Samstag15. November 2025

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AusstellungDeutsche Filmgeschichte im Schnelldurchlauf

Ausstellung / Deutsche Filmgeschichte im Schnelldurchlauf
Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft: Das Weltkulturerbe Völklinger Hütte versucht sich an einer deutschen Filmgeschichte  © Hans-Georg Merkel/Weltkulturerbe Völklinger Hütte

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Das Weltkulturerbe Völklinger Hütte wagt in Kooperation mit der Deutschen Kinemathek Berlin die erste Gesamtschau zur Geschichte des deutschen Films.

Es sind nur wenige Schritte von der Hetzpropaganda der Nazis zu den Trümmern des besiegten Deutschlands. Auf dem Monitor flimmert ein Ausschnitt aus „Jud Süß“, Veit Harlans berüchtigtem antisemitischem Historienfilm. Der Film, der auf Befehl Heinrich Himmlers allen SS-Einheiten und KZ-Wachmannschaften vorgeführt wurde. Eine der perfidesten und erfolgreichsten Filmproduktionen des Nationalsozialismus. Und doch kann man von hier aus das Ende des Krieges schon sehen, wenn man nur den Kopf dreht. Wenige Meter entfernt blickt Hildegard Knef von der großen Leinwand, in Wolfgang Staudtes „Die Mörder sind unter uns“, dem ersten deutschen Nachkriegsfilm.

Peter Lorre in Fritz Langs „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“
Peter Lorre in Fritz Langs „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ © Hans-Georg Merkel/Weltkulturerbe Völklinger Hütte

Es ist dieses Spannungsverhältnis zwischen den historischen Epochen, die Gleichzeitigkeit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu jedem Zeitpunkt, das die Ausstellung „Der Deutsche Film – 1895 bis Heute“ im Weltkulturerbe Völklinger Hütte prägt. Die historische Gebläsehalle wird zum Schauplatz deutscher Filmgeschichte – kuratiert von Rainer Rother, dem Künstlerischen Direktor der Deutschen Kinemathek Berlin, und Ralf Beil, dem Generaldirektor des Weltkulturerbes Völklinger Hütte.

Ausstellungen zu Teilaspekten des deutschen Films gab es schon einige, auch die deutschen Filmmuseen geben in ihren Dauer- und Sonderausstellungen Einblicke in das deutsche Filmerbe. In Völklingen hat man mit Berliner Hilfe jedoch Neuland betreten: Noch nie zuvor hat eine Institution versucht, die deutsche Filmgeschichte in einer Gesamtschau zu präsentieren – von den Anfängen des Kinos über den Expressionismus, Neue Sachlichkeit und die Weimarer Republik, durch die NS-Diktatur und die Teilung des Landes bis in die Gegenwart.

Die Giganten des deutschen Kinos

Etwa einhundert Leinwände fügen sich in Völklingen zwischen die Schwungräder der Gebläsemaschinen des ehemaligen Eisenwerkes. Manche schweben über der Szenerie wie Geister, andere verschmelzen mit der Maschinenwelt. Wieder andere erreicht man nur, wenn man über eine schmale Treppe in das noch engere Untergeschoss steigt.

Beil und Rother haben viele Klassiker ausgewählt, Giganten des deutschen Kinos. Ihre Ausschnitte strahlen von den Leinwänden. Josef von Sternbergs „Der blaue Engel“ mit Marlene Dietrich. Fritz Langs meisterhafter früher Tonfilm „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“, „Fitzcarraldo“, Werner Herzogs megalomanisches Porträt eines Megalomanen mit Klaus Kinski in der Hauptrolle. Und allen voran natürlich das Epos „Metropolis“, dessen heute retrofuturistische Maschinenstadt-Ästhetik wie kein anderer Film in die industrielle Umgebung der Hütte passt. Alles in allem ist in Völklingen viel Filmkanon zu sehen, doch Rother und Beil betonen, dass sie diesen Kanon mit Filmen durchsetzt haben, die weniger bekannt sind.

Ein Mammutprojekt: Werner Herzog 1982 am Set seines Films „Fitzcarraldo“ 
Ein Mammutprojekt: Werner Herzog 1982 am Set seines Films „Fitzcarraldo“  © Werner Herzog Film/Deutsche Kinemathek

„Der Deutsche Film“ ist keine Ausstellung für Eingeweihte geworden, die Schwelle für den Einstieg ist niedrig, Vorwissen quasi nicht nötig. Man macht hier in Völklingen populäre Ausstellungen, im besten Sinne des Wortes. Nicht für die Nische, sondern für die Masse. Es ist der große Erfolg dieser Gesamtschau, dass Rother und Beil eine sehr gute Balance gefunden haben. „Der Deutsche Film“ überfordert nicht, noch langweilen sich Besucher, die sich mit deutscher Filmgeschichte auskennen.

Platz für Nebenstränge

Grund dafür sind vor allem auch die kleinen Nebenstränge, die die Kuratoren in die kanonische Erzählung geflochten haben. So zieht sich beispielsweise eine queere Filmgeschichte durch die ganze Ausstellung, von Ernst Lubitschs Stummfilm „Ich möchte kein Mann sein“ über Rosa von Praunheims „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ bis zum lesbischen Kultfilm „Die Jungfrauenmaschine“ von Monika Treut.

Hitler und Goebbels liebten den Film: Filmplakat zu „Metropolis“
Hitler und Goebbels liebten den Film: Filmplakat zu „Metropolis“ Quelle: Österreichische Nationalbibliothek

An anderen Stellen weichen Beil und Rother ganz bewusst vom Kanon ab und präsentieren überraschendes Material. Im Teil des NS-Kinos beispielsweise läuft Veit Harlans „Jud Süß“ nur auf einem kleinen Monitor. Die große Leinwand bekommt stattdessen „Der Herrscher“, ebenfalls von Harlan, das Porträt eines Stahlwerkbesitzers (gespielt von Emil Jannings), der seine Fabrik dem Staat vermacht. Auch im Kino der Nachkriegszeit, das sich in Ost und West aufteilt, gibt es einige Entdeckungen wie Ulrich Schamonis „Es“ oder eine eigene Sektion für Regisseurinnen aus den beiden Deutschlands unter anderem mit der verbotenen DEFA-Produktion „Die Taube auf dem Dach“ (Iris Gusner) und Ula Stöckls „Neun Leben hat die Katze“.

„Der Raum stellt einen vor ganz andere Herausforderungen als ein klassischer Museumsraum“, sagt Rother. Anders als in einem Filmmuseum stünden hier nicht die Originale, die filmbegleitenden Materialien, im Fokus. Zwar gibt es auch in Völklingen einige Kostüme, Masken, Fotos und Plakate zu sehen, sie bilden das „Rückgrat“ der Ausstellung, wie Rother sagt. Dominieren wird die Halle aber von den Leinwänden und ihren Filmausschnitten.

Das war auch schon in den vergangenen Ausstellungen unter Generaldirektor Ralf Beil so, „The World of Music Video“ und „Julian Rosenfeldt“. Diese Ausstellungspraxis haben Beil und Rother jetzt zum Höhepunkt geführt. Zwar folgt „Der Deutsche Film“ einem historisch-chronologischen Parcours. Die räumliche Situation, die Hängung der großen Leinwände lösen immer wieder die vermeintliche historische Kontinuität auf – oder schaffen neue Verbindungen.

Wenn sich das deutsche Kino in der Nachkriegszeit in Ost und West spaltet, trennt sich auch der Weg zwischen den Maschinen. Der Besucher steht mitten in der Vergangenheitsbewältigung des besiegten Deutschlands, zwischen den kulturellen Gründungsmythen der Weltkriegsverarbeitung. Auf der einen Seite der kommunistische Widerstand von „Ernst Thälmann“ im Osten, auf der anderen der militärische Widerstand von „Des Teufels General“ im Westen.

Film und Geschichte im Schuss-Gegenschuss

Immer wieder arbeitet die Ausstellung mit einer Hängung, die die Schuss-Gegenschuss-Technik aus dem Filmschnitt imitiert. So sind auf der einen Seite des Raumes dokumentarische Szenen der Schlacht an der Somme zu sehen, während direkt gegenüber das doppelt-belichtete Filmmaterial von Robert Reinerts Stummfilmdrama „Nerven“ spielt. Die Wunden des Weltkriegs und seiner zerrütteten Seelen entfalten ihre Wirkung zwischen den beiden Leinwänden.

Protofaschistische Ästhetik in „Metropolis“
Protofaschistische Ästhetik in „Metropolis“ © Deutsche Kinemathek/Horst von Harbou

Ganz besonders gut funktioniert diese subtile Art der Kontextualisierung und Kommentierung bei Fritz Langs „Metropolis“, dem die Ausstellung ein eigenes Kapitel widmet. Lang drehte den monumentalen Stummfilm 1927 nach einem Drehbuch, das er zusammen mit seiner damaligen Frau Thea von Harbou verfasste. Joseph Goebbels und Adolf Hitler verehrten „Metropolis“. In der messianischen Geschichte vom Mittler zwischen dem Hirn und den Händen erkannten sie die Rolle, die Nationalsozialisten ihrer Meinung nach spielen sollten. Während Lang kurz nach der Machtergreifung emigrierte und sich auch später von „Metropolis“ distanzierte, wurde von Harbou treue Anhängerin der Nationalsozialisten. Es sind wohl ihre Einflüsse, die zum Beispiel in der protofaschistischen Architektur der Sportstadion-Szene von „Metropolis“ durchschimmern. In Völklingen wird dieses ganze historische Spannungsfeld auf eine doppelt bespielte Leinwand verdichtet. Während auf der Vorderseite Protagonist Freder im Stadion der Oberstadt von „Metropolis“ sprintet, präsentieren auf der Rückseite die Athleten aus Leni Riefenstahls faschistischem Propagandafilm „Olympia“, elf Jahre später, ihre arischen Körper bei den Olympischen Spielen 1936 in Nazi-Deutschland.

Stärke und Schwachstelle in einem

In diesem starken Moment offenbart sich gleichzeitig der Schwachpunkt der Ausstellung. Viele tiefere Zusammenhänge jenseits des sehr gut kuratierten Schnelldurchlaufs durch die deutsche Filmgeschichte erschließen sich nur Eingeweihten – wie im Fall von „Metropolis“. Kommentar, Einordnung und Kontext gehen im Rausch der Bilder bisweilen verloren. Zwar gibt es einen obligatorischen Audioguide, um die Tonspur der Filmausschnitte überhaupt hören zu können. Der sammelt aber vor allem zeitgenössische Kritiken zum Nachlesen. Um „Der Deutsche Film“ nicht zu überladen, hat man an einigen Stellen auf Kontext verzichten müssen.

Ein Beispiel ist die UFA-Produktion „Die Drei von der Tankstelle“ von 1930. Von der zeitgenössischen Kritik, die in Völklingen zu lesen ist, wurde das Musical für seinen Humor, seine Musik und seine Texte gefeiert. Was nicht erwähnt wird: Nur wenige Jahre später hat der deutsche Film die Macher dieses Films verloren. Produzent Erich Pommer, Regisseur Wilhelm Thiele, die Drehbuchautoren Franz Schulz und Paul Frank, Komponist Werner Richard Heymann – wie so viele andere deutsche und europäische Juden der Filmindustrie mussten sie vor den Nationalsozialisten nach Hollywood fliehen. Ein Verlust an Witz und Klasse, den das deutsche Kino bis heute nicht verwunden hat.

„Film ist nie national“, sagt Rother, man wollte eine deutsche Filmgeschichte zeigen. Aber auch die Einflüsse, die deutscher Film auf das Weltkino hat. Es ist gerade in diesem Zusammenhang ein wenig zu bedauern, dass die Geschichten der vielen deutschen Exilanten ein wenig zu kurz kommen.

Ein deutscher Exportschlager: „Das Boot“ von Wolfgang Petersen, mit Jürgen Prochnow
Ein deutscher Exportschlager: „Das Boot“ von Wolfgang Petersen, mit Jürgen Prochnow © Bavaria Film/Karlheinz Vogelmann
Robert Hottua
22. Oktober 2023 - 12.33

Vielleicht kann der Film "Euthanasie an Kindern. Warum Ernst LOSSA sterben musste" (Produzent Ulrich LIMMER) auch gezeigt werden. Herr Hendrik BEHRENDT bespricht diesen Film im "Spiegel" am 26.September 2016: " (…) Vergast, vergiftet, vergessen: das Naziregime ermordete rund 200.000 Kranke und Behinderte. Unter ihnen Ernst LOSSA - mit 14 Jahren erhielt der Junge die Todesspritze, weil er als "unerziehbar" galt. (…) Flankiert wurde die Mordwelle von einer Propagandawelle. Kinofilme wie "Die Sünden der Väter" (1935) stellten Behinderte als "nutzlose Esser" dar, die der Gesellschaft hohe Kosten verursachen würden und keinen Wert hätten. (…)"
MfG
Robert Hottua