Was macht ein vegetarischer Vampir, den der Blutdurst fast verrückt macht, bei dem die moralischen Bedenken jedoch überwiegen? Nun, ganz klar, er beißt der Kaiserin Sissi in den süßen Marzipanhals. Was, so niedergeschrieben, nach einem viel zu komplizierten Witz klingt, wird einmal eine Szene aus dem Film „Die Blutgräfin“ sein, den die deutsche Regisseurin Ulrike Ottinger gerade in Österreich und Luxemburg abgedreht hat.
Ein hellgrauer Montagmorgen, Anfang März, in der Luxemburger Oberstadt. Temperaturen zwischen Winter und Frühling, wolkenbedeckt, Vampirwetter. Auf dem Platz hinter der „Gëlle Fra“ stehen weiße Transporter, Wohnwagen, Anhänger, umzingelt von Absperrgittern. Sie gehören zur Film-Crew von „Die Blutgräfin“. Heute ist Drehtag in Luxemburg-Stadt, genauer: in der Pâtisserie Namur in der rue des Capucins. Hier trifft sich der vegetarische Vampir Rudi Bubi Baron von Strudl (gespielt von Thomas Schubert) mit seinem Therapeuten (gespielt von Lars Eidinger). Den Baron, der sich eigentlich nur von Süßspeisen ernährt, treibt der Hunger nach Blut um, sein Therapeut hingegen glaubt ihm nicht, dass er ein Vampir ist und will ihn stattdessen von seinem Trauma heilen. Die Situation eskaliert, Rudi Bubi stürzt Richtung Kellnerin, nur um dann in letzter Sekunde seine Zähne in einer Marzipanbüste der Kaiserin Sissi zu versenken. „Ein exzellentes Marzipan“, kommentiert der Vegetarier.
Das Ende der Welt – oder die Erlösung
„Sie sehen“, sagt Ulrike Ottinger ein wenig später auf einem kleinen Sofa im Erdgeschoss der Cinémathèque, „das ist ein Film, der in Teilen auch grotesk und komisch ist.“ Die Regisseurin macht gerade eine kurze Drehpause. Später geht es weiter im „Grand Hotel Cravat“, gegenüber der „Gëlle Fra“. Doch jetzt ist ein paar Minuten Zeit für die Presse. Ottinger erzählt von der Szene, die sie heute Morgen abgedreht hat. Vom vegetarischen Vampir Rudi Bubi, dem Neffen der titelgebenden Blutgräfin, gespielt von der großen Isabelle Huppert. Einen „Familienrebell“ nennt ihn die Filmemacherin. Ottinger wurde 1942 in Konstanz geboren. Sie verbrachte in den Sechzigerjahren einige Jahre in Paris, hörte Vorlesungen von Claude Lévi-Strauss und Pierre Bourdieu. Zurück in Deutschland, etablierte sie mit ihrem Debütfilm „Laokoon & Söhne“ einen experimentell-surrealistischen Stil, der im Spiel von Zitaten und Mythen zu einem zentralen Aspekt ihres filmischen Schaffens werden würde. Und nun also eine Vampirgeschichte.

In das Wien der Gegenwart kehrt die „Blutgräfin“ Erzsébet Báthory (Huppert) zurück, eine Vampirin aus dem 19. Jahrhundert. Dort ist ein altes Buch aufgetaucht, das alle Vampire dieser Welt haben wollen: Denn wer es besitzt und liest, kann Vampire wieder sterblich machen. Das Ende der Vampirwelt – oder die Erlösung. Begleitet wird die Gräfin dabei von ihrer Zofe (gespielt von Birgit Minichmayr), die ihr regelmäßig Opfer zuführen muss, die sich der Vampirin in Angst-Lust hingeben. Der Dritte im Bunde ist Rudi Bubi Baron von Strudl (Schubert), Neffe der Blutgräfin. Auch er ist auf der Jagd nach dem Buch – wenn auch aus anderen Gründen: Er will wieder Mensch werden.
„Wir haben hier wirklich die Crème de la Crème des deutschsprachigen Kinos versammelt“, sagt Alexander Dumreicher-Ivanceanu. Er ist einer der Produzenten von „Die Blutgräfin“ und empfängt im Kinosaal der Cinémathèque, um von der Geschichte des Projektes zu erzählen. Seine Produktionsfirma Amour Fou, die Dumreicher-Ivanceanu zusammen mit der luxemburgischen Regisseurin und Künstlerin Bady Minck vor beinahe genau 30 Jahren in Ettelbrück gegründet hat, arbeitet bereits seit zehn Jahren an dem Projekt. „Die Blutgräfin“ ist eine österreichisch-luxemburgisch-deutsche Koproduktion, unter anderem finanziert vom Filmfonds Luxemburg und dem österreichischen Filminstitut. Gedreht wurde an Originalschauplätzen in Wien und Umgebung, im Studio in Köln und eben in Luxemburg. „Wir haben fantastische Schauplätze“, sagt Produzent Dumreicher-Ivanceanu. Man habe im Prunksaal der österreichischen Nationalbibliothek drehen können, in der Hofburg – und eine Woche auf Schloss Meysemburg, östlich von Mersch.
Der Bau aus dem späten 19. Jahrhundert dient im Film als Location für eine Gruft-Szene, in der die Blutgräfin den berühmten österreichischen Feldmarschall Radetzky wiedererweckt – der daraufhin zusammen mit seinen Generälen gleich den nächsten Krieg planen will. „Das ist etwas, was den Film modern und leider sehr aktuell macht“, sagt Produzent Dumreicher-Ivanceanu. „Es kehren die Geister des Krieges zurück, diese Generäle, die längst gestorben sind, aufgeweckt vom Blutdurst der Gräfin.“
Gedreht wird „Die Blutgräfin“ zwar zu einem Drittel in Luxemburg, der Film spielt aber ausschließlich in Österreich. Die Pâtisserie Namur in der Oberstadt stellt deshalb auch kein luxemburgisches Lokal dar, sondern das berühmte Café Demel in Wien, mit seinen Torten und Marzipanfiguren. Warum muss man Wien in Luxemburg nachstellen? „Das Demel ist ein Ort, an dem man heute kaum mehr drehen kann als Originalschauplatz“, sagt Dumreicher-Ivanceanu. „Das ist mittlerweile ein Hotspot für alle Touristen, die nach Wien kommen.“ Zu viel Betrieb, zu viel Veränderung. Also hat das Szenenbild-Team rund um die Luxemburgerin Christina Schaffer das Namur mit wenigen Eingriffen in das Café Demel verwandelt. Die originalen österreichischen Kronleuchter hat man aus Wien mitgebracht.
Autorenfilmerin im Genrekino
Ulrike Ottinger macht seit mehr als 50 Jahren Filme, sie inszeniert am Theater, ihre Fotografien wurden auf der documenta und der Biennale in Venedig gezeigt. Ihre Dokumentarfilme haben sie um die ganze Welt geführt. Was reizt sie jetzt am Vampirfilm? „Vampire sind ideale Protagonisten“, sagt Ottinger. „Man kann emotional sehr viel in sie hereinlesen.“ Der Vampirfilm hat für sie aktuelle politische Brisanz: „Wir sind von vampiristischen Systemen umgeben.“ Der Vampirfilm, als Genrekino, war immer auch Spiegel seiner Zeit. Von Murnaus „Nosferatu“ über den britischen Hammer-„Dracula“ mit Christopher Lee bis zu modernen Untoten wie dem „Daywalker“ aus „Blade“. Der deutsche Autor und Kulturkritiker Georg Seeßlen unterscheidet zwei Erblinien im Vampirfilm, den „Dracula“ und den „Nosferatu“. Während der eine erotischer Verführer ist, symbolisiert der andere den Tod, die Apokalypse. „Ich würde mich da überhaupt nicht festlegen wollen“, sagt Ottinger. „’Die Blutgräfin’ ist ein Film, der auch sehr stark mit den anderen Möglichkeiten der Vampire arbeitet. Denn sie leben sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart als auch in der Zukunft. Mit ihnen kann man Strukturen zeigen, die relativ konstant sind über die Jahrhunderte, aber in jedem Jahrhundert, in jeder Zeit, ein ganz besonderes Instrumentarium haben.“
Ob sie sich von den Zwängen des Genrekinos eingeschränkt fühle? „Ich weiß nicht“, sagt Ottinger, „ich bin da immer etwas mutig und setze mich über einiges hinweg.“ Natürlich nutze sie das Genre, vor allem die Erwartungen daran, aber „ich bewege mich recht frei“. „Die Blutgräfin“ ist auch nicht Ottingers erster Ausflug ins Genre. 1978 erschien „Madame X – Eine absolute Herrscherin“, eine feministische Neuerfindung des Piratenfilm-Genres – und zugleich Parodie auf die Frauenbewegung der Zeit. Es ist eine der interessantesten Konstellationen des Kinos, wenn zwei Konzepte aufeinanderprallen: der auteur mit seiner vision du monde und das Genrekino mit seinen Standards. Ottinger ist durch und durch Autorenfilmerin, bei den meisten ihrer Filme übernimmt sie Regie, Drehbuch und Kamera in Personalunion.
„Die Blutgräfin“ jedoch hat Martin Gschlacht fotografiert. Das Drehbuch hat Ottinger zusammen mit Elfriede Jelinek geschrieben, der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin. Sie kennen sich schon länger, Ottinger hat Anfang der Zweitausender einen Text von Jelinek am Berliner Ensemble inszeniert, 2007 hat die Schriftstellerin in Ottingers Dokumentarfilm „Prater“ mitgespielt, eine Hommage an den mythischen Ort des ältesten Vergnügungsparks der Welt. Bei „Die Blutgräfin“ hat Jelinek an den Dialogen mitgeschrieben. „Dadurch bekommen sie eine messerscharfe, blutig-zugespitzte Ebene“, sagt Produzent Dumreicher-Ivanceanu. Bis die Zuschauer in den Genuss dieser Wiener Scharfzüngigkeit im Vampirkostüm kommen können, wird es jedoch noch etwas dauern. Mittlerweile ist der Film abgedreht und befindet sich in der Postproduktion. „In einem Jahr ist der Film fertig und dann können wir ihn ins Kino bringen“, sagt Dumreicher-Ivanceanu, „der Kinostart ist für 2026 geplant.“
De Maart

Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können