27. Oktober 2025 - 6.58 Uhr
Leserforum„Devoir de mémoire“ – Ein Plädoyer für Erinnerungskultur
Angesichts des anhaltenden Krieges in Europa, des Erstarkens rechtsextremer Kräfte, des zunehmenden Antisemitismus und der belasteten transatlantischen Beziehungen wird eines immer deutlicher: Die Erinnerung an die Kriegsjahre, in denen Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, Menschen mit Behinderung, Kriegsgefangene und alle andere von einer mörderischen Rassenpolitik als „lebensunwert“ erklärt und systematisch verfolgt und ermordet wurden, ist heute wichtiger denn je. Diese Erinnerung darf nicht zu einer bloßen historischen Pflichtübung werden, sondern muss uns eine dauerhafte Mahnung sein. Papst Johannes Paul II. brachte es auf den Punkt: „Es gibt keine Zukunft ohne Erinnerung, und es gibt keinen Frieden ohne Erinnerung.“ Erinnerung ist mehr als ein Rückblick – sie ist eine Haltung und eine Verantwortung, die auch die dritte und vierte Nachkriegsgeneration tragen. Es liegt an uns, das Bewusstsein für die politischen und moralischen Lehren des Zweiten Weltkriegs lebendig zu halten. Politische Bildung, insbesondere in Schulen, spielt dabei eine zentrale Rolle.
Gerade die junge Generation muss verstehen: Freiheit, Demokratie und Menschenwürde sind keine Selbstverständlichkeiten. Sie erfordern Wachsamkeit, Zivilcourage und den Mut, Widerspruch zu üben. Doch auch die älteren Generationen sind in der Pflicht, ihre Erfahrungen und Mahnungen weiterzugeben. Der Schwur „Nie wieder!“ hat kein Verfallsdatum – auch nicht achtzig Jahre nach Kriegsende. Da die Zahl der Zeitzeugen stetig abnimmt, wächst unsere Verantwortung, ihr Vermächtnis lebendig zu halten. Vergangenheit lässt sich nicht ungeschehen machen, doch wer die Augen vor ihr verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wir alle sind aufgerufen, entschieden gegen Antisemitismus, Rassismus, Hass, volksverhetzende Parolen und jede Form von Menschenfeindlichkeit einzutreten. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Die Verunglimpfung der Opfer muss daher auf rechtlicher Ebene geahndet werden. Die Tatsache, dass Judenhass wieder salonfähig geworden ist, verlangt nach einer sofortigen Reaktion.
Wir alle wissen, wohin Rassenwahn und Überlegenheitsgefühle führen können. Trotz aller Fortschritte seit 1945 zeigt die Realität: Frieden und Freiheit sind selbst in Europa keine Selbstverständlichkeit mehr. Gerade deshalb müssen wir die dunkelsten Kapitel unserer Geschichte ernst nehmen und ihre Lehren beherzigen. Worte wie Solidarität, Toleranz, Freiheit und Demokratie dürfen nicht hohl klingen, sondern müssen fest in unserem gesellschaftlichen Bewusstsein verankert bleiben. Eine starke Demokratie mit verlässlichen Institutionen in einem vereinten Europa ist die beste Garantie für ein friedliches Zusammenleben. Ich danke allen, die sich mit großem Engagement tagtäglich für die Erinnerung einsetzen. Sie bewahren die Erinnerung und übernehmen Verantwortung. Dieses Gedenken darf niemals enden.
De Maart
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