Sonntag21. Dezember 2025

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Reportage aus SaarbrückenEinigkeit und Recht und Schwarzwälder Kirschtorte 

Reportage aus Saarbrücken / Einigkeit und Recht und Schwarzwälder Kirschtorte 
Vom vereinigten Deutschland zum geeinten Europa: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist Ehrengast beim 35. Tag der Deutschen Einheit Foto: Jean-Christophe Verhaegen/POOL AFP/dpa

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Zum 35. Mal feiert Deutschland seine Einheit – mit einem dreitägigen Fest in Saarbrücken und hohem internationalem Besuch. Aber was genau feiert man hier eigentlich? Eine Nation oder Europa? Die Vergangenheit oder die Zukunft?

Es riecht nach frischer Farbe. Zwei Männer tunken Malerrollen an Teleskopstangen in Eimer auf dem Bürgersteig. Dort, wo vor wenigen Minuten noch ein mannshohes Graffiti den 1. FC Saarbrücken feierte, glitzert jetzt weiße Farbe. Es ist Mittwochmorgen, noch zwei Tage bis zum großen Ereignis – und die ganze Stadt ist im Umbau. Weil das Saarland in diesem Jahr den Vorsitz im Bundesrat innehat, finden die Feierlichkeiten zum Tag der deutschen Einheit in der saarländischen Hauptstadt statt. Drei Tage Nationalfeiertag, mit Bürgerfest, Gottesdienst, offiziellem Festakt, Hunderttausenden Gästen. Die Straßen sind gesperrt, der Alltag in der Stadt lahmgelegt. Saarbrücken als einzige Flaniermeile, die sich über die gesamte Innenstadt erstreckt, vom Bahnhof über die Einkaufsstraße, durch die Altstadt, zum Landtag und darüber hinaus bis in den Osten der Stadt.

„Zukunft durch Wandel“ ist das Motto dieses 35. Tags der Deutschen Einheit. Und der Wandel ist offensichtlich. Überall in den Straßen verschwinden in den Tagen zuvor Graffitis, Aufkleber, Plakate. Fassaden werden neu gestrichen. Dort, wo man nicht streichen kann, weil der Untergrund zu kaputt zum Überstreichen ist, hängt man exakt nachgestaltete Häuserfassaden als Attrappen auf wie gigantische Duschvorhänge. Oder man stellt Bauzäune zum Sichtschutz auf mit Infotexten zur Einheit. Deutsche Geschichte verdeckt marode deutsche Infrastruktur. Ganz wie in „Alice im Wunderland“, wo die hörigen Karten-Untertanen in Erwartung des hohen Besuchs die weißen Rosenbüsche rot streichen. Allein: In Saarbrücken überpinselt man nicht für die Herzkönigin, sondern für Emmanuel Macron.

Der französische Präsident ist der Ehrengast an diesem 3. Oktober, der erste ausländische Staatschef seit zwei Jahrzehnten, der beim deutschen Nationalfeiertag auftritt – und allen die Show stiehlt. Beim Festakt in der Saarbrücker Congresshalle spricht Macron nach Bundeskanzler Friedrich Merz, dessen schwergängige Festtagsrede den Saal nicht bewegen kann. Minutenlang redet der Kanzler von der „gelungenen“ Wiedervereinigung und den Herausforderungen der Gegenwart (bedrohte Freiheit, digitale Revolution, chaotische Weltwirtschaft, irreguläre Migration), ohne ein einziges Mal Zwischenapplaus zu ernten. Macron hingegen hat – Auswärtsspielbonus – die Menschen im Saal und vor den Leinwänden der Stadt schon dadurch gewonnen, dass er seine Rede auf Deutsch beginnt und sich dann zu einem flammenden Plädoyer für eine neue Epoche europäischer Einigkeit steigert, für das er an diesem Tag als einziger Standing Ovations vom Publikum bekommen wird.

Potemkinsche Dörfer und napoleonische Feldlager

„Der Nationalismus ist ein Verrat am Patriotismus“, sagt der französische Präsident. Während sich der Nationalismus aus dem Hass auf das andere nähre, so Macron, sei der Patriotismus eine Feier der Gemeinsamkeit. Ein im ersten Moment nebensächlicher Satz, aber einer, über den man an diesem Tag noch lange nachdenken muss. In drei Jahren wird die Bundesrepublik genauso lange wiedervereinigt sein, wie sie geteilt war. Feiert man die geeinte Nation oder das Ende der Teilung?

Dass die Deutschen ihren Nationalfeiertag anders angehen als die Franzosen, ist klar. Andererseits hätte man jedoch erwartet, dass die „Wir sind wieder wer“-Mentalität der stolz Flagge zeigenden Fußballfans seit dem Sommermärchen 2006 auch ins Politische hinübergeschwappt ist. Ist sie nicht. Zumindest nicht in Saarbrücken, tief im Südwesten der Republik. Wo man mal französisch, mal deutsch, mal unabhängig war, wie die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger in ihrer Rede zum Festakt sagt. Und wo man bis heute noch immer von allem ein bisschen sei.

Auf dem St. Johanner Markt weht am Donnerstagnachmittag bei der Eröffnung des dreitägigen Festes eine einzige, einsame Deutschlandflagge vom Fahnenmast eines Privatgebäudes. „Den europäischsten aller Tage der Deutschen Einheit“, verspricht der Saarbrücker Oberbürgermeister Uwe Conradt. Und in der Tat: Man sieht in diesen Tagen kaum Deutschlandflaggen. Auch wenn Ministerpräsidentin Rehlinger öffentlich ihre Liebe zu „Schwarz, Rot, Gold“, den „Farben der Demokratie“, proklamiert – Schwarz, Rot und Gold finden sich nur dezent verarbeitet im Logo von „Zukunft durch Wandel“. Auch auf der dichtgedrängten „Ländermeile“ kommen einem nur zwei kleine schwarz-rot-goldene Fähnchen entgegen, die sich beide aus der Nähe jedoch als Landesflagge von Rheinland-Pfalz entpuppen. Stattdessen Kinder mit Europa-Sternen. Nur beim Fraktionsstand der AfD neben dem saarländischen Landtag hängt eine Deutschlandflagge schlaff vom hüfthohen Fahnenmästchen. Ein Parteifunktionär versucht, sie anzuheben, doch es hilft nichts. Die Schwerkraft siegt immer.

Auf dem Weg zum Festakt in der Congresshalle begegnet man der antifaschistischen Demo gegen den Tag der Deutschen Einheit, ihr Motto haben sie aus Paul Celans Gedicht „Todesfuge“ entliehen: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.“ Die Nationalisten und die Anti-Nationalisten, sie wollen nicht so recht in das Narrativ dieser unpolitisch politischen Tage passen, an denen man lieber den „Mut zum Wandel“ der Ostdeutschen in der Vergangenheit feiert, wie Ministerin Rehlinger in verschiedenen Reden formuliert. Allein: Ostdeutsche sind keine da. Bundesratspräsidentin, Bundestagspräsidentin, Bundespräsident, Bundeskanzler, alles Wessis. Gesprochen wird viel über den Osten, aber Sprechrollen gibt es auf der großen Bühne keine.

Hoher Besuch zum hohen Tag (v.l.): Saarlands Ministerpräsidentin und Bundesratspräsidentin Anke Rehlinger empfängt Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron, den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzler Friedrich Merz und den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth.
Hoher Besuch zum hohen Tag (v.l.): Saarlands Ministerpräsidentin und Bundesratspräsidentin Anke Rehlinger empfängt Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron, den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzler Friedrich Merz und den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth. Foto: Jean-Christophe Verhaegen/POOL AFP/dpa

Es gibt in diesen Tagen in Saarbrücken die Fassade und dann gibt es die Realität. Man überstreicht Graffiti, weißelt Wände, biegt man jedoch um die Ecke, ist alles vollgesprüht und der Verputz bröckelt. Was will man mit all den Potemkinschen Dörfern verstecken? Berlin war bekanntermaßen „arm, aber sexy“ (Klaus Wowereit). Saarbrücken ist arm und ein bisschen angeschlagen. Dafür lieben die Saarbrücker ihre Stadt. So wie Rapper EstA, der beim Festakt dem freundlich-irritiert dreinblickenden Macron die Textzeile „Saarbrigge, du Geiler“ entgegenschleudert.

Es ist kompliziert. Man feiert sich im Saarland an diesen Tagen, aber man versteckt sich auch. Die lokale Gastronomie darf den St. Johanner Markt, sonst Gastro-Hotspot, an den Festtagen nicht bespielen. Ein Ladenbesitzer, vor dessen Geschäft in der Altstadt eine Videoleinwand mit Werbefilmchen gepflanzt wurde, spricht angesichts von Hunderten spitz zulaufenden weißen Pavillons von einem „napoleonischen Feldlager“. Während manche Stadtbewohner grummeln, so wie die Mutter auf dem Lastenfahrrad, die von den Security-Mitarbeitern auf einen Umweg zu ihrer Kita gezwungen wird, scheint es den Zehntausenden Gästen, die sich teilweise oktoberfestdicht durch die Gassen zwischen den Länder-Pavillons drängen, gut zu gefallen.

Eine Zukunft gibt es immer, Wandel auch

Vielleicht lautet so die Antwort auf die umformulierte Gretchenfrage: Wie hältst du’s mit der Nation? Pragmatisch, das Beste aus allen Bundesländern, messekühl durchkalkuliert serviert. Der Wein aus der Pfalz ist günstig und köstlich, in Hamburg gibt’s Fischbrötchen, Berlin strengt sich mit seinen zusammengezimmerten Palettenmöbeln gar nicht erst an und in Baden-Württemberg ist die Schwarzwälder Kirschtorte schon zur skandalösen Uhrzeit 16 Uhr am Freitagnachmittag ausverkauft.

Und dann ist da noch Europa. Die wunderbare Ausflucht, die man im Saarland gerne nimmt. Man ist ja bei dieser Deutschlandsache nie so ganz dabei gewesen. Die Saarländer, so sagt es Landesmutter Rehlinger, seien historisch gesehen Meister des Wandels. Damals die Wirren der Nachkriegszeit, heute der Strukturwandel. „Zukunft durch Wandel“, das Motto des Feiertags, entpuppt sich in diesem Kontext als überraschend tiefstapelnder Slogan. Eine Zukunft gibt es immer. Wandel auch. Zum Guten müssen beide nicht sein. Beim ökumenischen Gottesdienst am Freitagmorgen rufen Vertreter der großen Religionen hoch oben auf dem Saar-Polygon ins Ensdorf, gebaut auf Bergbauruinen, Symbol des Wandels und der 35. Einheitsfeier, ihre Fürbitten für die Zukunft des Landes in den „Wind der Veränderung“, zu den Pianoklängen der Glasnost-und-Perestroika-Hymne der Scorpions. Wandel funktioniert nur durch Gemeinschaft, nicht durch Gegeneinander, sagt ein ehemaliger Bergmann.

Fromme Wünsche sind das eine. Konkrete Politik das andere. Und in die Vergangenheit blickt es sich leichter als in die Zukunft. Alle politischen Redner dieser Tage betonen die Bedeutung der Einigkeit, die Wichtigkeit des Zusammenstehens, aber auch die Rolle der Debatte und des Dialogs, die die Demokratie von der Autokratie trennen. Allein Macron macht in der wichtigsten Stelle seiner Rede deutlich, wie sehr dieser Dialog bereits vergiftet ist von den Mechanismen sozialer Medien, „in den Händen US-amerikanischer und chinesischer Unternehmen, die nicht an einem Funktionieren unserer Demokratie interessiert sind“.

„Macht“ dürfe kein Schimpfwort sein in Europa, sondern eine gemeinsame Pflicht. Am Ende seiner Rede wechselt der französische Präsident wieder ins Deutsche. „Es lebe die deutsch-französische Freundschaft, es lebe das geeinte Europa“, ruft Macron im Brustton des historischen Moments, der Blick ernst und ein wenig verschleiert von Tränen.

fraulein smilla
5. Oktober 2025 - 17.06

Frankreich bzw Mitterand stand was die Wiedervereinigung angeht auf der Bremse . Die Wiedervereinigung ist den USA -George H Bush und der UdSSR
-Gorbatschow geschuldet .Macron ist also voellig fehl am Platze , man haette Trump oder Vance einladen muessen .