Der Jubel war riesig, als sich die kapverdische Fußballnationalmannschaft vergangene Woche mit einem 3:0-Sieg über Eswatini zum ersten Mal für die Weltmeisterschaft qualifizierte. Nicht nur auf den neun bewohnten Inseln des Archipels wurde gefeiert, sondern überall dort, wo die Diaspora der Kapverdier anzutreffen ist – so auch in Luxemburg. Das WM-Ticket der Seleção hat noch mehr Gewicht als die bisherigen sportlichen Erfolge der Kapverden – und besitzt 2025 eine besondere symbolische Bedeutung: Dieses Jahr beging der Inselstaat das 50-jährige Jubiläum der Unabhängigkeit. Am 5. Juli 1975 endete die portugiesische Kolonialherrschaft. Heute zeichnet sich die kapverdische Demokratie durch ihre Stabilität und Rechtsstaatlichkeit aus. Auch wirtschafts-, gesundheits- und energiepolitisch hat das Land große Fortschritte erzielt.
Eine politisch aufgeladene Symbolik von Sporterfolgen hat es bereits in einigen Ländern gegeben. Erinnert sei etwa an das „Wunder von Bern“: Der Gewinn der Fußball-WM 1954 in der Schweiz durch die erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg wieder startberechtigte deutsche Fußballelf, die im Endspiel von Wankdorf die haushoch favorisierten Ungarn besiegte, wurde derart überhöht, dass die Spieler von Bundestrainer Sepp Herberger um Mannschaftskapitän Fritz Walter als die „Helden von Bern“ in die Sportgeschichte eingingen. Der WM-Triumph – neun Jahre nach dem Ende des Krieges und der Nazidiktatur – wird bis heute mit dem gestiegenen Selbstwertgefühl der Deutschen im Zuge des sogenannten Wirtschaftswunders in Zusammenhang gebracht, einhergehend mit einer zunehmenden Identifikation der Westdeutschen mit der damals noch jungen Bundesrepublik.
Geschichte hat auch der Rugby World Cup 1995 in Südafrika geschrieben. Es war nicht nur die erste WM in einer der beliebtesten Sportarten des Landes. Anfang der 1990er Jahre war das rassistische Apartheid-Regime zu Ende gegangen und am 27. April 1994 Nelson Mandela zum ersten schwarzen Präsidenten gewählt worden. Eine zusätzliche positive Bedeutung erlangte die Weltmeisterschaft schließlich mit dem Finalsieg der Springboks, der südafrikanischen Rugby-Nationalmannschaft. Als Mandela im Springbok-Trikot den Webb-Ellis-Pokal an Teamkapitän Francois Pienaar überreichte, stand dies symbolisch für das Zusammenrücken und die Versöhnung der Südafrikaner. Der Übergang von der Apartheid zur Demokratie verlief weitgehend friedlich. Trotz erheblicher Herausforderungen ist Letztere bis heute vergleichsweise stabil.
Nun stellt sich die Frage, ob die symbolische Aufladung und gar Überhöhung des Sports nicht stets vor allem ein Ablenkungsmanöver der Herrschenden war. Oft wurde er von ihnen für Propagandazwecke missbraucht und damit als Plattform der Feindseligkeit benutzt, wie etwa durch den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, bei dem der Basketballer Enes Kanter Freedom in Ungnade fiel. Weil er den Autokraten kritisierte, findet der frühere NBA-Profi keinen Klub mehr, der ihn unter Vertrag nimmt.
Erinnert sei auch an die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Fans von Dinamo Zagreb und den „Delije“, den Anhängern von Roter Stern Belgrad, im Jahr 1990. Aus den „Delije“ rekrutierte deren Boss Zeljko Raznatovic, genannt „Arkan“, in den Balkankriegen seine paramilitärische Truppe der „Tiger“, auf deren Konto zahlreiche Morde und andere Verbrechen gingen. Auch Argentiniens Militärmachthaber instrumentalisierten die Fußball-WM 1978 in ihrem Land, um von ihren Menschenrechtsverbrechen abzulenken.
Der Sport hat eben schon viele Geschichten geschrieben, schöne und erfolgreiche ebenso wie hässliche und tragische, von Dream-Teams und Superstars, von Freundschaften und Rivalitäten ebenso wie von Abstürzen. Eine schöne Geschichte der jüngeren Zeit ist die der kapverdischen Kicker, die nächstes Jahr zur WM fahren, 50 Jahre nach dem Erlangen der Unabhängigkeit. Ein spätes Wunder!
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