KinoDer Stoff, aus dem Träume sind

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Obwohl „Dune“ über die Jahre hinweg seinen Kultstatus innerhalb der Fangemeinde Lynchs gefunden hat, will der Regisseur den Film selbst lieber vergessen Collection ChristopheL via AFP

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Nach mehreren Verzögerungen des Starttermins ist nun der zweite Teil von Denis Villeneuves Sci-Fi-Spektakel „Dune“ in den Kinos gestartet. Villeneuves Status als großer Filmkünstler des Spektakulären schien schon beim Erscheinen des ersten Teils von 2021 gesichert, hat der Stoff um den Wüstenplaneten doch eine lange Adaptionsgeschichte voller Rückschläge und Niederlagen. Ein Rückblick.

Die mehrteilige Saga um einen Wüstenplaneten aus der Feder von Frank Herbert gilt auch heute noch vielen als der Urtext der modernen Science-Fiction. Alles begann Mitte der Fünfzigerjahre mit Herberts Bestreben, einen Zeitungsartikel zu schreiben: Herbert, damals Ende 30, war fasziniert von den Maßnahmen der US-Umweltbehörde, die Dünen von Florence, eine Küstenstadt bei Oregon, zu stabilisieren, die unter dem Einfluss stürmischer Pazifikwinde eine Lebensgefahr darstellen könnten. Die Sandmassen als unbändige Naturgewalt, gegen die der Mensch versucht anzukommen, ließ Herbert nicht mehr los. Von nichts anderem erzählt „Dune“: Das noble Herrschaftshaus Atreides versucht sich des Wüstenplaneten Arrakis zu bemächtigen, dort wird das bewusstseinserweiternde „Spice“ abgebaut, ein notwendiger Rohstoff, den das galaktische Imperium für die Weltraumfahrt nutzt. Ein Kampf unter rivalisierenden Häusern, dem Feudalsystem des Mittelalters entlehnt, entbrennt dann, in welchem auch monströse Fabelwesen wie Sandwürmer auf das Schlachtfeld geführt werden.

Der 1965 in seiner definitiven Form erschienene Roman war der erste Band einer mehrteiligen Reihe, um den jungen Paul Atreides, der zum Heilsbringer der Galaxis wird. Ähnlich wie J.R.R. Tolkiens „The Lord of the Rings“ ist dies ein Roman, der prägend ist für fantastisches Erzählen und die klassischen Muster des „world buldings“ aufweist: eine ungemein hohe Informationsdichte, ein Detailreichtum in der Schilderung von fremden Kulturen, Orten und Landschaften, die notwendige Expositionsstruktur. Der Roman beschwört genuin andersartige Bildwelten, die zuvorderst die Fantasie des Lesers appellieren, und die so für den Film ohne digitale Spezialeffekte nicht herstellbar wären. All diese Faktoren sind es, die diesem Roman lange den Ruf einräumten, unverfilmbar zu sein.

Der beste Film, der nie gedreht wurde

Mitte der Siebzigerjahre ist es der chilenisch-französische Regisseur Alejandro Jodorowski, der sich des Stoffes annimmt. Jodorowski hatte sich mit nur wenigen Filmen, „El Topo“ (1970) oder „Der Heilige Berg“ (1973), einen Namen als herausragender surrealistischer Visionär gemacht. Mit der Unterstützung französischer Produzenten, die die Rechte am Stoff erwarben, sollte die Verfilmung von Herberts Roman sein nächstes Projekt werden. Ein namhafter Cast war vorgesehen: Orson Welles, Mick Jagger, Salvador Dalí. Für die Filmmusik: Pink Floyd. Für das Produktionsdesign waren unter anderem der französische Comiczeichner Moebius sowie der Schweizer Künstler HR Giger zuständig. Die Storyboards und Konzeptzeichnungen zeugen von der überbordenden Fantasie Jodorowskis, für die aber kein Budgetrahmen denkbar war. Heute informiert nur noch eine Dokumentation von Frank Pavic, „Jodorowski’s Dune“ (2013), über die turbulente Entstehungsgeschichte dieses Films, der nie die Vorproduktionsphase verlassen würde. Für Jodorowski war „Dune“ der Stoff, von dem er nur träumen konnte. Die Dokumentation strotzt nur so von seiner vereinnahmenden Imaginationskraft, frenetisch rasend schildert er da seine Erinnerungen. Jodorowski tritt vor der Kamera auf als jemand, der besonnen über sein Scheitern nachdenkt, aber auch als jemand, der schelmisch mit den Modalitäten der Nacherzählung spielt, sich selber ironisch-überhöhend in Szene setzt und für den die Übertreibung ein wesentliches Stilmittel der rückblickenden Aufarbeitung ist – das Ganze ist nicht so ernst zu nehmen. Dieses misslungene Projekt gilt neben Stanley Kubricks ebenfalls groß erträumter, aber nie vollendeter Erzählung um Napoleon Bonaparte, als „der beste Film, der nie gedreht wurde“.

Als Raffaella De Laurentiis, die Tochter des Studioproduzenten Dino De Laurentiis, die Rechte an der Vorlage erwarb, engagierte sie David Lynch als Regisseur – sein Film sollte 1984 in die Kinos kommen. Mehrfach umgeschnitten und auf Kinolänge reduziert, vermochte dieser Film zwar mit den von Lynch bekannten, grotesk-betörenden Bildern aufwarten, die hohe Informationsdichte der Vorlage konnte er aber nicht sinnvoll in das filmische Medium überführen. Der Film scheiterte an den Kinokassen, er spielte gerade mal die Hälfte seiner Ausgaben ein. Obwohl der Film über die Jahre hinweg seinen Kultstatus innerhalb der Fangemeinde Lynchs gefunden hat, will der Regisseur den Film selbst lieber vergessen, er sieht ihn als Betriebsunfall in einer ansonsten überaus kontrollierten Filmografie. Der Film avancierte nach und nach zu einem Kultklassiker, der seine Anhängerschaft gefunden und behalten hat, wohingegen die mehrteilige Fernsehverfilmung von 2000 unter der Regie von John Harrison heute überwiegend als vergessen gilt.

Denis Villeneuves „Dune“

Dass nun Denis Villeneuve 2021, 56 Jahre nach der Erscheinung des Romans, die erste Verfilmung vorlegt, die weitestgehend, sowohl seitens der Fangemeinde als auch der Filmkritiker, als gelungen angenommen wurde, mag vorerst verwundern, doch der medienübergreifende Einfluss dieses Romans auf das Genre der Science-Fiction und der Fantasy ist überaus gewichtig, lange vor Villeneuves Aneignung. Jodorowski selbst meint in dem Dokumentarfilm, dass kaum ein Werk der Science-Fiction oder der Fantasy ohne Bezüge auf seine Filmvision auskäme. Tatsächlich mag es dem Scheitern dieses Projekts zuzurechnen sein, dass George Lucas’ Saga um den „Krieg der Sterne“ zu dem maßgeblichen Film des fantastischen Kinos wurde, der die Schnittstelle zwischen Fantasy und Science-Fiction bewusst auslotete. In Lucas’ visionärem Film begleiten wir Luke Skywalker, einen jungen Mann, der auf einem Wüstenplaneten lebt und der zum Retter der gesamten Galaxis avancieren soll – eine Heldenreise, die deutliche Parallelen zu Herberts Stoff aufzeigt. 

Die Geschichte der missglückten Versuche der Adaption dieses Romans ist auch eine, die zu alternativen Geschichtsschreibungen eingeladen hat sowie zu wilden Spekulationen anregte: Hätte Lynch mit seinem Film reüssiert, hätte ihm die Pforte zu groß budgetierten Studioproduktionen, dem Blockbuster, offen gestanden. Seine Karriere hätte somit einen gänzlich anderen Weg genommen. Lynchs unbestrittener Ruf als künstlerisches Ausnahmetalent, als surrealistischer Visionär, dem Schöpfer genuiner Bildwelten mit Werken wie „Blue Velvet“ (1986), „Twin Peaks“ (1990), „Wild at Heart“ (1990) wäre so nicht gegeben – Lynch ist einer der bedeutendsten Begründer der postmodernen Bewegung im Kino, jemand, der sich letztlich mehr den US-Independents am Rande der amerikanischen Filmproduktion zugehörig fühlte.

Im Gegensatz zu seinen Vorgängern gelingt Villeneuve mit seinem Film einiges besser. Im Rückblick erscheint es einleuchtender, woran Jodorowski und Lynch scheiterten und Villeneuve reüssierte: Dem frankokanadischen Regisseur steht die ganze Breite der digitalen Abbildungen im Kino zur Verfügung. Auch versteht er es besser, die Informationsangaben, die der fantastische Film zwangsläufig liefern muss, geschickter in seine Erzählung einzubetten. Indes fehlt es nach wie vor an Maßstäben, um diese Neuverfilmung innerhalb des Genres besser einordbar zu machen. Dass der erste Teil dieser Neuauflage bei seiner Uraufführung während der Filmfestspiele in Venedig sogleich mit Peter Jacksons „The Lord of the Rings“ (2001-2003) verglichen wurde, ist mehr dieser Leerstelle verantwortet als tatsächlichen Bezugspunkten zwischen beiden Werken. In allen Fällen kann Villeneuve für seine nachfolgenden „Dune“-Teile nur von den Fehlschlägen dieser namhaften Regisseure profitieren: Er gilt als der Erbe und Innovator des spektakulären und fantastischen Erzählens im Film.