Dienstag11. November 2025

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Viel Wasserkraft, wenig SonnenenergieDer Westbalkan ist noch weit von einer nachhaltigen Energiewende entfernt

Viel Wasserkraft, wenig Sonnenenergie / Der Westbalkan ist noch weit von einer nachhaltigen Energiewende entfernt
Die Windkraft ist in den Ländern des Westbalkans noch kaum erschlossen Foto: Odd Andersen/AFP

Dank der zu sozialistischen Zeiten errichteten Wasserkraftwerke ist der Anteil erneuerbarer Energiequellen auf dem Westbalkan selbst höher als in vielen EU-Staaten. Doch nicht nur wegen betagter Kohlekraftwerke ist der Weg zu einer nachhaltigen Energiewende noch weit: Solarenergie wird bisher kaum genutzt.

Zumindest über ihr oft gepriesenes Potenzial verfügen die Staaten des Westbalkans auch auf dem Energiesektor genug. Denn der ausgezehrte EU-Wartesaal scheint für die Stromgewinnung aus erneuerbaren Energiequellen wie gemacht. In tiefen Balkanschluchten rauschen und gurgeln Bäche und Flüsse. Auf den Anhöhen weht zumindest in Küstennähe fast immer ein Wind. Und wegen des Klimawandels gleißt die Sonne immer stärker und länger über den Dächern und Feldern der Vielstaatenregion.

Doch obwohl der Anteil erneuerbarer Energiequellen bei EU-Anwärtern wie Albanien (46,6 Prozent) und Montenegro (40,8 Prozent) laut Eurostat selbst klar über dem EU-Durchschnitt von 24,5 Prozent liegt, ist der Westbalkan von einer nachhaltigen Energiewende weit entfernt. Vor allem das Potenzial der Solarenergie wird bisher kaum oder nur schwach genutzt.

Viele Grenzen, viele Staaten und unterschiedliche Ausgangslagen: Einheitlich ist das Bild auf den Strommärkten der Vielvölkerregion keineswegs. Das stark auf die Wasserkraft setzende Albanien gilt beispielsweise neben Island als das einzige Land Europas, das bei der Stromerzeugung zu 100 Prozent ohne fossile Brennstoffe auskommt. Gleichzeitig lassen große Braunkohlevorkommen viele Staaten noch immer auf ihre betagten Kraftwerksdreckschleudern setzen: Kosovo (zu 95 Prozent), Serbien (62,7 Prozent) und Bosnien und Herzegowina (62,2 Prozent) hängen überwiegend noch immer am Tropf des Kohlestroms.

Doch nicht zuletzt wegen der atemberaubenden Luftverschmutzung und des gefürchteten Wintersmogs ist der Abschied von der Kohle selbst für diejenigen EU-Anwärter unausweichlich, die derzeit vor allem noch für längere Übergangsfristen streiten.

Hoher Anteil der Wasserkraft an Stromerzeugung

Gute Pläne gibt es genug. Genauso wie die ex-jugoslawischen EU-Staaten Kroatien und Slowenien haben auch die EU-Anwärter zahlreiche Strategien zur Produktion von mehr „grünem Strom“ ausgearbeitet. Doch nicht nur mangelnde Mittel oder andere Prioritäten der Politik hemmen deren Umsetzung: Vor allem das Potenzial der Wasserkraft scheint in der flussreichen Region weitgehend ausgereizt.

Stolze 96,7 Prozent beträgt der Anteil der Wasserkraft an der Stromerzeugung bei Spitzenreiter Albanien. Es war der frühere Diktator Enver Hoxha, der für eine autarke Stromversorgung des isolierten Landes schon in den 60ern konsequent Täler fluten und Stauseen anlegen ließ.

Auch die ex-jugoslawischen Ex-Bruderstaaten Montenegro (50 Prozent), Kroatien (44,2 Prozent), Bosnien und Herzegowina (32,2 Prozent), Slowenien (31,1 Prozent), Serbien (27,1 Prozent) und Nordmazedonien (23,1 Prozent) verdanken ihren relativ hohen Anteil der Wasserkraft vor allem ihren zu sozialistischen Zeiten in Betrieb genommenen Großwasserkraftwerken. Nur im Kosovo (3,2 Prozent) spielt Wasserkraft bis heute keine größere Rolle.

Zwar werden in Bosnien, Montenegro und Serbien noch immer Pläne für neue leistungsstarke Wasserkraftwerke als Ersatz für die in die Jahre gekommenen Kohlekraftwerke geschmiedet. Doch so einfach wie in der sozialistischen Ära lassen sich ganze Landstriche heute nicht mehr fluten.

Wasserressourcen in den Bergen begrenzt

Pläne zum Ausbau der Wasserkraft stoßen nicht nur bei Umweltschützern, Landwirten und im aufstrebenden Tourismussektor auf Widerstand, sondern kommen auch mit den Umweltschutzvorgaben des „Green Deal“ der EU ins Gehege: Dieser sieht die Renaturierung und nicht die weitere Eindämmung der europäischen Flussauen vor.

Auch der vor einem Jahrzehnt von Privatinvestoren noch kräftig forcierte Bau sogenannter Miniwasserkraftwerke hat sich grenzüberschreitend stark verlangsamt oder ist gänzlich zum Erliegen gekommen. Der Grund: Dem geringen energiepolitischen Nutzen stehen erhebliche ökologische Schäden und der heftige Widerstand der Anwohner gegenüber.

Denn im Gegensatz zu den Alpenstaaten sind die Wasserressourcen auf dem Balkan selbst in bergigen Regionen begrenzt. Wenn im Sommer die Wasserpegel sinken, verschwindet oft der gesamte Bergbach im Kraftwerksrohr. Zurück bleiben ausgetrocknete Flussläufe, um ihr Trinkwasser bangende Dörfer und um ihre Lebensgrundlage fürchtende Landwirte und Agro-Gastronomen.

Der bosnische Teilstaat der Föderation hat bereits 2022 Kleinwasserkraftwerke bis 10 MW gesetzlich verbieten lassen. Auch andere Regionen und Staaten setzen inzwischen oft auf einen faktischen Baustopp. Selbst bereits erteilte Konzessionen für Miniwasserkraftwerke können beispielsweise im bosnischen Teilstaat der Republika Srpska nun neu überprüft und zurückgezogen werden.

Wegen des starken Widerstands von Anwohnern und Umweltschützern hat Albanien auf den ursprünglich geplanten Bau von 40 neuen Staudämmen für neue Wasserkraftwerke entlang der Ufer der noch nahezu unberührten Vjosa verzichtet. Stattdessen hat Tirana den Fluss 2023 zum Nationalpark erklärt.

Solarenergie noch weitgehend ungenutzt

Doch es sind nicht nur Umweltgründe, die Tirana auf verstärkte Diversifizierung der Energiequellen setzen lassen. Die rückläufigen Niederschläge lassen die Wasserpegel in den Stauseen in den Sommermonaten drastisch sinken – und erhöhen das Risiko von Stromausfällen und Versorgungslücken.

Wir wollen die Energiesicherheit in der Region verbessern – und zu einer europäischen Energiebrücke werden

Admir Sahmanovic, Energieminister Montenegros

Mit einer zunehmenden Zahl von Windrädern auf zugigen Bergrücken machen sich vor allem die Küstenstaaten Kroatien (16,1 Prozent der Stromerzeugung) und Montenegro (8,1 Prozent) die Windkraft immer stärker zu Nutze. In den anderen Staaten sind neue Windparks zwar geplant oder im Bau, doch spielen sie im heimischen Energiemix noch kaum eine größere Rolle. Auffällig: Auch der EU-Anrainer Slowenien, der als einziger Staat der Region über ein Atomkraftwerk verfügt, hat sein Windkraftpotenzial bisher kaum erschlossen.

Noch kaum genutztes Potenzial wittern Fachleute vor allem in der Solarenergie. Auf dem Westbalkan sind die Bemühungen für deren Nutzung in Nordmazedonien (5,5 Prozent) am weitesten gediehen – vor Albanien (3,3 Prozent), Serbien (2,9 Prozent), Bosnien (2,2 Prozent) und Montenegro (2,1 Prozent). Doch auch bei den sonnenreichen EU-Mitgliedern Slowenien (8,9 Prozent) und Kroatien (5,6 Prozent) ist die Solarenergie noch ausbaufähig.

Es mehren sich zwar allmählich die Solarparkprojekte. Doch wegen fehlender Zuschüsse und Einspeisemöglichkeiten bleiben Solaranlagen auf den Dächern von Privathäusern eine seltene Ausnahme. Zwar will Nordmazedonien nun auf den Dächern aller öffentlichen Gebäude Solaranlagen installieren lassen. Doch nicht alle Energie-Fachleute der Region halten dies für ein nachahmenswertes Modell.

Veraltete Elektrogeräte und -anlagen

Von einer „populistischen Maßnahme“, um mit dem „Dogma“ der grünen Agenda in Einklang zu stehen, spricht der serbische Energie-Experte Milos Zdravkovic gegenüber der Wochenzeitschrift Vreme. Serbien müsste erst sein Stromnetz überholen, um Solarenergie effektiv nutzen zu können: „Denn die Verluste in den Verteilungs- und Übertragungsnetzen sind katastrophal.“

Tatsächlich werden die Übertragungsverluste bei der Stromerzeugung in den meisten Staaten des Westbalkans auf ein Fünftel bis auf ein Viertel geschätzt. Schlecht isolierte Häuser und der Einsatz veralteter Elektroheizgeräte im Winter oder betagter Klimaanlagen im Sommer sind weitere Gründe, warum die Stromerzeugung mit dem steigenden Bedarf oft kaum Schritt hält.

Bei niedrigen Wasserständen in den Stauseen müssen fast alle Westbalkan-Staaten im Sommer Strom importieren, nur im Winter können sie Strom exportieren. Doch auch wegen der Übertragungsverluste sind die meisten Westbalkanstaaten Netto-Stromimporteure. Immerhin: Außer Albanien und Slowenien ist auch Montenegro seit der Produktionseinstellung des Aluminiumkombinats Podgorica (KAP) 2021 zum Stromexporteur mutiert.

Sein derzeit allerdings noch zu 40 Prozent von dem Braunkohlekraftwerk in Pljevlja abhängiges Land wolle den Export von „grünem Strom“ zu einer seiner wichtigsten Einkommensquellen machen, begründet Montenegros Energieminister Admir Sahmanovic die mit Italien im Oktober vereinbarte Anlegung eines zweiten Unterseehochspannungskabels auf dem Grund der Adria zur Verdoppelung der Übertragungskapazitäten. „Wir wollen die Energiesicherheit in der Region verbessern – und zu einer europäischen Energiebrücke werden.“