kann man die Sorge um die Bundesregierung und seine Partei an diesem Wochenende zumindest nicht ablesen. Der Vizekanzler und SPD-Chef ist auf Tour quer durch den Heidekreis. In seinem Wahlkreis trifft er Bürger zum Gespräch, besucht Vereine, sieht beim Heidschnuckeneintrieb zu und legt viele Kilometer auf dem Fahrrad zurück – auch wenn es zwischendurch immer mal wieder ziemlich stark regnet. Die Stimmung in Niedersachsen ist gut.
Doch vor dem Finanzminister liegen schwierige Wochen: In der nächsten soll erst einmal der Haushalt für das Jahr 2025 verabschiedet werden – daran war die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP im November 2024 gescheitert. Nun verantwortet der Niedersachse die Haushaltsplanungen. Und die werden mit Blick auf die Jahre 2026 und vor allem 2027 wegen wachsender Etatlöcher immer problematischer.
Auch Kanzler Friedrich Merz ist am Wochenende unterwegs. Der CDU-Vorsitzende besucht das Henkel-Werk in Düsseldorf, lässt sich über die Chemie-Branche informieren. Merz und Klingbeil gemein ist, dass sie am Sonntagabend nach NRW blicken.
Ist die NRW-Kommunalwahl ein Stimmungstest für den Bund? Bei 13,7 Millionen Wählerinnen und Wählern kann man zumindest von einem Trend sprechen. Hinzu kommt, dass NRW ziemlich einsam im Wahlkalender steht. Die letzte Wahl in Deutschland ist schon mehr als ein halbes Jahr her (Bürgerschaftswahl in Hamburg). Bis das nächste Mal gewählt wird, werden weitere sechs Monate vergehen: Am 8. März 2026 finden in Bayern Kommunalwahlen und in Baden-Württemberg Landtagswahlen statt.
Die AfD „sehr hart“ angehen
Für die CDU in NRW ist die erste Prognose am Sonntagabend gut, die Partei hat kaum verloren und bleibt mit Abstand stärkste Kraft. Die Erleichterung darüber, auch in Berlin, ist groß. Für die Sozialdemokraten zeigt die erste Prognose zwar einen neuen Negativrekord in NRW, doch aufgrund der Umfragen im Bund hätte es auch noch schlimmer kommen können. Für die SPD-Spitze bedeutet das ein kurzes Durchatmen. Die AfD jedoch konnte ihr Ergebnis verdreifachen und erzielt nun auch im Westen gute Ergebnisse. Die Grünen verlieren dagegen stark, das bleibt der Partei auch im Bund ebenfalls nicht verborgen.
Merz jedenfalls hat schon angekündigt, kritische Schlussfolgerungen aus dem Ergebnis am Sonntagabend zu ziehen. Er sei entschlossen, insbesondere mit der AfD „sehr hart in der Sache um die richtigen Themen und den Kurs des Landes zu ringen“. Auch Klingbeil weiß, dass sich seine Partei nach der Wahl dringend auf den Weg machen muss, um dem schwindenden Vertrauen der Bevölkerung etwas entgegenzusetzen.
Als Mittel gegen die AfD hatte die Koalition eigentlich mit Antritt der neuen Regierung einen Politikwechsel versprochen. Doch reicht das? Die Koalitionäre jedenfalls versuchen angestrengt, ihre angeschlagene Beziehung nach der Sommerpause wieder zu kitten. Das allerdings ist nicht ganz einfach, denn durch die zunächst abgesagte Richterwahl für das Bundesverfassungsgericht ist Vertrauen verloren gegangen zwischen zwei Partnern, die sich zuvor noch kaum kannten. Es war der größtmögliche Unfall vor der Parlamentspause. Der Sommer, geprägt von vielen gegenseitigen Vorwürfen, trug ebenfalls nicht zur Stimmungsaufhellung bei.
Doch man versuchte es zumindest: Jens Spahn und Matthias Miersch, die Fraktionschefs von Union und SPD, organisierten eine Klausur ihrer Vorstände in Würzburg. Miersch und Spahn reisten außerdem gemeinsam nach Kiew, kein leichtes Reiseziel. Und so wuchs Verständnis füreinander, auch für die Belange des jeweils anderen. Nun gibt es eine neue Kandidatin der SPD für das Bundesverfassungsgericht und die Verantwortlichen hoffen, dass es nun am 25. September mit der Wahl klappt.
Wohin will die SPD?
Derzeit gilt unter den Koalitionären die Vereinbarung, nur ja nicht zu provozieren. Möglichst geräuschlos in den von Merz ausgerufenen „Herbst der Reformen“ zu starten. Was genau das heißt, darüber herrscht in der Regierung allerdings auch noch nicht vollstes Einvernehmen. Und wo genau das Haushaltsloch von 34 Milliarden Euro für das Jahr 2027 eingespart werden sollen, ist auch unklar. Man muss die „Überschriftenpolitik“ mit Leben füllen, so drückt es einer aus – und wird um Reformen im Sozialen nicht drumherumkommen.
Merz und Klingbeil können nach wie vor gut miteinander, das galt für die gesamte erste Regierungszeit. Doch beide müssen sie mit unruhigen Parteien kämpfen. In der SPD war der Parteitag im Juni ein Desaster für den Parteichef, aber auch für die Partei selbst. Wo will die SPD hin? Bas und Klingbeil werben nun trotz unterschiedlicher Parteiflügel für einen Kurs, der gemäßigte Reformen durchsetzen will. Und die Union? Wirkt der Anti-Migrations-Kurs als Mittel gegen die AfD?
Die anstehenden Beratungen über Sozialreformen werden vor dem Hintergrund dieser Wahlergebnisse sicher nicht leichter.
De Maart
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