Am Mittwoch stellte Sánchez im Parlament sein neues Regierungsprogramm vor. Er versprach, die Energiewende, die Gleichstellungspolitik und soziale Reformen weiter voranzutreiben. An diesem Donnerstag wird der 51-Jährige von den Abgeordneten als Ministerpräsident bestätigt werden – sogar mit absoluter Mehrheit. Damit vergrößert der passionierte Basketballspieler seinen Ruf, ein Stehaufmännchen zu sein. Und er fügt seiner schon legendären Buchbiografie, die er unter dem Namen „Anleitung zum Widerstand“ veröffentlichte, ein neues Kapitel hinzu.
„Die sieben Leben des Pedro Sánchez“, überschrieb Spaniens große Zeitung El País ein Porträt des Politikers, der dafür berühmt wurde, gerne alles auf eine Karte zu setzen – nach dem Motto „Alles oder nichts“. Das gilt auch für seine jüngste Entscheidung, den Weg für seine Wiederwahl zum Premier mithilfe einer Amnestie für den katalanischen Separatistenchef Carles Puigdemont und weitere Aktivisten zu sichern.
Was hat Puigdemont, der nach seinem illegalen Unabhängigkeitsreferendum 2017 vor der spanischen Justiz nach Brüssel floh, mit Sánchez’ Wiederwahl zu tun? Puigdemonts Unabhängigkeitspartei Junts per Catalunya (Zusammen für Katalonien) erlangte in Spaniens Parlamentswahl im Juli sieben Mandate im nationalen Abgeordnetenhaus. Da Sánchez’ progressives Lager und das konservative Lager gleich stark abschnitten, geben die Stimmen von Puigdemonts Separatisten im Parlament nun den Ausschlag.
Wenn die Amnestie in Kraft tritt, werden die Ermittlungen und Strafverfahren, die gegen Puigdemont und 300 seiner Mitstreiter wegen ungesetzlicher separatistischer Aktivitäten eingeleitet wurden, per Federstrich beendet. Der frühere Katalonien-Präsident Puigdemont, gegen den in Spanien noch ein Haftbefehl besteht, darf dann aus Brüssel in seine katalanische Heimat zurückkehren.
Doch zuvor muss das Parlament dem Amnestiegesetz zustimmen. Die Mehrheit dafür ist sicher. Aber die Verabschiedung dürfte sich bis 2024 hinziehen, da die Konservativen alle Mittel ausschöpfen wollen, um das Gesetz zu bremsen. Seit Wochen trommelt die Opposition gegen die Amnestie, die Spaniens Gesellschaft gespalten hat. Vor dem schwer bewachten Parlament empfingen Demonstranten Sánchez mit Pfiffen. Die Spannungen sind auf dem Siedepunkt, was sich in wachsender Gewalt Rechtsradikaler und in Morddrohungen gegen sozialdemokratische Politiker spiegelt.
Katalonienkonflikt entschärfen
Dank der Hilfe der katalanischen Separatisten kann Sánchez, der bereits seit fünf Jahren im Amt ist, mit seiner Minderheitsregierung aus Sozialdemokraten und dem linken Juniorpartner Sumar (Sumieren) weiterregieren. Aber Sánchez kann noch auf weitere Helfer zählen: Es gelang ihm zudem, die Regionalparteien aus dem Baskenland, Galicien und von den Kanaren auf seine Seite zu ziehen. Deswegen hat Sánchez im Parlament nun insgesamt 179 Ja-Stimmen auf seiner Seite. Ihnen stehen 171 Nein-Stimmen des konservativen Lagers aus christdemokratischer Volkspartei und der rechtsnationalen Bewegung Vox gegenüber.
Mit dem Amnestieversprechen, das in Katalonien „Wunden schließen“ soll, geht Sánchez erneut einen riskanten Weg.„Wir setzen auf den Weg des Dialogs und des Pardons“, sagte Sánchez am Mittwoch im Parlament. Der Oppositionschef und Vorsitzende der Volkspartei, Alberto Núñez Feijóo, Feijóo sieht hingegen schon den „Niedergang der spanischen Demokratie“ aufziehen. Feijóos Verbündeter, die Rechtspartei Vox, wirft Sánchez gar einen „Putsch gegen die Verfassung“. Volkspartei wie Vox kündigten an, mithilfe des Verfassungsgerichtes diesen „Angriff auf den Rechtsstaat“ stoppen zu wollen – doch bis die Richter ein Urteil fällen, können Jahre vergehen.
Nicht nur Separatisten als Herausforderung
Sánchez lässt sich von diesem Störfeuer nicht beirren. Er setzt auf seinen Instinkt, der ihn bisher nur selten im Stich gelassen hat. Er glaubt daher, dass die Amnestie und auch seine neue Regierung alle Unwetter überleben werden. „Ich bin sicher, dass die Zeit uns recht geben wird.“ Die Amnestie werde dazu beitragen, den seit Jahren brodelnden Katalonienkonflikt zu entschärfen. Er verweist zudem darauf, dass die Separatisten zugesagt haben, künftig auf einseitige und illegale Schritte Richtung Unabhängigkeit zu verzichten – was durchaus ein Erfolg ist.
Doch die Katalonienpolitik ist nicht Sánchez’ einzige Herausforderung. Auf ihn warten weitere Probleme, die gelöst werden müssen. Die große Wohnungsnot zum Beispiel: Explodierende Immobilienpreise und großer Mangel an bezahlbarem Wohnraum sorgen für immer mehr Unmut. Oder die Migrationskrise: In Spanien steigt, ähnlich wie in Italien, die Zahl der Flüchtlinge und Migranten, die übers Mittelmeer kommen, stark an. Zudem sorgt der Klimawandel dafür, dass Wassermangel dem Land zunehmend zu schaffen macht.
Nur in Sachen Ökonomie muss sich Sánchez derzeit wenig Sorgen machen. Der Konjunkturmotor Spaniens, das wirtschaftlich viertwichtigste Land der Eurozone, brummt. Mit der erfreulichen Folge, dass die Wirtschaftsleistung überdurchschnittlich wächst. Übrigens vor allem dank der Touristen, die in diesem Jahr so zahlreich nach ganz Spanien strömten, wie noch nie.
De Maart
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