Forum„Dérugéilert Gesellschaft“, oder: Der Hühnerköpfer von Hesperingen

Forum / „Dérugéilert Gesellschaft“, oder: Der Hühnerköpfer von Hesperingen
 Foto: dpa/Julian Stratenschulte

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Das Wort „dérugéilert“ gibt es nicht. Es muss wohl „dereguléiert“ heißen. Aber es steht genau so in einem wüsten FB-Post des Hesperinger Bürgermeisters und CSV-Abgeordneten Marc Lies. Er hat sich vermutlich im Eifer des Gefechts vertippt. Man könnte auch sagen: Wirre Gedanken schlagen sich in einer wirren Sprache nieder. Der oft bemühte „Eifer des Gefechts“, den auch schon die Stadtschöffin und DP-Abgeordnete Simone Beissel ins Feld führte, um ihre rassistischen Ausfälle gegen Bettler zu erklären, ist nichts weiter als ein Gemütszustand, der die Schleusen öffnet. Dem eifrig Gefechtsbereiten läuft auf einmal der Mund über und sein tatsächliches Gedankengut tritt unverbrämt und ungefiltert zutage.

Herr Lies vertritt eine steile These, um den Einbruch in einen Hesperinger Hühnerstall aufzuklären. Jean Asselborn, der vormalige Außen- und Immigrationsminister, soll der eigentliche Verbrecher sein. Er hat während seiner Amtszeit Tür und Tor weit aufgerissen und alle potenziellen Hühnerköpfer von überall her ins Land gelockt. Nun sehen wir das Resultat: Natürlich fühlen sich diese ausländischen Hühnerköpfer durch Jean Asselborn ermutigt, ihrem schändlichen Handwerk sofort und ohne Umschweife nachzugehen. Nun hat es einen Hesperinger Bürger getroffen. In seinem Stall wurden fünf Hühner von einem Unbekannten geköpft, den essbaren Rest ließ der Hühnerköpfer mitgehen. Für Jean Asselborn ist das keine gute Nachricht. In den Augen von Herrn Lies steht er unter Verdacht, einem echten Serienkiller den roten Teppich ausgerollt zu haben.

Herr Lies ist nämlich felsenfest überzeugt – wie er mit glühendem (wenn auch sprachlich fehlerhaftem) Impetus beteuert –, dass der Hühnerköpfer einer jener zahllosen Flüchtlinge ist, die Jean Asselborn wider alle CSV-Vernunft in unsere wehrlose Heimat geschleust hat. Nehmen wir einfach mal an, er hat recht. Die Polizei findet heraus: Der Hühnerstallattentäter ist tatsächlich ein Flüchtling. Was schließen wir daraus? Dass jetzt sofort alle Flüchtlinge über die Grenze gesetzt werden müssen? Weil sie ohnehin außer Hühnerköpfen nichts zu bieten haben und unsere Gesellschaft schamlos „dérugéileren“? Dass Jean Asselborn vor den grünen Tisch gehört, weil er kriminellen Hühnerköpferbanden den Rücken stärkt?

Und jetzt die hypothetische Gegenprobe. Die Polizei findet heraus: Der Hühnermörder von Hesperingen ist ein waschechter Luxemburger. Was erfolgt dann? Werden alle Luxemburger in Sippenhaft genommen, weil sie insgeheim besessene Hühnerköpfer sind? Ruft Herr Lies zu Masseninhaftierungen auf? Werden auch CSV-Anhänger manu militari aus dem Verkehr gezogen? Oder findet Herr Lies den Dreh, seine Landsleute zu exkulpieren?

„Lëtzebuerger käppe keng Hénger!“

Nach dem Muster: Könnte es nicht sein, dass ein luxemburgischer Hühnerköpfer sich nur deshalb an wehrlosen Tieren vergreift, weil er wider sein eigenes Naturell von ausländischen Hühnerschändern zu dieser Tat verführt wurde? Bewirkt die ungesunde Präsenz von Flüchtlingen auf unserem heimischen Territorium nicht, dass die Ansteckungsgefahr zunimmt und die importierte Hühnerköpferei sich mehr und mehr auf die unschuldigen Luxemburger überträgt? „Lëtzebuerger käppe keng Hénger!“, würde die schrille CSV-Talkmasterin Lulling sagen. Man muss also nach den Hintermännern suchen.

Und schon wären wir wieder bei Jean Asselborn. Er ist verantwortlich, dass die verbrecherischen Flüchtlinge von „décke Limousinne mat belsche Placken“ direkt vor die heimischen Hühnerställe gekarrt werden. Und nicht nur das: Man muss ihm auch ankreiden, dass er die Infektion der ahnungslosen Luxemburger mit dem Hühnerköpfvirus bewusst in Kauf nimmt. Sollte also wirklich ein Luxemburger der Hühnerstalltäter sein, kann es sich nur um einen Luxemburger handeln, der von skrupellosen Flüchtlingen zu seinem Verbrechen inspiriert oder gar genötigt wurde.

Auf die Frage eines Journalisten, ob auch in Hesperingen die Kriminalität spürbar zugenommen habe, antwortete Herr Lies, das habe er nicht feststellen können. Pardon, da wagen wir zu widersprechen. Gäbe es einen nationalen Preis für die kriminellste Luxemburger Gemeinde, Herr Lies würde ihn spielend einsäckeln. Denn was sich in seiner eigenen Verwaltung abspielte, sprengt auffällig den Rahmen des klassischen Betrugs und der gehäuften Korruption.

Aber da ging es nicht um geköpfte Hühner, sondern um geschröpfte Gemeindefinanzen. Und es waren auch keine gefährlichen Flüchtlinge im Spiel. Herr Lies beteuert, von diesem schwindelerregend kriminellen Treiben in seinem Gemeindehaus nichts gewusst zu haben. In anderen Worten: Er gibt zu, seinem Amt als verantwortlicher Bürgermeister nicht gewachsen zu sein. Doch diese Evidenz steckt er locker weg, er denkt nicht im Entferntesten an Rücktritt. Es passiert halt, dass Politiker dramatisch versagen, in Luxemburg führt das seltsamerweise zu keinerlei Konsequenzen. Immerhin vermisst der tumbe Bürger hier die hellseherische Potenz, die Herr Lies spontan und mit Wucht unter Beweis gestellt hat, als er Jean Asselborn an den Pranger zerrte. In der Hühnerstalltragödie wusste er sofort: Das war der Asselborn! Genau wie sein CSV-Waffenbruder Gloden auf Anhieb verkündete, als auf seiner privaten Schutzmauer über Nacht ein – übrigens sehr menschenwürdiger und vernünftiger – Slogan erschien: Das war der Tonnar!

Nach außen beweisen diese beiden Herren eine geradezu stupende kriminalistische Spitzfindigkeit. Nach innen sind sie von Blindheit geschlagen. Böse Zungen behaupten, genau diese Pro-domo-Blindheit habe Herrn Lies den heißersehnten CSV-Ministerposten gekostet. Aber das sind nur böse Zungen, viel böser noch als die böse Zunge von Herrn Lies.

Guy Rewenig ist Dichter, Theater-, Roman- und Kinderbuchautor
Guy Rewenig ist Dichter, Theater-, Roman- und Kinderbuchautor Foto: Editpress-Archiv/Didier Sylvestre
Robert Hottua
6. März 2024 - 10.06

HIMMLER war Hühnerzüchter und Anhänger der Telegonie-Theorie. Im ersten Nazi-Bestseller aus dem Jahr 1919 beschreibt der Erfolgsautor des frühen Nationalsozialismus Artur DINTER dieses Phänomen in seinem Buch "Die Sünde wider das Blut". "(...) Der Vater wurde zu Gefängnis verurteilt. Die Erben des Juden aber waren unerbittlich. Das Gut kam unter den Hammer, die Mutter starb aus Kummer und Gram. Als der Vater im Gefängnis ihren Tod erfuhr, erhängte er sich am Fensterkreuz. Die drei jüngeren Brüder zerstreuten sich in die Welt. Das Jüngste aber, das schöne, blonde, sechzehnjährige Gretel, das Ebenbild der Mutter, ging in die Stadt, um sich eine Dienstbotenstelle zu suchen. Als sie einem Kinde das Leben gab, und ihr Verführer, der ihr die Ehe versprochen hatte, sie sitzen ließ, ging sie samt dem Kinde ins Wasser. (...)"(Seite 13) Ein Kritiker sagte zum Buch: Besichtigung eines sexualantisemitischen Bestsellers. MfG Robert Hottua

Grober J-P.
6. März 2024 - 9.31

Mein Opa selig war Hühnerzüchter. Zu besonderen Anlässen wurde immer ein Huhn geköpft. Wir Kinder durften nie zusehen, wenn das Urteil vollstreckt wurde. Manchmal hat er dann ein Huhn erwischt was sehr anhänglich war, der Mörder, böser Opa. Aber die Bouchée von der Oma nachher war köstlich.

Kuhn Jeanne
5. März 2024 - 14.44

Bravo fir dee passende Kommentar. Ech hu bei all deene Geschichten elo emol wierklech gutt gelaacht. Merci

Viviane
5. März 2024 - 13.59

Mega Här Rewenig ????

Edmée
5. März 2024 - 11.40

Félicitatioun dem Guy Rewenig fir säin intelligenten an treffenden Kommentar vum 5. Mäerz. Weider esou