Diana Burkot bewegt sich über die kleine Bühne der Kulturfabrik in Esch wie eine zerbrochene Ballerina. Langsam, ihre Bewegungen stocken, ihre Arme und Beine verdrehen sich ins Absurde. Dann beginnt sie zu singen. Der Text ist nicht zu verstehen. Das macht nichts. Burkots Musik wirkt auch so. Auf einer körperlichen Ebene.
Diana Burkot steht in Esch allein auf der Bühne, aber hinter ihr steht ein ganzes Kollektiv. Sie ist Teil der russischen Punk- und Aktivisten-Gruppe Pussy Riot. Seit 2011 schon, was bedeutet, dass Burkot Teil des berühmten „Punk Prayer“ war, in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau. Damals, im Februar 2012, drangen Mitglieder von Pussy Riot in die Kirche ein, um vor dem Altar mit Gesängen und Gebeten gegen Patriarch Kyrill und den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu protestieren. Nadeschda Tolokonnikowa, Jekaterina Samuzewitsch und Marija Aljochina wurden verhaftet und zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilt – ein Urteil, das weltweite Proteste nach sich zog und Pussy Riot international bekannt machte. Burkot entging Verhaftung und Lagerhaft. Ihre Teilnahme konnte geheim bleiben. Vor acht Jahren, als die Tat verjährt war, enthüllte Tolokonnikowa Burkots Identität.
Kein Frieden mit Waffenstillstand

Burkot hat Russland mittlerweile verlassen. Wie ihre Mitstreiterin Aljochina. Die war zu Beginn des Ukraine-Kriegs auf spektakuläre Art und Weise aus russischem Hausarrest geflohen, um mit Pussy Riot auf Europatour zu gehen. Aljochina gab damals an jedem Tour-Stopp Interviews, auch dem Autor dieser Zeilen, der Krieg war frisch, die Ängste groß.
Heute, drei Jahre später, sitzt Diana Burkot im Backstage-Bereich der Kulturfabrik. Warme Socken, gemütliches Sofa, unbequemes Thema. Nach der russischen Invasion in der Ukraine habe sie in Europa „viel Solidarität und Empathie“ verspürt, sagt Burkot. Heute aber seien die Leute kriegsmüde. „Am Anfang glaubten alle an einen Sieg der Ukraine, jetzt wollen sie einen Kompromiss mit Putins Regime“, sagt Burkot. Ein Waffenstillstand, ein Einfrieren des Konflikts, findet sie einen großen Fehler. „Putin wird nach einer gewissen Zeit einfach weitermachen. Weil er an der Macht bleiben will“, sagt Burkot. Der russische Präsident brauche die Projektion eines äußeren Feindes, um von innenpolitischen Problemen abzulenken.
Für Burkot hat die russische Bedrohung noch eine andere Seite: Sie hegt die Hoffnung, dass Europa in diesen Tagen enger zusammenrückt. Doch die Erfolge der Rechtsextremen und Rechtspopulisten bei den jüngsten Wahlen in Österreich oder Deutschland sprächen dagegen. „Jetzt dreht die Welt durch“, kommentiert Burkot die jüngsten Ereignisse auf der Münchner Sicherheitskonferenz und Donald Trumps Verhandlungen mit Putin.
Noch etwas ganz Zentrales hat sich seit dem Kriegsbeginn vor drei Jahren verändert. Alexej Nawalny, die große Hoffnung der russischen Opposition, ist tot. Ob Burkot einen Nachfolger sieht? „Wir haben andere Oppositionelle“, sagt sie. „Aber sie haben nicht so viel Vertrauen. Oder Charisma.“ Nawalny sei eine ganz besondere Person gewesen, so Burkot. „Ich will nicht sagen, dass er ein Held war. Weil ich dieses Konzept im Allgemeinen nicht mag. Aber er hat die Opposition vereint. Die Menschen, die sich gegen Putin gestellt haben. Er hat eine andere Seite von Russland gezeigt. Er hat gezeigt, dass eine andere Meinung existiert.“
Ein anderes Russland zeigen
Eine andere Seite von Russland zeigen, das macht auch Diana Burkot. Auf der Bühne der Kulturfabrik mündet ihr Avantgarde-Electro-Pop gerade in den nächsten Song. Auf die Leinwand hinter sich projiziert sie in großen lateinischen Buchstaben einen Namen, „AUDREY“, dann folgt ein langer Erklärtext auf Englisch. Audrey ist eine Freundin von Burkot. Sie ist eine von vielen Menschen, mit denen sie in ihrer Heimat noch immer Kontakt hält, die sie auf dem Laufenden halten, was im Land passiert. An diesem Abend trägt fast jeder Song den Namen einer Person. Es sind Songs, die Geschichten erzählen von einem anderen Russland. So wie die von Audrey, einer trans Person. In Russland werden LGBTQIA+-Themen und Feminismus als extremistische Ideologie angesehen. „Für sie ist es fürchterlich schwer“, sagt Burkot im Interview. „Sie lebt die ganze Zeit in Angst.“ Mit der Tour will Burkot auch Geld sammeln für Menschen wie Audrey.
Burkot erzählt nicht nur von Russland, sondern auch vom Exil. Am Tag vor ihrem Konzert in Esch spielte sie in Paris. Dort hat sie eine Freundin getroffen, die aus Russland geflohen ist. „Sie ist Feministin und Aktivistin und spielt in einer Punkband.“ Die stehe stellvertretend für die Leute, die sich entschieden hätten, nicht mehr länger in Russland leben zu können, sagt Burkot. Ihre Freundin sei im ersten Exil-Jahr total „lost“ gewesen, sie musste ihr Leben wieder von Grund auf aufbauen. „Das ist ziemlich traumatisch.“ Ähnlich ging es Egor, über den Burkot an diesem Abend auch singt. Er ist nach Jerewan in Armenien geflohen, um der Mobilisierung und der russischen Armee zu entgehen. „Er war nicht bereit, jemanden zu töten.“
Burkot unterbricht ihre Show für eine Ansage. Noch einmal spricht sie über Nawalny und seinen Tod. „Ich will nicht mehr an Helden glauben, die kommen und uns retten“, sagt sie. „Gemeinschaft ist viel wichtiger als verdammte Politiker“, sagt Burkot. „Deine Stimme kann alles verändern.“ Applaus. Was auf der Bühne etwas verknappt rüberkommt, hat sie zuvor im Gespräch ausgeführt. Es habe sich einsam angefühlt nach Nawalnys Tod, sagt Burkot. Auch weil sich die Verantwortung nicht mehr auf ihn oder eine andere Person übertragen lasse. „Wir müssen jetzt alle selbst Verantwortungen übernehmen, im Alltag. Das ist viel komplizierter“, sagt Burkot. Es geht ihr nun weniger um Individuen, sondern mehr um die Gemeinschaft, die Gesellschaft. „Das Persönliche ist politisch“, zitiert Burkot eine alte feministische Idee.
Der erste Schritt ist das Wachrütteln. Den Körper schütteln, in Bewegung kommen. Das gelingt Diana Burkot an diesem Abend. Nach ihrem Set, zum großen Finale, stößt Burkots Support-Act zu ihr auf die Bühne. New Age Doom, eine Zwei-Mann-Band aus Vancouver, Kanada. Ein Schlagzeuger und ein Multiinstrumentalist. Zusammen schaffen sie den groovendsten Höllenlärm, den man seit langem gehört hat. Genau die richtige musikalische Untermalung für diesen Abend in düsteren Zeiten.

De Maart

Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können