Spätestens mit dem siegreichen 1870/71er-Krieg Preußens gegen Frankreich spielt der Staat in Deutschland eine mitunter gottähnliche Rolle – mit dämonischen Folgen zwischen 1933 und 1945. Nach Kriegsende ist der Staat im Westen Garant für Wohlstand, soziale Gerechtigkeit, innere Sicherheit und die Versöhnung mit den Nachbarn Frankreich (Adenauer) und später Polen (Brandt).
Im Osten war die diktatorisch agierende, nur scheinbar demokratische DDR darauf bedacht, Marx und Hegel in realsozialistische Frisch-Fromm-Fröhlich-Frei-Musik umzusetzen. Ein Recht auf schlechte Laune gab es nicht, man musste Dankbarkeit zeigen für die Früchte des Sozialismus: Arbeit für alle, auch für die Mütter, Sicherheit nach außen dank des blendend funktionierenden sowjetischen Atomschirms.
Dergestalt auf den Staat vertrauend, schritt man durch die Jahrzehnte. Der Mauerfall war zugleich Höhe- und Wendepunkt dieser Entwicklung. Das eine Staatsverständnis wurde dem anderen, für falsch befundenen übergestülpt, staatlich gerahmte freie Marktwirtschaft verdrängte die sozialistische Planwirtschaft im Osten.
Mit der Turboglobalisierung ab den Neunzigern und Nullerjahren aber verabschiedete sich der Staat sukzessive aus manchen Handlungsfeldern: innere Sicherheit, Migration, negative Globalisierungseffekte, Wohnungsmarkt, Kaufkraftverlust, mangelnde Aufstiegschancen für bildungsferne Schichten. Vieles war als Gemengelage lange vor dem Trauma von 2015 bereits angelegt: Misstrauen gegenüber urbanen Eliten, gegenüber der vermeintlich staatlich gelenkten Presse, Verdrängungsängste durch Neuankömmlinge, stagnierende Reallöhne durch kalte Progression, Wohnungsmangel, Bevormundung und Überregulierung durch den EU-Suprastaat, der den deutschen Vater Staat ersetzt hat.
Zehn Jahre später reicht ein Mord an zwei Menschen, damit die viel beschworene Brandmauer zur AfD niedergerissen wird. Die einen zieht es zu Tausenden auf die Straße, weil sie an die Versprechen eines sozio-liberalen Staates erinnern: freier Eintritt für alle Verfolgten, multi- oder zumindest interkulturelle Räume, ökologischer Umbau, Friedenspolitik durch Abrüstung, Hedonismus, Wandel-durch-Handel-Logik, quality time, Minderheitenrechte.
Auf der anderen Seite lauern die ebenfalls staatsgläubigen bürgerlichen, konservativen, reaktionären und mitunter völkischen Kräfte. Auch sie sind vom Staat, von dem sie sich Schutz sowie die Umsetzung ihrer Ideologeme erhoffen, enttäuscht. Deshalb wohl die angeheizte Stimmung. Sowohl der eine als auch der andere Weg erliegen dem trügerischen Glauben an einen vermeintlich allmächtigen und seligmachenden Staat.
De Maart
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