Montag10. November 2025

Demaart De Maart

ForumDer Untergang des Hauses Assad: Unbeabsichtigte Folgen weit über den Schauplatz des Gefechts hinaus

Forum / Der Untergang des Hauses Assad: Unbeabsichtigte Folgen weit über den Schauplatz des Gefechts hinaus
 Foto: Hussein Malla/AP/dpa

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Der rasche Sturz der syrischen Dynastie al-Assad nach 54 Jahren hat die geopolitische Landschaft des Nahen Ostens verändert. Die Blitzoffensive der islamistischen Miliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS) hat alle Nachbarn Syriens – und auch alle Übrigen – überrascht. Die Nachricht, dass Präsident Baschar al-Assad nach Russland geflohen ist, bestätigt die eine unverbrüchliche Wahrheit über den Krieg: Unbeabsichtigte Folgen können weit über den Schauplatz des Gefechts hinausreichen. 

Der von der Hamas am 7. Oktober 2023 auf zivile israelische Siedlungen an der Grenze zum Gazastreifen verübte Angriff löste im gesamten Nahen Osten ein Erdbeben aus. Israels rücksichtslose Offensive zur Zerschlagung der Hamas im Gazastreifen und gegen die Hisbollah im Libanon hat Irans „Achse des Widerstands“ praktisch ausgelöscht, während die USA und Großbritannien als Reaktion auf die Angriffe der vom Iran unterstützten Huthis im Jemen auf die internationale Schifffahrt hart gegen die Huthis vorgegangen sind.

Der Bürgerkrieg in Syrien begann 2011 mit der Niederschlagung der friedlichen Proteste des „Arabischen Frühlings“ durch das Assad-Regime. Die Kämpfe ebbten jedoch nach 2015 weitgehend ab, als die russische Intervention, mit Unterstützung des Irans und der Hisbollah, den Krieg zu Assads Gunsten wendete. Angesichts der Zerschlagung der iranischen Stellvertreterorganisationen und der durch den Ukraine-Sumpf verursachten militärischen Erschöpfung Russlands sahen die Rebellen ihre Chance gekommen.  

Regionales Kräfte-Gleichgewicht neu gestalten

Mit türkischer und offenbar auch katarischer Unterstützung gelang es ihnen, die überraschend schwache Verteidigung des Regimes ohne Weiteres zu überwinden, und Assads Armee kapitulierte kampflos. Nachdem Assads iranische und russische Schirmherren in aller Eile ihre Truppen evakuiert und ihn selbst seinem Schicksal überlassen hatten, löste das auf Folter und Massenmord aufgebaute Regime keine Furcht mehr aus.  

Das Ende des iranischen Bündnisses mit Syrien, dem wichtigsten iranischen Bollwerk in der arabischen Welt, wird das regionale Gleichgewicht der Kräfte neu gestalten. Wie Irans Ex-Vizepräsident Mohammad Ali Abtahi zwei Tage vor der Flucht Assads sagte, wäre der Sturz der syrischen Regierung „eines der bedeutendsten Ereignisse in der Geschichte des Nahen Ostens. … Der Widerstand in der Region würde ohne Unterstützung dastehen. Israel würde zur dominierenden Kraft werden.“  

Der Name Hayat Tahrir al-Sham steht für die Befreiung der Levante, die im politischen Lexikon des frühen Großsyriens Syrien, den Libanon, Jordanien und Palästina umfasst. Abu Mohammad al-Jolani, der Anführer von HTS, bemüht sich allerdings, das Bild einer neuen Art von Islamisten zu vermitteln. Er scheint die notwendigen Lehren aus dem Scheitern al-Qaidas und des Islamischen Staats (ISIS) gezogen zu haben und versteht sich nun als Pragmatiker, der lediglich die „Befreiung Syriens von seinem Unterdrückungsregime“ anstrebe.  

Starken politischen Zwängen unterworfen

Ein Zeichen für diesen neuen Pragmatismus ist die Anweisung al-Jolanis an seine Männer, Syriens Ministerpräsidenten Mohammad Ghazi al-Jalali die Leitung der öffentlichen Einrichtungen des Landes bis zu deren offizieller Übergabe zu überlassen. Der ISIS hätte Massenhinrichtungen von Soldaten und Regierungsvertretern durchgeführt. Dennoch steht al-Jolani an der Spitze einer kompromisslosen islamistischen Organisation. Diejenigen, die erwarten, dass die Türkei den Extremismus der HTS mäßigen könnte, gehen davon aus, dass al-Jolani ein gehorsamer Soldat der Türkei wäre.  

In jedem Fall jedoch ist al-Jolani starken politischen Zwängen unterworfen. Er muss unzählige rivalisierende Milizen in seine Berechnungen einbeziehen, die sich nur zusammengeschlossen haben, um Assad zu stürzen, und auch die kurdischen Kräfte, die eiligst die Kontrolle über weitere Teile Ostsyriens übernommen haben, während sie gleichzeitig im Norden von türkischen Streitkräften angegriffen werden.  

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sieht in den Ambitionen der syrischen Kurden die Gefahr einer nationalistischen Unterwanderung staatlicher Autorität in den kurdischen Gemeinschaften in der Türkei. Im Jahr 2019 schickte Erdogan seine Armee, um eine 30 Kilometer breite „Sicherheitszone“ in Nordsyrien zu errichten und die kurdischen Kämpfer von der türkischen Grenze zu vertreiben – einem Gebiet, in dem die Kurden die Gelegenheit des Bürgerkriegs zur Konsolidierung einer autonomen Enklave genutzt hatten.  

Al-Jolani muss nun hart daran arbeiten, einen Kompromiss zu finden zwischen dem Wunsch der Kurden, ihre Autonomie zu bewahren, und den Bestrebungen der Türkei, sie vom Grenzgebiet fernzuhalten. Wird Erdogan kurdische Gebietsgewinne tolerieren, die er als Bedrohung für die nationale Sicherheit der Türkei ansieht? Wird al-Jolani, der um landesweite Unterstützung bemüht ist, zulassen, dass die Türkei Krieg gegen die Kurden führt, während er selbst versucht, eine Regierungskoalition mit ihnen zu bilden und die territoriale Souveränität Syriens zu wahren?  

Türkischer Wettstreit mit dem Iran

Ungeachtet seines chronischen Konflikts mit den syrischen Kurden betrachtet Erdogan den Sturz Assads als großen Erfolg. Er verfolgte den Vormarsch der Rebellen euphorisch. „Idlib, Hama, Homs, und das Ziel ist natürlich Damaskus. … Unser Wunsch ist, dass dieser Marsch in Syrien ohne Zwischenfälle vorangeht“, sagte er nach dem Freitagsgebet in Istanbul.

Seit Jahren unterstützen Erdoğan und seine katarischen Verbündeten islamistische Gruppen im gesamten Nahen Osten. Er sah sich in einem Wettstreit mit den Iranern darüber, welches Modell der islamischen Demokratie sich in muslimischen Ländern durchsetzen sollte: die schiitisch-fundamentalistische Variante oder die gemäßigtere Form der Türkei. Jetzt glaubt er, dass er sich Chance verschafft hat, ein derartiges Modell in seiner Nähe zu gestalten.  

Obwohl die syrischen Rebellen Israel viel zu verdanken haben, weil es die Bedingungen für ihren Erfolg schuf, macht sich Israel keine Illusionen über seine neuen Nachbarn. Al-Jolani wurde auf den syrischen Golanhöhen geboren (daher der Name Jolani), die Israel im Krieg von 1967 eroberte und deren Annexion und Souveränität 2019 von US-Präsident Donald Trump anerkannt wurde. Angesichts des Vormarschs der Rebellen auf Damaskus verlor Israel keine Zeit und stationierte Kampfeinheiten entlang der syrischen Grenze. Israel ist besorgt über ein mögliches Einsickern bewaffneter Gruppen auf die Golanhöhen und Versuche, drusische Dörfer auf der syrischen Seite der Grenze anzugreifen, deren Bewohner Verwandte in Dörfern auf der israelischen Seite haben. Da die Erinnerung an den 7. Oktober in Israel überall noch frisch ist, gibt es keine Selbstgefälligkeit angesichts der Waffenbestände in den Händen der Islamisten an der Grenze.

Phase dramatischen Wandels

Jedoch sollte man die Hybris des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu nicht unterschätzen. Wenn bereits die syrische Tyrannei zusammengebrochen ist, warum dann nicht den Versuch wagen, auch die iranische zu stürzen? Schon jetzt konnte Netanjahu der Versuchung nicht widerstehen, über bloße Verteidigungsmaßnahmen hinauszugehen: Mit dem Argument, das Abkommen von 1974, das die Trennung der Kräfte zwischen Israel und Syrien regelte, sei zusammengebrochen, befahl er den israelischen Truppen, die Kontrolle über den syrischen Teil des Berges Hermon sowie über die Pufferzone auf syrischem Hoheitsgebiet und die angrenzenden beherrschenden Stellungen zu übernehmen.  

Wichtige Verbündete der USA in der Region sind ähnlich besorgt. Auch sie hätten es gern gesehen, wenn Assad an der Macht geblieben wäre, da sie fürchten, ein von Islamisten kontrolliertes Syrien könnte sich zu einem Rückzugsgebiet für den Terrorismus entwickeln. Ihrer Ansicht nach war Assad eine bekannte Größe – und besser als eine von islamistischen Rebellen geführte Regierung, egal, wie moderat diese zu sein vorgibt. Aber jetzt ist Assad weg. Der Nahe Osten befindet sich einmal mehr in einer Phase dramatischen Wandels, der von allen – Gewinnern wie Verlierern – eine Neuausrichtung ihrer Politik verlangt. 

Aus dem Englischen von Jan Doolan. Copyright: Project Syndicate, 2024. www.project-syndicate.org.

Shlomo Ben-Ami ist ehemaliger israelischer Außenminister, Vizepräsident des Toledo International Center for Peace und Verfasser von „Prophets Without Honor: The 2000 Camp David Summit and the End of the Two-State Solution“8 (Oxford University Press, 2022). 
Shlomo Ben-Ami ist ehemaliger israelischer Außenminister, Vizepräsident des Toledo International Center for Peace und Verfasser von „Prophets Without Honor: The 2000 Camp David Summit and the End of the Two-State Solution“8 (Oxford University Press, 2022). 
fraulein smilla
12. Dezember 2024 - 8.05

Buergerkriege werden nicht von Heiligen gewonnen . Am Ende siegen die , welsche an die Unsterblichkeit der Seele glauben weil die nichts zu verlieren haben .