„Let it bleed, let it bleed, let it bleed, let it bleed”, summe ich am Schreibtisch vor mich hin. Auch einen Tag nach dem Besuch der Probe zu „Les jours de la lune“ hallt das Cover von „Let it be“ von The Beatles nach. Dabei ist es nur eine von vielen Neuinterpretationen kultiger Popsongs, welche die Regisseurin Renelde Pierlot und der Autor Francesco Mormino auf die Bühne bringen. Wozu? Um die Phasen des Zyklus nachzuzeichnen. Die Musikeinlagen sind aber nicht das Einzige, was nach der Sichtung des Theaterstücks in Erinnerung bleibt.
Das Hauptbild – ein begehbarer Uterus samt Zervixschleim und beleuchteten Eierstöcken – gräbt sich ebenfalls ins Gedächtnis ein. Hinzu kommen die vielen Zahlen und Fakten, die die Schauspielenden Lula Béry, Clément Corrillon, Olivia Harkay und Juliette Moro vortragen. Es ist multimedial, Interaktionen mit dem Publikum sind auch geplant. Spoiler: Für einige Zuschauenden gibt es lauwarme Überraschungen. Das Theaterstück selbst kommt einem Kombi-Crashkurs in Anatomie, Geschichte und Gesundheitspolitik nach.
Hintergrund
Am Abend der Probe hat das Team keine Zeit für Interviews, huscht vor und nach dem Durchlauf mit Textbüchern und Requisiten durch das Escher „Ariston“. Dafür hält das Pressedossier Hintergrundinformationen bereit – und dort spricht Renelde Pierlot im Hinblick auf die Szenographie von einer doppelten Chronologie: „Historique, d’une part, puisque nous retraçons l’histoire des règles depuis l’avènement de l’humanité à travers divers tableaux et personnages célèbres, et une chronologie individuelle puisque que nous suivons l’évolution du cycle menstruel dans la vie des femmes jusqu’à la ménopause.“
Die Idee entstand 2020, mitten im Lockdown. Pierlot erinnert sich, dass sie sich damals in weiser Voraussicht ganze Bücherstapel auslieh, darunter „Le livre noir de la gynécologie“. Eine Lektüre, die sie inspirierte. Nach und nach konkretisierte sich ein kreatives Projekt, das letzten Endes um die Menstruation kreist. Wer Pierlots Arbeit verfolgt, kennt ihre immersiven Inszenierungen, weiß um ihren faktenbasierten Kreationsprozess, wie etwa bei „Mettre au monde“ zur Leihmutterschaft oder in „Robert(s)“ zur Klimakrise.

Dem Prinzip bleiben sie und Mormino treu: Sie bieten dem Publikum einen Aufklärungskurs, beleuchten den Umgang mit der Menstruation in den verschiedenen Epochen, sprechen Genderungerechtigkeiten in der Forschung und Gesundheitspolitik an und zeigen mit dem Finger auf eine Industrie, die sich an Menstruationsartikeln bereichert – und jene, die sie verwenden müssen, in Lebensgefahr bringt.
Kritik und Sichtbarkeit
In dem Sinne thematisieren Pierlot und Mormino sowohl den Forschungsrückstand in genderspezifischer Medizin – hierzu empfiehlt sich ergänzend die Lektüre unseres Interviews mit der Expertin für Gendermedizin Vera Regitz-Zagrosek – als auch die Schadstoffe in Tampons und Binden. Sie erwähnen zudem Infektionskrankheiten wie das Toxische Schocksyndrom, das unter anderem als Komplikation bei der Nutzung von Menstruationsartikeln auftreten kann. Darüber debattieren die Schauspielenden teils gemeinsam auf roten Sitzsäcken, bei der Probe mit einem Tampon als Zigarre im Mundwinkel.
Information und Unterhaltung wechseln sich in dem Stück also ständig ab. Darauf legte Pierlot bei der Inszenierung Wert. „J’ai voulu créer un univers festif et pédagogique. Chaque acte explore visuellement et de manière ludique ce tabou tout en apportant des informations essentielles“, sagt sie. Ein gutes Gleichgewicht sei wichtig: Das Stück solle zugänglich und feierlich sein, ohne die negativen Aspekte der Menstruation zu leugnen. Pierlot verweist auf die Erzählung und die passenden Kostüme von Peggy Wurth, die teils eine Referenz auf berühmte Kunstwerke sind.
So taucht die Skulptur „Venus von Willendorf“ (25.000 v. Chr.) ebenso auf wie das Doppelporträt „Arnolfini-Hochzeit“ von Jan van Eyck oder eine „Nana“ von Niki de St. Phalle. Auch historische Figuren erscheinen auf der Bühne – darunter Sigmund Freud und die hingerichtete französische Königin Marie-Antoinette. Über deren Periode zerriss man sich angeblich das Maul, wie es in dem Stück heißt.

Auf der Bühne finden aber auch unbekannte Gesichter Platz. Mehrsprachige Videobotschaften unterbrechen regelmäßig die Erzählung. Menschen teilen ihr Wissen über Menstruation, decken Mythen auf, berichten von ihren Erfahrungen und Krankheiten. Darunter Frauen, Männer, Kinder, ältere Menschen, Personen mit und ohne sichtbare Beeinträchtigung – Pierlot und Mormino verfolgen einen inklusiven Ansatz, der einen positiven Eindruck hinterlässt. „Je voulais qu’on donne à entendre des vécus divers“, kommentiert Pierlot dies. „Des personnes avec des expériences diverses. Avec ou sans encore de règles, avec une approche légère et détachée ou victimes d’endométriose, ou de SPM, ou subissant la précarité menstruelle, ou ménopausées.“
Les règles font partie de la vie, et les célébrer plutôt que les cacher, c’est un premier pas vers une meilleure santé collective et une société plus inclusive
Über die Periode werde wenig gesprochen. Im Film, Theater und in Erzählungen fehle es an Repräsentation. Trost spendet in dem Fall unter anderem ein Exkurs zu feministischen Künstlerinnen aus den 1970er-Jahren: Dort diente die Sichtbarmachung der Menstruation manchen als Leitmotiv. „Red Flag“ (1971) der amerikanischen Künstlerin Judy Chicago gilt etwa als eine der ersten Darstellungen der Menstruation in der westlichen Gegenwartskunst. Auf dem Gemälde zu sehen: Eine Person, die einen blutigen Tampon aus der Scheide zieht. Chicago setzte sich in mehreren Arbeiten mit der Regelblutung auseinander. Und es gibt weitere Beispiele, so wie „Blood Work Diary“ (1972) von Carolee Schneemann. Die Künstlerin verarbeitete darin ihr Menstruationsblut.
„Les jours de la lune“
Wann?
28. Februar, 20 Uhr
2. März, 17 Uhr
4. März, 20 Uhr
5. März, 20 Uhr
6. März, 20 Uhr
Wo?
Ariston (9, rue Pierre Claude, 4063 Esch-sur-Alzette)
Wie?
Dauer: zwei Stunden
Sprache: hauptsächlich Französisch
Mehr?
Am 2. März gehen der Vorführung zwei Veranstaltungen voran. Um 14 Uhr bietet Elisabeth Baudry ein Wellness-Atelier an, um 16.15 Uhr folgt eine Einführung in das Stück durch das künstlerische Team. Infos unter theatre.esch.lu.
Außerdem gab es bereits Sonderausstellungen zur Periode, eine davon ist „Läuft“ im Berliner „Museum Europäischer Kulturen“. Eine Schau, die im Oktober unter dem Titel „Et leeft“ im „Lëtzebuerg City Museum“ gastiert. Mit Vorsicht könnten wir behaupten: Es tut sich was im Kulturbereich. Im öffentlichen Diskurs bleibt das Sprechen über die Periode jedoch eher aus. Bis auf wenige Ausnahmen.
Debatten in Luxemburg
Endometriose und starke Regelbeschwerden sorgten 2021 für Gesprächsstoff in Luxemburg. Damals forderte eine Petition, Endometriose in die Liste der Langzeiterkrankungen aufzunehmen. Grob zusammengefasst leiden die Betroffenen dabei unter schmerzhaften Wucherungen vom Gewebe der Gebärmutterschleimhaut, die sich außerhalb der Gebärmutterhöhle und manchmal an benachbarten Organen ansiedeln. Die Krankheit betrifft schätzungsweise bis zu 15 Prozent der Menschen mit Menstruation und geht unter anderem mit Entzündungen, Zystenbildung oder Darmverschluss einher. Oft dauert die Diagnose Jahre. Die Petition erhielt damals nicht genügend Unterschriften für eine Debatte in der Abgeordnetenkammer. Anders als die Petition zur zweitägigen Freistellung wegen Regelbeschwerden: Sie wurde in der „Chamber“ diskutiert, die Forderung jedoch abgelehnt.
„Nous avons trop longtemps caché ces sujets sous le tapis“, schreibt Pierlot im Pressedossier über ihre Motivation, ein Stück zur Menstruation zu kreieren. Ihr Wunsch: Das Publikum soll den Saal mit einem größeren Wissen über Menstruation und gynäkologische Gewalt verlassen sowie Zusammenhänge zwischen Gesundheit, Politik und Gesellschaft erkennen. „La pièce met également l’accent sur l’importance de la représentation et de la normalisation de ces sujets“, so Pierlot weiter. „Les règles font partie de la vie, et les célébrer plutôt que les cacher, c’est un premier pas vers une meilleure santé collective et une société plus inclusive.“
De Maart

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