KinoDer Ursprung des Kastensystems: „Origin“ von Ava DuVernay

Kino / Der Ursprung des Kastensystems: „Origin“ von Ava DuVernay
„Origin“ basiert auf dem Buch „Caste – The Origins of our Discontents“ von Isabel Wilkerson

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Mit „Origin“ meldet sich die engagierte amerikanische Filmemacherin Ava DuVernay auf der Kinoleinwand zurück. Und auch jetzt ist die Conditio der Schwarzen Diaspora in den Vereinigten Staaten im Mittelpunkt des Geschehens.

Oftmals handelt es sich bei Werken zu diesem Thema um historische Aufarbeitungen, die mit einem aktivistischen Anschlag untermalt sind, wie der Dokumentarfilm „13th“ über das amerikanische Strafvollzugssystem oder „Selma“ mit den Märschen der Bürgerrechtsbewegung von Martin Luther King Jr. im Mittelpunkt. „Origin“ ist in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Diesmal stand am Anfang ein Buch.

Dieses Buch ist das 2020 erschienene Sachbuch „Caste – The Origins of our Discontents“ von der Autorin Isabel Wilkerson. Darin vertritt die Amerikanerin die These, dass der amerikanische (systemische) Rassismus, mit dem die Staaten seit ihrer Gründung zu kämpfen haben, eigentlich nur ein spezifischer Aspekt eines Kastensystems ist. Dabei zieht sie Parallelen zu Nazideutschland und Indien – dem Land, das man als Erstes mit dem Kastensystem in Verbindung bringt. „Origin“ erzählt die Entstehungsgeschichte dieses Buches aus dem Blickwinkel seiner Autorin Isabel Wilkerson. Die von Aunjanue Ellis-Taylor gespielte, mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Autorin Wilkerson hat erst mal andere Probleme. Ihre Ehe mit ihrem weißen Ehemann nimmt ein überraschend tragisches Ende und kurze Zeit später verliert sie ihre Mutter. Um aus der Trauer, die sie aufzufressen droht, wieder herauszukommen, kniet sie sich in die Arbeit zu dem Buch, von dessen These zu Beginn nicht jeder überzeugt ist.

Biopics von Büchern sind eine Herausforderung

Filme, die die Rekonstruktion eines historischen intellektuellen Denkprozesses in den Mittelpunkt stellen, haben es in der Regel nicht allzu einfach. Hannah Arendt von Margarethe von Trotta kommt in diesem Kontext in den Sinn. In diesem von „Amour Fou“ mitproduzierten Film ging es um die Historikerin, Philosophin und Autorin, die Ende der 1960er in Jerusalem am Eichmann-Prozess teilnimmt, während dem sie zu ihrer Theorie von der Banalität des Bösen kam. Wenn auch ungemein spannend, verlief sich das Werk in didaktischen dramaturgischen Affekten, die das Endresultat zu einem verstaubten Fernsehfilm machten. Bis zu einem gewissen Punkt hat „Origin“ mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Biopics von Menschen sind schon eine Herausforderung, aber Biopics von Büchern sind es umso mehr.

Ava DuVernay nimmt sich sehr viel vor. Und es ist beachtlich, dass man dem Film 130 Minuten folgt. Aber der bittere Nachgeschmack ist nicht von der Zunge zu weisen. Wo von Trotta noch einer gewissen deutschen Zurückhaltung auf den Tag legte, ist man bei DuVernay irgendwo zwischen Melodrama und Abendschule zugleich. Diese Mischung kriegt unter der Regie von DuVernay ungewollt komische Züge, wenn man der Hauptfigur dabei zusieht, wie sie nach Berlin und Indien reist, um sich dort mit AkademikerInnen auszutauschen, nur um dann mit dem Kopf zu schütteln oder zu nicken und Notizen zu machen. Trotz engagierter Spieler werden diese oft zu Vehikeln von theoretischen Auseinandersetzungen anstatt zu aktiven Figuren. Erst wenn die Autorin – inmitten häuslicher Renovierungsarbeiten – ihre fertigen Thesen formuliert, kriegt man eine tatsächliche Vorstellung von dem kathartischen Moment, den das Schreiben von Isabel Wilkerson auslösen könnte. Wenn „Origin“ etwas in einem auslöst, dann ist es der Wunsch, das Buch lesen zu wollen.

„Origin“ von Ava DuVernay, mit u.a. Aunjanue Ellis-Taylor, Niecy Nash und Jon Bernthal. Zu sehen im Ciné Utopia.