Montag22. Dezember 2025

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Auf verlorenem Posten Die „Académie d’Ambronay“ kämpft gegen katastrophale akustische Verhältnisse im Hof der Abtei Neumünster

Auf verlorenem Posten  / Die „Académie d’Ambronay“ kämpft gegen katastrophale akustische Verhältnisse im Hof der Abtei Neumünster
Weltklasse-Violinistin Amandine Beyer rettet das eingefrorene Konzert im Hof der Abtei Neumünster über die Runden Foto: Bertrand Pichène

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Unter der Leitung von Amandine Beyer interpretierte die „Académie d’Ambronay“ im Hof der Abtei Neumünster Werke von Antonio Vivaldi, Tomaso Albinoni, Johann Adolf Hasse und Evaristo Felice Dall’Abaco.

Sie spielen nur einen Sommer. 20 junge Musiker, ausgewählt aus den besten Hochschulen Europas, proben zwei Wochen lang gemeinsam in der Abtei von Ambronay, einer Hochburg der Barockmusik, und touren anschließend durch Europa. Ein mittlerweile bewährtes Kulturprojekt, das, seit seinen Anfängen 1993, Stars wie Ophélie Gaillard oder Patricia Petibon hervorgebracht hat. Freiluftklassik im Stadt-Grund, da erwartet man, wie zu Garnisonszeiten, Trommler und Pfeifer, vielleicht Hörner- und Trompetenschall, aber nein, beim Vivaldi-Venedig-Konzert der „Académie d’Ambronay“ steht die Barockvioline im Fokus; nur ein einsamer Fagottist darf die Bläserriege vertreten.

Nicht weniger als 230 Concerti für die Solo-Violine hat Vivaldi geschrieben, und selbst den Fagottisten, gemeinhin Stiefkinder der Komponisten, hinterließ der „rote Priester“ 39 konzertante Werke. Virtuoses meist, gestrickt nach dem stets gleichen Schema: Molto vivace zu Beginn, molto vivace zum Schluss, dazwischen eine Miniatur-Oper, in der vom Solisten sensibles Singen auf seinem Instrument erwartet wird. Wenn Vivaldis Concerti, wie nicht wenige behaupten, alle wie eines klingen und eines wie alle, dann besteht die Gefahr, dass aus solch einer endlos wiederholten Konzert-Dramaturgie ein zäher Einheitsbrei wird. Und genauso klang letztendlich das „Miroirs Vénitiens“-Konzert in der Abtei Neumünster.

Wie Klangmatsch aus einer schlechten Musikbox

Wobei die Musiker der „Académie d’Ambronay“ keinerlei Schuld trifft. Ihr engagiertes Spiel auf historischen Instrumenten wird im Hof des früheren Gefängnisses von einer Verstärkeranlage unterstützt, die wahrscheinlich für ganz andere Musikkaliber vorgesehen ist. So tönt das gesamte Konzert, zumindest auf den seitlichen Plätzen, wie Klangmatsch aus einer schlechten Musikbox. Aus permanent summenden Lautsprechern dröhnt es wie in einem Baumarkt. Bei derart katastrophalen akustischen Verhältnissen kann man Interpretationsvorsätze allenfalls erahnen, deshalb nur so viel: Ein bestens vorbereitetes Orchester bemüht sich sichtlich um Spielfreude, doch zu keinem Augenblick springt der Funke auf das zahlreiche Publikum über. Da können weder die Nebendarsteller Dall’Abaco und Hasse noch die Regie mit dramatischen Lichteffekten die Aufführung retten. Die jungen Musiker spielen auf verlorenem Posten.

Spätestens nach Vivaldis Fagott-Concerto, bei dem ein famoser Solist gegen Glockengeläut und Flugzeuglärm ankämpft, ist man als Zuhörer dankbar für die grandiose Festungskulisse, nichts weniger als Weltkulturerbe, das schöne Sommerwetter und die rührigen Versuche einzelner Orchestermitglieder, das Publikum beim Präsentieren der Stücke zu animieren. Und es mutet wie Realsatire an, wenn Vivaldis Werke als bloße Hintergrundmusik dargestellt werden, zu denen die Zuhörer, wie einst in Venedig, ruhig flanieren, tanzen, lärmen und speisen sollen. Ein weiterer Musiker fantasiert über eine Discokugel, die bei solch einer „soirée animée“ nicht fehlen sollte.

So ist es schlussendlich Amandine Beyer selbst, die das eingefrorene Konzert über die Runden rettet. Die Weltklasse-Violinistin, deren Interpretation von Bachs Partiten und Sonaten für Solo-Violine zu den Top-Referenzen zählt, lenkt die „Académie“ diskret aus dem Hintergrund, bis auch sie, in sympathischem Plauderton, das Publikum mit einbezieht. So erzählt sie mit Begeisterung und Humor von ihren begabten jungen Kollegen und der diesjährigen Konzertreise, und vergisst nicht, ein gleichfalls berührendes Sozial- und Kulturprojekt aus Vivaldis Zeit zu erwähnen.

Tatsächlich schrieb dieser einen beträchtlichen Teil seiner Instrumentalmusik für verwaiste und ausgesetzte Mädchen, deren famoses Hospiz-Orchester er lange dirigierte. Mit viel Fachkenntnis berichtet Amandine Beyer von der Aufführungspraxis dieses Ausnahme-Ensembles in Venedigs Kirchen vor Zuhörern, die sie als „insupportables et charmants“ beschreibt, um sich dann ihrerseits in den aussichtslosen Kampf gegen die akustischen Widrigkeiten zu begeben. Tausende wunderbare Noten schickt sie, einem Gebet gleich, in den Abendhimmel. Wie viele dieser Noten es wohl noch braucht, um all die Schatten der Grausamkeiten zu verscheuchen, die immer noch über diesem Ort liegen?