InterviewDeutschland: SPD-Vize Kevin Kühnert bevorzugt Rot-Grün

Interview / Deutschland: SPD-Vize Kevin Kühnert bevorzugt Rot-Grün
Kevin Kühnert will erst einmal Bundestagsabgeordneter werden – und hält Überehrgeiz für einen unangenehmen Charakterzug Foto: dpa/Fabian Sommer

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Der Vizevorsitzende der SPD Kevin Kühnert dürfte nach den Wahlen am Sonntag in Deutschland dem nächsten Bundestag angehören. Der zum linken Flügel der Partei gehörende populäre Ex-Juso-Chef dient den Unionsparteien in ihrer Kampagne als Schreckgespenst. Unsere Berliner Korrespondenten führten mit Kevin Kühnert folgendes Gespräch.

Tageblatt: Herr Kühnert, schon vor knapp zwei Jahren haben Sie beim SPD-Parteitag vor der Rote-Socken-Kampagne der Union gewarnt, die nun potenzielle SPD-Wähler verunsichert. Warum lassen Sie die beim Thema Linksbündnis im Unklaren?

Kevin Kühnert: Ich habe nicht den Eindruck, dass Menschen, die uns gerne wählen möchten, verunsichert wären. Das ist nur der erkennbar letzte Versuch der Union, enttäuschte Stammwähler doch noch zu mobilisieren. Aber diese Angstkampagne ist doch nicht neu. Die Wiederholung der immer gleichen Leier ändert nichts daran, dass wir in Deutschland keine Koalitionen wählen, sondern Parteien. Je stärker die SPD wird, desto weniger Koalitionspartner werden benötigt. So einfach ist das.

Beim Parteitag sagten Sie außerdem, dass die Union mit der Kampagne davon ablenken will, dass sie ihr Verhältnis nach rechts nicht ordentlich geklärt hat. Ist das heute klarer?

Nein, ganz im Gegenteil. Wir erleben eine Union in Aufruhr, in der der rechte Parteiflügel langsam, aber sicher zum bestimmenden Faktor wird. Hans-Georg Maaßen ist dabei übrigens nur eine von vielen treibenden Figuren. Mit der Merkel-CDU hat das nicht mehr viel zu tun.

Die Union bemüht Sie und SPD-Chefin Saskia Esken als Schreckgespenster.

Diese Kampagne der Union war in der ersten Woche vielleicht noch ganz lustig für die eigenen Leute, in der zweiten Woche war sie dann schon peinlich für die Konservativen und jetzt ist sie einfach nur eine intellektuelle Beleidigung. Wenn alles, was die Union noch zusammenhält, der Hass auf Saskia Esken und mich ist, dann sollten die Leute von CDU und CSU sich Gedanken um die Tragfähigkeit ihrer beiden einst staatstragenden Parteien machen.

Ist ein weiteres Bündnis mit der Union für Sie ausgeschlossen?

Wenn wir betonen, dass Demokraten grundsätzlich zu Gesprächen miteinander in der Lage sein müssen, dann tun wir das aus Respekt vor unserer Demokratie. Aber wir betonen im selben Atemzug unsere feste politische Überzeugung, und die lautet wie folgt: Wir wollen unter allen Umständen eine erneute Regierungsbeteiligung der Union verhindern, weil sinnvolles Regieren mit denen nicht mehr möglich ist. Die Union ist leer und entkernt, sie gehört in die Reha.

Wir wollen unter allen Umständen eine erneute Regierungsbeteiligung der Union verhindern, weil sinnvolles Regieren mit denen nicht mehr möglich ist

Würden Sie denn dieses Mal eine linke Mehrheit, sofern sie am Sonntag kommt, für eine Regierungsbildung nutzen wollen?

Wir sind jetzt in der spannenden Situation, dass es durchaus noch für eine rot-grüne Mehrheit reichen kann. SPD und Grüne sind den Umfragen zufolge die einzigen beiden Parteien mit kräftigen Zuwächsen im Vergleich zu den Ergebnissen vor vier Jahren. Rot-Grün unter einem Kanzler Scholz, das würde der Stimmung im Land am nächsten kommen. Und dafür kämpfe ich. Als linker Sozialdemokrat kann ich auch nur davon abraten, die Stimme auf gut Glück der Partei Die Linke zu geben. Denn am Sonntag geht es um Scholz oder Laschet, es geht um die Führung im Land. Wer jetzt taktiert, kann sich schnell verkalkulieren.

Wie sehr freuen Sie sich auf Christian Lindner als möglichen Partner in einer Ampel?

Christian Lindner ist ein Luftikus. Er hat sich in diesem Wahlkampf schon auf Laschet als Kanzler festgelegt, auf das Finanzministerium für die FDP und auf eine klare Absage an eine grüne Kanzlerin. Jede Woche eine neue Parole. Lindner ist ein Spieler, der sogar Superreiche steuerlich entlasten will, gleichzeitig aber kein seriöses Finanzkonzept hat. Ich frage mich, mit welcher Partei er auf dieser windigen Grundlage zusammenarbeiten möchte. 

Olaf Scholz hat im Wahlkampf bereits die Raute von Kanzlerin Angela Merkel bemüht. Steht er für ein „Weiter so“, das Sie als Parteilinker nie wollten?

Olaf Scholz hat sich mit der Raute fotografieren lassen und ich fand das witzig. Angela Merkel genießt schließlich für einige persönliche Eigenschaften Anerkennung, bis in mein politisches Lager hinein. Sie ist nicht korrumpierbar, sie strahlt Ruhe und Verlässlichkeit aus und niemand muss Sorge haben, dass sie Deutschland im Ausland blamiert. All das trifft auch auf Olaf Scholz zu. Inhaltlich aber steht er für einen anderen Kurs, für Aufbruch, etwa bei Energiewende, guter Arbeit und dem Ausbau der Daseinsvorsorge.

Christian Lindner ist ein Luftikus

Ihre Handschrift findet sich im Wahlprogramm unter anderem beim Thema Wohnen wieder. Warum wollen Sie ein in Berlin gescheitertes Mietenkonzept bundesweit ausrollen?

Das ist nicht der Fall. Wir wollen eben keinen pauschalen Mietendeckel. Wir wollen einen fünfjährigen Mietenstopp in den angespannten Märkten vieler Großstädte, Unistädte und Stadtrandlagen. Damit überbrücken wir die Zeit, bis endlich wieder bezahlbarer Wohnraum in großem Stil fertiggestellt wird. Anderswo kämpfen die Kommunen mit Leerstand, worauf wir mit Anreizen für junge Familien antworten wollen, beispielsweise beim Erwerb und der Ertüchtigung historischer Bausubstanz.

Was ist jungen Menschen wichtiger: ein ausgeglichener Haushalt mit Abbau der Corona-Schulden, oder Schulden ohne Ende und ein stark investierender Staat?

Natürlich muss der Staat kräftig investieren, weil wir in Bund, Ländern und Kommunen einen riesigen Investitionsstau haben. Und weil staatliche Investitionen eine lenkende Wirkung für Investitionen der Wirtschaft haben. Es ist schön zu sehen, dass die Autoindustrie sich reichlich spät doch noch für die E-Mobilität entschieden hat – aber es brauchte eben auch die Ansage des Staates, in kürzester Zeit eine Million Ladesäulen möglich zu machen. Industrie und Infrastruktur, beides gehört zusammen. Und wir dürfen nicht nur auf den Bund gucken. Viele Länder und Kommunen haben fast gar keine Spielräume mehr für Investitionen. Wenn der Stadtrat nur noch über Straßennamen berät und gar kein Geld mehr ausgeben kann, läuft etwas schief.

Also die Schuldenbremse lockern?

Erst einmal setzt sich die SPD sehr stark für die Wiedereinführung einer moderaten Vermögensteuer für Multimillionäre und Milliardäre ein. Das wäre eine Ländersteuer und damit endlich eine Möglichkeit, mehr Investitionsstätigkeit auch in ärmeren, vom Strukturwandel geprägten Regionen zu ermöglichen. Und auch eine von der SPD geforderte Altschuldenregelung für völlig überschuldete Kommunen bleibt notwendig.

Die Schuldenbremse wird also 2023 wieder greifen, wie Finanzminister Scholz das zugesagt hat?

Ich war nie ein Freund dieser ziemlich pauschalen Regelung und ob sie zu einer sich immer dynamischer verändernden Welt und Umwelt passt, wage ich zu bezweifeln. Aber ich sehe, dass für eine Abschaffung keine Zweidrittelmehrheiten in Sicht sind. Deshalb muss jede Partei bekennen, wie sie unser Gemeinwesen stattdessen zukunftsfest machen will.

Welche Rolle wollen Sie in der Bundestagsfraktion übernehmen? 

Bundestagsabgeordneter!?

Begnügen Sie sich als stellvertretender Parteichef mit einem Platz im Bauausschuss?

Das wäre eine wichtige und ehrbare Aufgabe. Wie es aussieht, könnten wir sehr viele junge Leute in der künftigen Fraktion sein. Das wäre ein starkes Aufbruchssignal. Aber wir wären da die Neuen, meine Person inklusive. Und Überehrgeiz ist ein unangenehmer Charakterzug.

Niemand braucht Angst davor zu haben, dass im Herbst eine Armada von linksradikalen Neu-Abgeordneten um die Ecke kommt und 75 Prozent Einkommensteuer fordert

Würde eine stark links und ideologisch geprägte Fraktion ein Problem für einen Kanzler Scholz?

Die meisten jungen und neuen Gesichter – auch ich – kommen aus der Kommunalpolitik und sind keine Ideologen. Wir haben unendlich viel Zeit in die programmatische Erneuerung der SPD gesteckt. Das ist der Kitt, der die Partei heute so geschlossen dastehen lässt. Niemand braucht Angst davor zu haben, dass im Herbst eine Armada von linksradikalen Neu-Abgeordneten um die Ecke kommt und 75 Prozent Einkommensteuer fordert. Unser Programm ist klassisch sozialdemokratisch und es gilt auch nach der Wahl. Was wir vorhaben, das kann jeder nachlesen.

Werden die SPD-Mitglieder am Ende über eine Koalition entscheiden?

Die umfassende Mitgliederbeteiligung rund um Fragen der Koalitionsbildung ist ein Erfolg, die SPD hat hier Maßstäbe gesetzt. Ich gehe davon aus, dass das auch so bleibt. Wir sind nämlich eine Mitmachpartei.

Gilt das auch vor Beginn von Sondierungen oder Koalitionsverhandlungen – oder sollten Scholz und die Parteiführung da Beinfreiheit bekommen?

Erst einmal wollen wir stärkste Kraft werden. Dann könnten wir andere Parteien zu Gesprächen einladen. Klar ist doch, wir würden nur mit Demokraten reden. Und dafür hat der gewählte Parteivorstand mit Sicherheit den nötigen Vertrauensvorschuss.

CSU-Chef Markus Söder hat mit einem Fußballvergleich gesagt, dass ein zu siegesgewisser Olaf Scholz in der 80. Minute noch sein schwarzes Wunder erleben könnte. Was antworten Sie als Fan von Arminia Bielefeld?

Ich jubele grundsätzlich nicht vor dem Abpfiff. Aber ein Dauer-Zweitligist aus Nürnberg sollte sich mit Tipps für das Gewinnen vielleicht besser zurückhalten.