KinoDie Atomexplosion – oder: Wie das Kino lernte, die Bombe zu lieben?

Kino / Die Atomexplosion – oder: Wie das Kino lernte, die Bombe zu lieben?
In dem Godzilla von Takashi Yamazaki (links auf dem Bild, neben dem Schauspieler Ryunosuke) kulminiert alles Zerstörerische der Atombombe, ein Bild des absoluten Schreckens, aber auch der Hybris des Menschen Foto: Getty Images via AFP

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Es herrscht eine gewisse Endzeitstimmung im Kino dieser Tage. Die Angst vor einer atomaren Katastrophe scheint die gegenwärtige Filmproduktion wieder etwas fester im Griff zu haben: „Oppenheimer“, „The Boy and the Heron“ und die neueste Godzilla-Verfilmung „Minus One“ spiegeln diese Tendenz auf auffällige Weise – ein Streifzug durch die Filmgeschichte und ihr ambivalentes Verhältnis zur Nuklearfrage.

Dass die Produktion von Filmen, die sich mal mehr, mal weniger direkt mit der Atomkatastrophe und deren Folgen mit dem Aufkommen des Kalten Krieges unmittelbar anstieg, ist selbstredend. In Hollywood dominierten besonders ab den Fünfzigerjahren reißerische Katastrophenfilme, die, aus dem Reservoir des Science-Fiction-Genres schöpfend, mehr den Ansprüchen sensationellen Unterhaltungskinos verpflichtet waren als politischer Aussagen. „The War of the Worlds“ (1953) erzählt von der außerirdischen Invasion einer kleinen, verschlafenen Stadt in Kalifornien durch den Mars. Es ist nur ein Beispiel einer Vielzahl an Filmen, die als Ausprägungen eines kollektiven amerikanischen Unterbewusstseins zu lesen sind; sie sind ausdrücklich als Angstzustände vor der kommunistischen Invasion und Unterwanderung zu verstehen – es sind Endzeitphantasien, in denen der Atomschlag zur totalen Vernichtung der Menschheit führen könnte. Entgegen dieser Tendenz wurde der offen satirische Angriff von Stanley Kubricks „Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb“ (1964) überaus populär und hat bis heute Kultstatus inne. In ihm entfaltete sich so etwas wie eine befreiende Wirkung durch Lachen. Kubrick machte klar, dass man das Thema nicht mehr nur mit stoischem Ernst beschauen konnte.

Auch in Japan

Neben dem US-amerikanischen Kino besitzt das Themenfeld der Atombombe im japanischen Filmschaffen einen hohen Stellenwert. Nach Beendigung der US-Militärzensur in Japan, die jegliche kulturellen Produktionen rund um das Thema strengstens überwachte, ließen die ersten Spielfilme nicht lange auf sich warten. So wie das Begriffspaar „Atombombe-Hiroshima“ mitunter unlöslich voneinander scheint, so naheliegend ist die Hinwendung des japanischen Kinos zu der Frage nach den verheerenden Folgen der Nuklearenergie – dies geschah hauptsächlich in zwei Richtungen. Zum einen entstand mit Kaneto Shindos „Die Kinder von Hiroshima“ (1952) ein frühes, eindringliches Drama, das sich mit den langfristigen Auswirkungen der Atombombe beschäftigte – eine Befragung, die bis zur nächsten Generation an Filmemachern reichte, die die „nuberu bagu“, die japanische „Neue Welle“ der Sechzigerjahre begründeten. Vor allem Yoshishige Yoshidas „Akitsu Springs“ (1962) sticht da hervor. Es sind gegenwartsbezogene Filme, die sich sehr kritisch und bedacht mit dem japanischen Alltagsleben in der unmittelbaren Nachkriegszeit beschäftigten. Zum anderen wurde mit den Zeichen spektakulären Effektekinos eines der wohl bekanntesten Filmmonster überhaupt geschaffen: Godzilla. Als direkte Allegorie präsentierte die Kreatur sich in der Erstverfilmung durch Ishirô Honda als der Gestalt gewordene Alptraum – es ist ein sehr direktes und überaus konfrontatives Bild für die Traumata der Atombomben-Abwürfe.

Ein ebenso über Japan hinaus erfolgreiches Phänomen waren die Animationsfilme des Studios Ghibli. An ein eher kindliches Publikum adressierten sich Filmemacher wie Hayao Miyazaki und Isao Takahata. „Nausicaä aus dem Tal der Winde“ (1984) oder „Die letzten Glühwürmchen“ (1988) vermittelten den komplexen Sachverhalt der Postapokalypse und der Vergangenheitsbewältigung auf lehrhafte, ja meditative Weise. All diese Filme kommen, wenngleich auf unterschiedlichsten Wegen, letztlich auf einen gemeinsamen diskursiven Punkt: Sie wurden zum Ausdruck einer weltpolitischen Instabilität, die niemand mehr so recht wünschte.

Neue Wellenbewegung?

Auf den Kinoleinwänden wird die Nuklearkatastrophe zurzeit erneut verhandelt: Christopher Nolans filmisches Porträt des „Vaters der Atombombe“, Robert J. Oppenheimer, ist der Versuch, ein komplexes und verschachteltes Bild der umstrittenen Persönlichkeit zu zeichnen. Dabei beruht der Film auf etwas ganz Sonderbarem: Er ist überhaupt nicht am reinen Schauwert der Explosion als Spektakel (ein Kernaspekt des Actionkinos) interessiert, sondern vielmehr am kreativen Schöpfergeist, die Theorie in die Praxis umzusetzen. Daraus ergibt sich ferner das Interesse an der abstrakten Wissenschaftssprache seiner handelnden Filmhelden. Gerade aus diesem Umstand heraus dürfte erklärlich werden, warum Atomphysiker und auch die Herstellung der ultimativen Waffe nur selten zum Gegenstand filmischer Erzählungen wurden. „Oppenheimer“ schildert den Abwurf der Bomben als einschneidendes Ereignis, ohne es zu zeigen, und versucht stattdessen vielmehr die Beweggründe für diesen drastischen Schritt aus der Sicht der Amerikaner zu begreifen.

Obwohl die Atombomben-Explosion in „The Boy and the Heron“ nicht direkt angesprochen wird, führt der neue Film von Miyazaki doch überaus vielschichtig und achtsam die traumatischen Erfahrungen und Belastungen der Nachkriegszeit mit. Dafür nutzt er eine Erzählweise, die nicht auf Kausallogik und Stringenz fußt, sondern vielmehr auf Kontinenz; die Brüche auftut, einem Zustand des traumähnlichen Springens von einer Szene zur anderen nahekommend. „The Boy and the Heron“ zeigt auf, wie tief die Kriegsgeschehnisse in der individuellen wie kollektiven japanischen Psyche eingegraben sind – die atomare Katastrophe ist dabei gerade aufgrund der konsequenten Aussparung ‚in absentia‘ in der Filmhandlung spürbar.

Mit „Godzilla“ (2014), „Godzilla II: King of the Monsters“ (2019) und „Godzilla vs. Kong“ (2021) war eine Filmreihe gestartet, die die japanische Kreatur in einen Filmzyklus der „erweiterten Filmuniversen“ stellte, ganz der Logik der Inhaltslosigkeit und des Stumpfsinns der Marvelfilme folgend. Mit „Godzilla x Kong: The New Empire“ soll nächstes Jahr ein weiterer Film in die Kinos kommen. Der neu gestartete japanische Monsterfilm „Godzilla: Minus One“ („Gojira -1.0“) unter der Regie von Takashi Yamazaki scheint aber in erster Linie eine Rückbesinnung auf den ursprünglichen Stoffgehalt des Filmklassikers von 1954 zu sein – der Versuch, die Kultfigur des Monsterkinos den Fängen der gegenwärtigen hollywoodschen Mainstream-Blockbuster zu entreißen und wieder an seinen Ausgangspunkt zu führen. In ihr kulminiert alles Zerstörerische der Atombombe, ein Bild des absoluten Schreckens, aber auch der Hybris des Menschen. Gojira, wie die Kreatur im Original heißt, war nämlich bereits bei Ishirô Honda ein Warnzeichen. Das Monster ist die direkte Folge der menschlichen Fähigkeit, das absolut Böse in die Welt zu setzen. Mit der kurzen Anspielung auf den Bombentest auf dem Bikini-Atoll im Juli 1946 ist das Trauma sogar sehr direkt adressiert.

Das jetzige Aufkommen dieser Filme in einer erneuten Wellenbewegung mag für die tiefe Verunsicherung gegenüber der weltpolitischen Lage sprechen. Mit den zunehmenden Anfeindungen zwischen dem Westen und Russland im gegenwärtigen Ukrainekrieg, den Atomdrohungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin und seiner angestrebten Allianz mit China, oder noch Nordkoreas Politik zum Ausbau des Atomwaffenarsenals, nun in der Verfassung eingeschrieben, sind derartige apokalyptische Szenarien und Angstvorstellungen vielleicht wieder virulenter geworden. In allen Fällen ist bemerkenswert, dass die Berührungen zwischen diesem Themenfeld und dem Film sich mitunter äußerst ambivalent vollziehen. Ausnahmslos nähren sich diese Filme – mal mehr, mal weniger – von Angstfantasien. Diese Fantasien bilden bis zu einem gewissen Grad den Reiz und die Schaulust erst aus. Ohnehin ist die Angst eine der stärksten affektbasierten Triebfedern zahlreicher Filmgenres. Man kann diesen Umgang mit der verheerenden realhistorischen Katastrophe von Nagasaki und Hiroshima in seinem effektheischenden Gestus als moralisch fragwürdig einstufen – die Filme, so verschieden sie auch sind, eröffnen indes auch ganz genuin ästhetische Räume, die neue künstlerische Ausdrucksformen und Wege zeigen, das Unvorstellbare und Unausdrückbare mit den Bildern und Tönen des Films zu be- und verarbeiten.