Donnerstag6. November 2025

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DeutschlandDie Baustellen der Ampel-Regierung

Deutschland / Die Baustellen der Ampel-Regierung
Schafe grasen auf einer Wiese an der Weser vor dem stillgelegten Atomkraftwerk Grohnde. Der Tüv-Verband hält eine rasche Wiederinbetriebnahme der drei Atomkraftwerke, die Ende vergangenen Jahres stillgelegt wurden, für möglich. Die Ampelregierung muss entscheiden. Foto: Julian Stratenschulte/dpa

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In der Koalition läuft es nicht rund. SPD, Grüne und FDP beäugen sich misstrauisch. Und es gibt – neben dem Ukraine-Krieg – große Baustellen: Atomfrage, Streit um Corona, Bürgergeld, Schuldenbremse, Steuern und schließlich (schon wieder) das Tempolimit.

Stress. Eine Koalition hat Stress. Sie ist im Stress. Und nun auch noch ein Stresstest: Deutschland, wie hältst Du es mit den Atomlaufzeiten? Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich an diesem Mittwoch aufgemacht – von Berlin ins Ruhrgebiet. Bei Siemens Energy geht es um eine fertig gewartete Gasturbine für die Ostseepipeline Nord Stream 1, aber dann kommt doch die Atomfrage. Wird Deutschland seine letzten drei Atommeiler, die turnusgemäß Ende dieses Jahres vom Netz gehen, wegen möglicher Energieknappheit durch den Russland-Krieg doch länger als geplant laufen lassen? Scholz verweist auf mehrere Stresstests. Einer sei schon durchgeführt, ein weiterer „sehr, sehr strenger Stresstest“ sei in Auftrag. Der Kanzler beruhigt. „Wir werden für ganz Deutschland handeln.“ Alle Regionen in Deutschland würden bestmöglich unterstützt, damit die Energieversorgung gesichert sei.

In der Koalition von SPD, Grünen und FDP war die Stimmung schon besser als derzeit. Noch sind die Ampel-Partner im ersten Jahr ihrer politischen Zweckehe, doch die Anfangseuphorie ist verflogen. „Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“, haben sie ihren Vertrag überschrieben. Freiheit war der FDP wichtig, Gerechtigkeit der SPD, Nachhaltigkeit den Grünen. Nur rumpelt und rumort es seit geraumer Zeit im Maschinenraum der Koalition. Die Ampel hat Signalstörung. Ob bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie, in der Energiepolitik, beim Bürgergeld oder auch bei der Frage, wann die Bundesregierung angesichts dramatischer Krisen – zugespitzt durch den Ukraine-Krieg – wieder zur verabredeten Politik der Schuldenbremse zurückkehren kann, haben die Ampelmänner und -frauen unterschiedliche Vorstellungen. Hatten sich die Koalitionäre in ihrer Präambel zum Vertrag vorgenommen, den Staat zu modernisieren und „besser auf künftige Krisen“ vorzubereiten, gab es mit dem russischen Überfall auf die Ukraine eben genau diese Vorbereitungszeit nicht mehr. Der 24. Februar markierte die drei Tage später – an einem Sonntag – im Bundestag aufgerufene „Zeitenwende“. Beim 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr waren sich die Spitzen des Regierungsteils der Koalition schnell einig geworden.

Und doch ist das anfänglich breit erklärte gegenseitige Vertrauen mittlerweile geschwunden. Die SPD beäugt aufmerksam die Grünen, die für die lange leidgeprüften Sozialdemokraten zu einer echten Konkurrenz gewachsen sind. Die Grünen ahnen, dass ihre hohen Zustimmungswerte auch sehr schnell wieder sinken können. Und ein FDP-Grande erzählt hinter vorgehaltener Hand, ja, menschlich laufe es recht anständig mit SPD und Grünen, allerdings seien die inhaltlichen Positionen doch derart weit auseinander, dass der Koalitionsvertrag „quasi jeden Tag neu ausverhandelt“ werden müsse. Es gebe einfach sehr viele Baustellen.

Geben und nehmen

Die Atomfrage Der Kampf gegen Atomkraft gehört zum politischen Erbgut der Grünen. Längere Laufzeiten wären für sie deshalb eine erhebliche Zumutung, im Prinzip nicht akzeptabel. Aber um für den Fall einer Notlage, ausgelöst durch den Krieg in der Ukraine, gewappnet zu sein, zeigen sich einige Spitzen-Grüne gesprächsbereit. Vom „Streckbetrieb“ ist die Rede, bei dem die Brennstäbe über das Datum 31. Dezember 2022 weiter genutzt werden könnten – bis ins Frühjahr 2023. Doch die FDP will mehr. Ihr Vorsitzender Christian Lindner kann sich längere Atomlaufzeiten bis Frühjahr 2024 vorstellen. Ein echter Stresstest für die Grünen – und damit auch für die Ampel.

Das Tempolimit Ein symbolbehaftetes Thema, im Koalitionsvertrag bewusst ausgeklammert. Sollten die Grünen tatsächlich längeren Atomlaufzeiten zustimmen, käme die FDP wohl kaum daran vorbei, die freie Fahrt freier Bürger auf deutschen Autobahnen herunterzubremsen. Ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern käme dann in Reichweite.

Die Steuern FDP-Chef Christian Lindner sitzt dort, wo er hinwollte: an der Spitze des Bundesfinanzministeriums. Er will vor allem etwas gegen die kalte Progression tun, bei der Einkommens- und Lohnerhöhungen lediglich die Inflation ausgleichen, die Steuerlast wegen dieses höheren Einkommens aber trotzdem weiter steigt. Trotz Gehaltserhöhung haben Arbeitnehmer damit weniger in der Tasche als vorher. Auch SPD und Grünen wollen die Mitte der Gesellschaft entlasten, sehen aber – wegen der Schuldenbremse – wenig finanziellen Spielraum. Lindner wiederum hat Steuererhöhungen ausgeschlossen – dies war seine Bedingung für die Ampel.

Maskenpflicht könnte teilweise wiederkommen

Die Corona-Politik Hier steht die FDP gegen Grüne und SPD. Die Liberalen setzten beim Auslaufen des alten Infektionsschutzgesetzes im Frühjahr unter anderem ein Ende der Maskenpflicht in großen Teilen des öffentlichen Lebens durch. Auch wenn sich Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) nun auf ein neues Infektionsschutzgesetz ab 23. September geeinigt haben, will die FDP die Zahl der staatlichen Einschränkungen so niedrig wie möglich halten. Jetzt soll die Maskenpflicht für Teile des öffentlichen Lebens wiederkommen. Die Länder wiederum fordern vom Bund eigene Corona-Instrumente für den Ernstfall.

Das Bürgergeld Bundeskanzler Scholz hat schon angekündigt: Das neue Bürgergeld löst ab dem 1. Januar 2023 das bisherige Hartz IV ab. Das Bürgergeld setzt stärker als das bisherige Arbeitslosengeld II auf Qualifikation und Kooperation. Außerdem sollen Vermögen bis 60.000 Euro in den ersten beiden Jahren nicht angerechnet werden. Auch sollen Bezieher von Bürgergeld in den ersten zwei Jahren in ihren Wohnungen bleiben dürfen, selbst wenn diese zu groß sind. Unklarheit herrscht noch über die Höhe des Bürgergeldes. Der Regelsatz für Hartz IV liegt derzeit bei 449 Euro monatlich.